Die Deutschen in der Autofalle

Cover Land der Lenker

Eine philosophische Annäherung

Woher kommt die Autoverliebtheit der Deutschen – trotz Klimakrise, Dieselskandal, Mega-Staus? Thomas Vasek, Chefredakteur der Philosophie-Zeitschrift Hohe Luft, nähert sich mit seinem Buch „Land der Lenker“ dieser Frage philosophisch. Er regt dazu an, über eine zeitgemäße Mobilität nachzudenken.

Warum hält die deutsche Autoindustrie so verbissen am Verbrennungsmotor fest ? Warum ist die deutsche Regierung nicht in der Lage, bestehende Gesetze zum Schutz von Umwelt und Gesundheit durchzusetzen, wenn die Folgen Autofahrer auch nur marginal einschränkten? Warum kann eine Partei Wahlwerbung mit dem Slogan „Diesel retten“ machen und die gesundheitlichen Folgen des Dieselmotors für Millionen von Menschen vernachlässigen?

Der Philosoph Thomas Vasek stellt in seinem neuen Buch „Land der Lenker“ eine interessante und provokante These dazu auf. Er argumentiert nicht mit bestehenden „Sachzwängen“ (Infrastruktur, mangelhaftes öffentliches Verkehrsnetz) oder der Abhängigkeit des Standorts Deutschland von der Autoindustrie (jeder 7. Arbeitsplatz usw.)

Vasek fragt, warum es zu diesen Sachzwängen, zu dieser Abhängigkeit eigentlich gekommen ist. Er nähert sich der Autoverliebtheit philosophisch. Dass er diese Perspektive auf Deutschland verengt, ist eigentlich schade, denn das Auto wurde zwar in Deutschland erfunden, trat seinen Siegeszug jedoch weltweit an. Zu Beginn des letzten Jahrhunderts war das Auto in Frankreich und den USA wesentlich weiter verbreitet als in Deutschland, wie Vasek selbst zeigt.

Der Autor versucht also, die deutsche Perspektive des Autos hervorzuheben. Es ist der einzige Industriestaat der Welt ohne Geschwindigkeitsbegrenzung. Außerdem weist er auf die besondere Verquickung des Nationalsozialismus mit dem Auto und den Autobahnen hin. Das sind sicher Hintergründe, die nur auf Deutschland zutreffen, nur, was erklärt uns das ?

Der deutsche Traum von Freiheit

„Land der Lenker“ (eine Abwandlung des berühmten Bonmots der Madame de Stael, “Deutschland, das Land der Dichter und Denker”) wartet mit folgender These auf: „Für die Deutschen ist das Auto nicht einfach nur ein Fortbewegungsmittel. Es ist der deutsche Traum von Freiheit, von Selbstbewegung, von einer Bewegung um ihrer selbst willen, die sich in der Freude am Fahren manifestiert. Die Krise des deutschen Autos ist, so glaube ich, die Krise dieser Selbstbewegung.“

Das ist die tragende These des Buches, die nun über 187 Seiten ideen- und kenntnisreich belegt wird. Die These ist interessant, weil sie erklären kann, wieso wir heute in der Autofalle stecken, die uns zwingt, wider Vernunft, bar jeder Verantwortung und vorbei an bestehenden Gesetzen wie den EU-Grenzwerten an einer veralteten Technologie hängen zu bleiben.

Hinzu kommt: In der modernen, globalisierten Gesellschaft wird das Selbst zunehmend als vernetztes Selbst erlebt, das sich vom isolierten Selbst als das sich der Autofahrer empfindet, fundamental unterscheidet. Die Folge für das Auto (autos, altgriechisch=selbst) ist, dass es ebenfalls vernetzt wird und als digitales, selbstfahrendes Mobil die Geschichte des herkömmlichen Automobils beenden wird.

Viele Jungen fordern neue Mobilitätskonzepte

Die große Gefahr der deutschen Automobilwirtschaft ist es, selbst in der Autofalle gefangen zu bleiben und die Entwicklung des vernetzen Fahrens zu verschlafen. Vorausschauende Industriepolitik hätte die Aufgabe, sie mit gesetzlichen Leitplanken aus dem Schlaf zu wecken, aber leider schlummert auch die Politik vor sich hin. Das kommt natürlich daher, dass Politiker die Welt ebenfalls aus der Lenkerperspektive sehen.

Vaseks Buch erschöpft sich in der genannten These, und das ist streckenweise ermüdend. So interessant und gut belegt sie auch ist, der Leser hätte weitere Fragen: Wie ist es dazu gekommen, dass Freiheit mit Autofahren identifiziert wird? Und wie ist es zu erklären, dass diese Identifikation heute bröckelt? Denn die gängige Erklärung, die auch Vasek bringt, „es gibt einfach zu viele Autos“, sticht nicht wirklich.

Man könnte, wie in den letzten 50 Jahren geschehen, mehr Straßen und mehr Parkplätze bauen. Aber viele, vor allem junge Menschen, stellen sich heute gegen die Dominanz des Autoverkehrs und fordern neue Mobilitätskonzepte. Das Bewusstsein verändert sich, aber warum und wie hat sich das entwickelt? Und was könnte das für unsere zukünftige Mobilität bedeuten? Da das Buch das nicht zeigt, greift die Analyse zu kurz. Dafür aber ist es jedoch zu lang – und der Ansatz zu intelligent.

Carsten Petersen

Thomas Vasek. Land der Lenker. Die Deutschen und ihr Auto. wbg Theiss, Wissenschaftliche Buchgesellschaft 2019

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