Das außergewöhnliche Projekt der Baltimore Boys
Die Baltimore Boys zogen mit ihrer idealistischen Idee an Schulen in den USA und veränderten das Leben von chancenlos geglaubten Schulkindern und gefährdeten Jugendlichen.
Sie gründeten 2001 die Holistic Life Foundation als Non-Profit Organisation und unterrichteten seither Hunderte von Jugendlichen erfolgreich an Schulen Yoga, Meditation, Gartenarbeit und Achtsamkeit.
Wie alles begann? Die drei Baltimore Boys: Das sind Ali und Atman Smith und Andy Gonzales. Auf dem Podium der Salzburger Fachtagung „Pro Juventute“ berichteten die Brüder Ali und Atman, wie sie aufgewachsen sind. „Als wir klein waren, hatten wir das Gefühl in Baltimore zu einer großen Familie zu gehören. Jeder kannte jeden.“ Sie wuchsen vegan auf, ihr Vater Meredith und ihr Pate brachten ihnen Yoga bei. Sie lernten auf der Quäker-Schule Meditation und erhielten eine für diese Zeit eher ungewöhnliche spirituelle Erziehung.
Doch dann erschütterten mehrere Brüche ihre bisher relativ heile Welt: Die Eltern trennten sich und ein paar Jahre später zerstörte die Droge Crack eine ganze Generation in Baltimore. „Das Gefühl der Gemeinschaft war plötzlich komplett weg.“ Sie gerieten in eine Lebenskrise. Auf dem College lernten sie dann Andy kennen, beschritten mit ihm einen neuen Weg und gründeten die Holistic Life Foundation (HLF). Die Partyszene verwandelte sich in einen Bücherclub und sie diskutierten über die verschiedenen Weisheitstraditionen.
„Statt Fußball brachten wir ihnen Yoga bei“
Gemeinsam sinnierten sie und kamen zu dem Schluss, dass es der Sinn ihres Lebens sei, anderen selbstlos zu helfen. Sie überlegten: Was ihnen in der Jugend gut getan hatte, das könnte auch den gefährdeten und gewalttätigen Schulkindern und Jugendlichen helfen. Sie erinnerten sich: „Yoga hatte sich so gut angefühlt.“ Diese Praxis und die Meditation hatten spürbare Wirkungen und Veränderungen bei ihnen hinterlassen. Sie hatten dadurch gelernt, sich besser zu konzentrieren, weniger impulsiv zu reagieren, liebevoller und friedvoller zu sein.
Zurück in Baltimore, entschlossen sie sich, etwas für die Community der Stadt tun und das frühere Gemeinschafts- und Nachbarschaftsgefühl wiederzubeleben. Ihre Mutter vermittelte ihnen die Gelegenheit, das after-school-program bei 20 der schlimmsten Kinder an einer Grundschule auszuprobieren. „Statt Fußball brachten wir ihnen Yoga bei.“
Doch kaum hatte Ali die Matten ausgerollt, verprügelten sie sich schon am Boden, bissen sich und schlugen sich die Köpfe ein. Erst zweifelten sie an sich selbst, doch schon nach zwei Monaten stellten auch die Lehrer fest, dass die Kinder weniger aggressiv waren. Sie hatten wahrgenommen, dass sie sich verändert hatten. Die Noten wurden besser, die Fehlzeiten verringerten sich und die Gewalt nahm ab.
Der Schuldirektor ermutigte sie: „Egal, was ihr macht, macht weiter!“ Und das machten sie. Kein Mensch kontrollierte sie, wenn sie auf der Rückseite der Schule Atemübungen oder Meditation anleiteten. Nach und nach wurden die Kinder richtig „heiß“ auf die Praxis, so Atman.
Bald holten sie auch Kinder aus den Nachbargemeinden zum Training ab und stopften so viele wie möglich in ihr Auto, obwohl das illegal war. Sie sprachen mit den Anführern von jugendlichen Terrorbanden, die Reifen aufstachen und Steine von den Dächern warfen und überredeten sie mit der Zeit ebenfalls zum Mitmachen. Ali: „Sie haben es gemocht. Am Ende wurden wir wie Rockstars behandelt, und es wurde cool, dass man empathisch und voller Mitgefühl war.“ Bald waren es 60 Schüler zwischen vier und elf Jahren. Von den anfänglichen 20 „Problem-Schülern“ haben 19 den Highschool-Abschluss geschafft und gehen aufs College.
„Die Jungs sind heute unsere Lehrer“
Das Programm von Ali, Atman und Andy umfasst heute Yoga und Achtsamkeitspraxis, Atemtechniken, Hausaufgabenbetreuung, Zirkus- und Umweltprogramme, Kunst und Musik. Wie sie das Selbstvertrauen der Kinder stärken? „Wir bringen ihnen bei, selbst Lehrer zu sein, so dass sie später nicht auf uns angewiesen sind. Ein Vierjähriger leitet bei uns sogar im Rahmen eines Schulprogramms Stretchübungen an und er macht es großartig“, so Andy.
Auch noch sieben Jahre später sind die Baltimore Boys für die Jugendlichen rund um die Uhr als Mentoren und Familienersatz präsent. Viele Jugendliche ziehen es vor, trotz der großen Ratten im Viertel bei den Boys auf der Terrasse zu schlafen, weil es zu Hause so schlimm ist. „Wir waren einfach immer für sie da, wenn sie uns gebraucht haben. Diese Jungs sind heute unsere Lehrer.“
Auch einem sehr introvertierten Mädchen, das Missbrauch erlitten hatte, haben sie geholfen. „Wir haben uns auf sie konzentriert, so dass sie eine ganze Dusche Liebe abbekam.“ Irgendwann fragte sie Ali: „Denkst du, du könntest mein Vater sein? Er antwortete: „Nein, aber ich kann dein spiritueller Vater sein.“ In der Zwischenzeit geht es ihr gut und sie ist nach Aussage der Boys sehr extrovertiert.
Direktor Greenberg von der Penn State Universität machte eine Studie mit 100 Schülern des HFL-Programms. Das Ergebnis: Schüler, die an dem Programm mit Yoga und Achtsamkeit teilgenommen hatten, zeigten eine stark verbesserte Fähigkeit mit Stress, störenden oder negativen Gedanken umzugehen. Greenberg in der Zeitschrift Mindful: „Ali, Atman und Andy vermitteln eine ganzheitliche Sicht über die Verbundenheit in der Welt, die Notwendigkeit der Fürsorge für unsere Umwelt und unsere Beziehungen.“ Die idealistische und engagierte Arbeit ist ihnen einfach mehr wert als ein Job, so die Cassie Smith, die Mutter von Ali und Atman, die beide noch heute auf ihrem Weg unterstützt.
Heute sind die Boys weit über Baltimore hinaus berühmt. Ihr neuestes Projekt ist das „Mindful Moment“-Programm, eine Pilotstudie an der Patterson High School mit 1200 Schülern. Ihre Mission ist Liebe. Diese wollen sie weitergeben, vor allem an gefährdete und als chancenlos bezeichnete Jugendliche. „Vergesst nicht, Liebe ist die größte Kraft im Universum“, so ermutigen sie diese häufig.
Michaela Doepke
Fotos: Stefan Zinsbacher
Weitere Infos:
www.vimeo.com/44139051
www.hlfinc.org
www.projuventute.at