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Der Glanz des ganz normalen Alltags

Foto: privat
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Philosophische Kolumne

Die Ferien sind vorbei, seit ein paar Tagen herrscht wieder Alltag, gar nicht so einfach, sich nach nur zwei Wochen zurück in eine Welt zu holen, in der klare Zeiten den Takt vorgeben, gemeinsam gegessen werden will, zu bestimmten Zeit Sport und zu anderen Musik gemacht wird – vorgegebene Strukturen, die für eine kurze Auszeit mit völliger Abwesenheit geglänzt haben.

Und doch schleicht sich ein Gefühl der Erleichterung in die müden Glieder, wenn die Haustür zum letzten Mal zugeklappt ist und sich ein Morgen vor mir ausbreitet, den ich ganz allein gestalten kann. Zugegebenermaßen mit so interessanten Dingen wie Wäschekörben und Rechnungen, mit Anrufen beim Orthopäden und einem unangenehmen Telefonat, das ich eigentlich schon vor den Ferien hätte führen sollen.

Und doch – dieser Moment der Erleichterung öffnet einen fast liebevollen Blick auf all dies zu erledigende „Zeug“ wie es Martin Heidegger genannt hätte, „Zeug“, das oft genug den Rahmen für ein „uneigentliches Dasein“ im „Man“ vorzugeben scheint, fremdbestimmt in der Mühle der alltäglichen und damit ewigen Wiederkehr.

Aber es gibt auch diesen anderen Blick, der dieses Zeug als Rahmen des „Möglichen“ ernst nehmen kann: Wahrscheinlich würde ich tagelang im Schlafanzug vor meinem Rechner vermeintlich philosophisch wesentlichen Gedanken nachhängen, wenn es nicht notwendig wäre, mittags eine halbwegs interessante Mahlzeit auf den Tisch zu bringen – eine konservative Form des familiären Beisammenseins, die nicht nur meinen Kindern, sondern mir mindestens ebenso gut tut.

Diese gewählten Strukturen sind keine Notwendigkeiten, aber doch gewollte Bedeutsamkeiten und unterbrechen die Welt der Möglichkeiten, um mit der Wirklichkeit zu rufen. Gerade diese gewohnten Abläufe, manchmal Rituale oder Zeremonien, machen das „Mögliche“ zu einem aushaltbaren Zustand, weil sie Schneisen und Pflöcke in den ständigen Wandel schlagen und uns dadurch Orientierung geben, wie ein Pfad. Ein Pfad, zu dem es immer Alternativen gäbe, die ebenso an ein Ziel führen könnten, aber dies ist unser Pfad, der nicht nur möglich, sondern jeden Tag wieder wirklich wird – mit all dem Kleinkram, den Wiederholungen und lästigen Verpflichtungen, die wir auf unseren Tagesplänen und To-Do-Listen wiederfinden, die so notwendig scheinen und doch in ihren Einzelheiten wieder in Vergessenheit geraten.

Aber zwischen ihnen spannt sich ein Raum auf, in dem wir uns einrichten, in dem wir in unseren Gewohnheiten ein Zuhause finden, in ihnen zu wohnen lernen. Dann wird der ganz normale Alltag nicht das, was den Raum für all unsere Möglichkeiten erstickt, sondern das, was unseren Möglichkeiten einen Rahmen gibt, in dem sie möglicherweise erst wirklich werden können.

Ein gutes Leben auch und vielleicht gerade im philosophischen Sinne braucht eine Form der Normalität, die nicht beständig zur Disposition steht, ein Zusammenspiel aus Gegebenheiten, die wir „aus gutem Grund erwarten dürfen“. Keine hochfliegenden Pläne, keine perfektionistischen Ziele oder Utopien, sondern ein Grundgerüst, das uns einen Rahmen bietet, um ins Handeln, ins Erfinden, ins Tun kommen zu können: das ist es, was wir vorfinden wollen, um das zu erreichen, was noch nicht ist.

Diese begründete Erwartung reduziert die Komplexität unserer Möglichkeiten und sie sorgt für Verlässlichkeit: angefangen bei den täglichen Gewohnheiten über die Verbindlichkeit von Verabredungen und Terminen bis hin zu meist pünktlich fahrenden Bussen und Zügen, Gewohnheiten haben sehr unterschiedliche Ausprägungen und lassen sich durchaus auch institutionalisieren. Aus dieser Verlässlichkeit entsteht möglicherweise eine beklemmende Enge von Regeln und Benimmformen, aber möglicherweise auch eine Form der Freiheit, die ich nutzen kann, um neugierig zu bleiben, Pläne zu verwirklichen, Ziele zu verfolgen.

