Autobiografische Texe von Thich Nhat Hanh
Der große Achtsamkeitslehrer Thich Nhat Hanh ist ein Poet und leiser Rebell. In diesem Buch erzählt er sein Leben anhand von berührenden Geschichten. Diese zeigen sein ganzheitliches Verständnis von Achtsamkeit, die für ihn einen radikalen Pazifismus einschließt und die Kraft, Gesellschaft zu transformieren.
Zum 95. Geburtstag von Thich Nhat Hanh am 11. Oktober 2021 veröffentlichen wir noch einmal die Besprechung dieses autobiografischen Buches, das 2017 erschienen ist.
Kaum jemand spricht so anrührend über scheinbar alltägliche Dinge wie der vietnamesisch Meditationsmeister Thich Nhat Hanh: über das Essen eines Plätzchens, das Schließen einer Tür, über Bananenblätter, Pflaumenbäume und die Liebe zu den Menschen und zur Erde. Und kaum jemand verbindet die meditative Lebensform mehr mit gesellschaftlichem Engagement für Pazifismus, Frieden, für Flüchtlinge, Klima und die Erneuerung eines erstarrten Buddhismus.
Der O.W. Barth-Verlag hat jetzt autobiografische Texte dieses Weisheitslehrers veröffentlicht, der 1926 in Vietnam geboren wurde. Auf rund 200 Seiten geht es weniger um das, was er wann getan hat; die Stationen seines Lebens werden eher beiläufig erwähnt. Im Mittelpunkt stehen sein reiches Innenleben, seine tiefen Einsichten und wie er im Laufe der Jahre seine Achtsamkeitspraxis verändert und erweitert hat.
Gründer des Engagierten Buddhismus
Mit 16 Jahren kam Thich Nhat Hanh ins Kloster und erlernte erste einfache Achtsamkeitsübungen für den Alltag. Mit der Zeit war klar, dass er sich nicht auf die eigene Praxis beschränken würde, sondern viel Größeres im Sinn hatte: Er wollte den erstarrten Buddhismus in seinem Land insgesamt erneuern und Meditation mit gesellschaftlichem Handeln verbinden: „Es reicht nicht, nur über Mitgefühl zu reden, wir müssen auch handeln aus Mitgefühl,“ schreibt er in seinem Buch.
Dafür gibt es in seinem Leben unzählige Beispiele: Anfang der 1960er Jahr half er bei der Gründung der Van-Han-Universität und wurde Redakteur der Zeitschrift „Die Stimme der steigenden Flut“, die alle buddhistischen Schulen Vietnames vereinen wollte.
1965 gründete er die „Schule der Jugend für Soziale Dienste“, die während des Vietnamkrieges humanitäre Hilfe leistete; später kümmerte er sich um die Boatpeople. Im französischen Exil eröffnete er das Praxiszentrum Plum Village in der Nähe von Bordeaux.
Vor allem der Vietnamkrieg veränderte seine Sicht: Wie können Achtsamkeitspraktizierende auf dem Kissen sitzen, während draußen die Hölle tobt? So entstand in ihm die Idee eines „Engagierten Buddhismus“, der Meditation und das Wirken in der Gesellschaft verbindet. „Zu handeln hilft, nicht in Verzweiflung zu versinken“, so der Autor.
Ohne die Meditation würde man sich in äußeren Aktivitäten verausgaben; ohne das Handeln blieben Achtsamkeit und Mitgefühl hohl. Dies schließt einen radikalen Pazifismus ein, den Thich Nhat Hanh mit Martin Luther King teilte, dem er einige Male begegnet ist. Niemals, so seine Überzeugung, könne Gewalt gerechtfertigt sein und zu guten Ergebnissen führen. Seine Erfahrung drückt er so aus: „Im Krieg wuchsen wir immer tiefer in die Praxis der Gewaltlosigkeit hinein.“
Das Leben als Botschaft
Es ist ein sehr persönliches, fast privates Buch. Der Autor teilt viele persönliche Erfahrungen, etwa wie er mit den vielen Schicksalsschlägen und Leiden umgegangen ist, aber auch wie er immer wieder die Schönheit berühren und Freude kultivieren konnte. „Mit Achtsamkeit gewinnst du dein Leben zurück“, so Thich Nhat Hanh.
Das Buch endet mit Gedanken zur Vergänglichkeit, es ist nicht ganz klar, wann dieser Passus geschrieben wurde. 2014 erlitt Thich Nhat Hanh einen schweren Schlaganfall und kann nicht mehr sprechen. Doch er unternahm in den letzten Jahren einige größere Reisen, u.a. in seine Heimat Vietnam.
Es gibt unzählige Bücher dieses beeindruckenden Meditationsmeisters, zum Beispiel „Das Wunder der Achtsamkeit“, ein Standardwerk. Doch in diesem Buch wird der Mensch Thich Nhat Hanh besonders lebendig. Alle, die Achtsamkeit oder MBSR praktizieren und unterrichten, sollten es lesen und besonders auch über den Buchtitel nachdenken: „Mein Leben ist meine Lehre“. Wer kann das von sich behaupten?
Birgit Stratmann
Thich Nhat Hanh. Mein Leben ist meine Lehre. Autobiographische Geschichten und Weisheiten eines Mönchs. O.W. Barth Verlag, München 2017