Aber woran erkennen wir das, was „normal“ ist und woher nehmen wir die Grundlage für diese Erwartungen – insbesondere dann, wenn Normalität nicht mehr selbstverständlich anzutreffen und darüber hinaus auch nicht immer erstrebenswert zu sein scheint? Heute klingt dieses Wort nur selten nach dem erstrebenswerten „Guten“, sondern oft eher grau und spießig – normaler Alltag ist das, was nicht originell, nicht individuell oder besonders ist – eine Eigenschaft, die etwas beschreibt, was „üblich“ ist und damit nicht aus der Menge der Möglichkeiten heraussticht.

Also wollen wir gegenwärtig oft alles Mögliche sein, wir wollen uns jeden Tag neu erfinden, immer wieder wir selbst sein und „unser Ding machen“ und das möglichst anders als die anderen – und damit sind wir eher interessiert daran, Normen und Rahmenbedingungen aufzuheben, den Alltag gar nicht erst zustande kommen zu lassen, weil seine Normalität uns langweilt, oder vielleicht auch Angst macht.

Aber was passiert, wenn dieser Anspruch zu einem Paradigma wird, der das „Andersseinwollen“ als höchstes Ziel ausruft? All der luftigen Flüchtigkeit, die gegenwärtig den Blick auf das „Außergewöhnliche“ als Selbstzweck zu richten scheint, fehlt die Erleichterung eines Alltags, der auch die schönsten Ferien ablösen sollte – ansonsten haben wir nichts mehr, wohin wir zurückkehren können – und: genau das beginnt uns zu fehlen.

Wenn dem aber so ist, verändert sich die Werteskala – „Normalität“ ist nicht mehr das Graue, das langweilig Übliche und Gewohnte, sondern eine Art stabiles Fundament, das wir eigentlich herbeisehnen, weil wir es vor lauter „gleich-gültiger“ Besonderheit nicht mehr aushalten: Es ist das, was uns einen Maßstab bietet, das rechte Maß, das gerade nicht in der Mittelmäßigkeit verbleibt, sondern eine Grundlage des „Guten“ bedeutet. Und zwar ganz besonders an einem ganz alltäglichen Mittwochmorgen nach den Osterferien bei der zweiten Tasse Kaffee und Blick auf den Wäschekorb.

Die Ferien sind vorbei, seit ein paar Tagen herrscht wieder Alltag, gar nicht so einfach, sich nach (doch nur) zwei Wochen zurück in eine Welt zu holen, in der klare Zeiten den Takt vorgeben, gemeinsam gegessen werden will, zu bestimmten Zeit Sport und zu anderen Musik gemacht wird – vorgegebene Strukturen, die für eine kurze Auszeit mit völliger Abwesenheit geglänzt haben.

Und doch schleicht sich ein Gefühl der Erleichterung in die müden Glieder, wenn die Haustür zum letzten Mal zugeklappt ist und sich ein Morgen vor mir ausbreitet, den ich ganz allein gestalten kann. Zugegebenermaßen mit so interessanten Dingen wie Wäschekörben und Rechnungen, mit Anrufen beim Orthopäden und einem unangenehmen Telefonat, das ich eigentlich schon vor den Ferien hätte führen sollen.

Und doch – dieser Moment der Erleichterung öffnet einen fast liebevollen Blick auf all dies zu erledigende „Zeug“ wie es Martin Heidegger genannt hätte, „Zeug“, das oft genug den Rahmen für ein „uneigentliches Dasein“ im „Man“ vorzugeben scheint, fremdbestimmt in der Mühle der alltäglichen und damit ewigen Wiederkehr.

Aber es gibt auch diesen anderen Blick, der dieses Zeug als Rahmen des „Möglichen“ ernst nehmen kann: Wahrscheinlich würde ich tagelang im Schlafanzug vor meinem Rechner vermeintlich philosophisch wesentlichen Gedanken nachhängen, wenn es nicht notwendig wäre, mittags eine halbwegs interessante Mahlzeit auf den Tisch zu bringen – eine konservative Form des familiären Beisammenseins, die nicht nur meinen Kindern, sondern mir mindestens ebenso gut tut.

Diese gewählten Strukturen sind keine Notwendigkeiten, aber doch gewollte Bedeutsamkeiten und unterbrechen die Welt der Möglichkeiten, um mit der Wirklichkeit zu rufen. Gerade diese gewohnten Abläufe, manchmal Rituale oder Zeremonien, machen das „Mögliche“ zu einem aushaltbaren Zustand, weil sie Schneisen und Pflöcke in den ständigen Wandel schlagen und uns dadurch Orientierung geben, wie ein Pfad. Ein Pfad, zu dem es immer Alternativen gäbe, die ebenso an ein Ziel führen könnten, aber dies ist unser Pfad, der nicht nur möglich, sondern jeden Tag wieder wirklich wird – mit all dem Kleinkram, den Wiederholungen und lästigen Verpflichtungen, die wir auf unseren Tagesplänen und To-Do-Listen wiederfinden, die so notwendig scheinen und doch in ihren Einzelheiten wieder in Vergessenheit geraten.

Aber zwischen ihnen spannt sich ein Raum auf, in dem wir uns einrichten, in dem wir in unseren Gewohnheiten ein Zuhause finden, in ihnen zu wohnen lernen. Dann wird der ganz normale Alltag nicht das, was den Raum für all unsere Möglichkeiten erstickt, sondern das, was unseren Möglichkeiten einen Rahmen gibt, in dem sie möglicherweise erst wirklich werden können.

Ein gutes Leben auch und vielleicht gerade im philosophischen Sinne braucht eine Form der Normalität, die nicht beständig zur Disposition steht, ein Zusammenspiel aus Gegebenheiten, die wir „aus gutem Grund erwarten dürfen“. Keine hochfliegenden Pläne, keine perfektionistischen Ziele oder Utopien, sondern ein Grundgerüst, das uns einen Rahmen bietet, um ins Handeln, ins Erfinden, ins Tun kommen zu können: das ist es, was wir vorfinden wollen, um das zu erreichen, was noch nicht ist.

Diese begründete Erwartung reduziert die Komplexität unserer Möglichkeiten und sie sorgt für Verlässlichkeit: angefangen bei den täglichen Gewohnheiten über die Verbindlichkeit von Verabredungen und Terminen bis hin zu meist pünktlich fahrenden Bussen und Zügen, Gewohnheiten haben sehr unterschiedliche Ausprägungen und lassen sich durchaus auch institutionalisieren. Aus dieser Verlässlichkeit entsteht möglicherweise eine beklemmende Enge von Regeln und Benimmformen, aber möglicherweise auch eine Form der Freiheit, die ich nutzen kann, um neugierig zu bleiben, Pläne zu verwirklichen, Ziele zu verfolgen.

Aber woran erkennen wir das, was „normal“ ist und woher nehmen wir die Grundlage für diese Erwartungen – insbesondere dann, wenn Normalität nicht mehr selbstverständlich anzutreffen und darüber hinaus auch nicht immer erstrebenswert zu sein scheint? Heute klingt dieses Wort nur selten nach dem erstrebenswerten „Guten“, sondern oft eher grau und spießig – normaler Alltag ist das, was nicht originell, nicht individuell oder besonders ist – eine Eigenschaft, die etwas beschreibt, was „üblich“ ist und damit nicht aus der Menge der Möglichkeiten heraussticht.

Also wollen wir gegenwärtig oft alles Mögliche sein, wir wollen uns jeden Tag neu erfinden, immer wieder wir selbst sein und „unser Ding machen“ und das möglichst anders als die anderen – und damit sind wir eher interessiert daran, Normen und Rahmenbedingungen aufzuheben, den Alltag gar nicht erst zustande kommen zu lassen, weil seine Normalität uns langweilt, oder vielleicht auch Angst macht.

Aber was passiert, wenn dieser Anspruch zu einem Paradigma wird, der das „Andersseinwollen“ als höchstes Ziel ausruft? All der luftigen Flüchtigkeit, die gegenwärtig den Blick auf das „Außergewöhnliche“ als Selbstzweck zu richten scheint, fehlt die Erleichterung eines Alltags, der auch die schönsten Ferien ablösen sollte – ansonsten haben wir nichts mehr, wohin wir zurückkehren können – und: genau das beginnt uns zu fehlen.

Wenn dem aber so ist, verändert sich die Werteskala – „Normalität“ ist nicht mehr das Graue, das langweilig Übliche und Gewohnte, sondern eine Art stabiles Fundament, das wir eigentlich herbeisehnen, weil wir es vor lauter „gleich-gültiger“ Besonderheit nicht mehr aushalten: Es ist das, was uns einen Maßstab bietet, das rechte Maß, das gerade nicht in der Mittelmäßigkeit verbleibt, sondern eine Grundlage des „Guten“ bedeutet. Und zwar ganz besonders an einem ganz alltäglichen Mittwochmorgen nach den Osterferien bei der zweiten Tasse Kaffee und Blick auf den Wäschekorb.

Ina Schmidt, 30. April 2017

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