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Die Erde fragen, was jetzt gebraucht wird

Thomas Dahlberg
Mädchen im Dorf der Kogis, einem indigenen Volk in Kolumbien. |
Thomas Dahlberg

Wie das indigene Volk der Kogi die Erde retten will

Das indigene Volk der Kogi, das abgeschieden in den Bergen Kolumbiens lebt, wünscht sich nichts sehnlicher, als die Erde zu bewahren. Klimawandel und Zerstörung sind für Sie Ausdruck spiritueller Unterentwicklung. Jetzt wollen sie ihre Fähigkeiten nutzen, um die Welt zur Umkehr zu bewegen. Geseko von Lüpke berichtet über ein außergewöhnliches Volk mit einer besonderen Mission.

“Für uns ist Mutter Erde ein Lebewesen, ein lebendiges Geschöpf”, erklärt Arregocés Coronado, der zum indigenen Volk der Kogi gehört, das in einer abgelegenen Gegend in Kolumbien lebt. Die Kogis verstehen sich als diejenigen, die noch die ‘ursprüngliche Bedienungsanleitung’ der Erde kennen. Sie wissen, wie wir uns um die Erde gut kümmern können. Und vor allen Dingen, wie wir als Menschen gut im Gleichklang mit dem Planeten leben können.

Ihre Heimat ist der tropische Nordosten von Kolumbien. Irgendwo hoch oben hinter eisigen Gebirgsflüssen und Schluchten lebt das fast vergessene, fast unerreichbare indigene Volk, das sich die ‘Kogi’, ‘Kaggaba’ oder ‘Älteren Brüder’ nennt. Alle anderen Nicht-Indigenen nennen sie ‘Hermanos Menores’ – die Jüngeren Brüder’, die aus ihrer Sicht den Kontakt zur Erde verloren haben und die Gesetze der Natur nicht länger respektieren.

Der weit über 80jähige Medizinmann und Philosoph ‘Mama’ José Gabriel blickt zurück in die Vergangenheit: “Wir sind hoch in die Berge gestiegen und haben uns dorthin zurückgezogen. Die jüngeren Brüder haben die Tiere nicht geachtet, sie haben die Flüsse und die Quellen nicht geachtet. Das hat sich die letzten 500 Jahre nicht geändert.

Wir haben gewartet. Vor einiger Zeit haben wir gesehen, dass es so nicht weitergehen kann. Denn uns wurde das Herz der Erde gegeben, damit wir uns darum kümmern. Wenn wir uns nicht um das Herz der Erde, die Sierra kümmern, dann wird es sterben. Es wird sterben, und da es das Herz ist, wird die ganze Welt sterben.”

Wie auf einem anderen Planeten

Zwischen 16.000 und 22.000 Kogis leben in Dörfern mit bis zu 300 Bewohnern, weit verteilt in der Bergwildnis. Gemüsegärten umgeben die Siedlungen, kleine Kaffee- und Obstplantagen. Keine Autos gibt es hier, keine Straßen, keinen elektrischen Strom.

In einem der Zeremonialhäuser haben die “Mamos”, die Priester der Kogi, vor rund 40 Jahren nach Jahrhunderten der ängstlichen Isolation beschlossen, sich für den großen ‘Rest der Welt’ ganz vorsichtig zu öffnen.

Als allerersten luden sie den Filmemacher Alan Eirera von der britischen BBC ein, der damals einen weltweit beachteten Dokumentarfilm über sie drehte. Der emeritierte Professor an der Universität von Wales erinnert sich an den Moment, wo er das verborgene Land der Kogis über eine wackelige Hängebrücke erstmal betrat.

“Das war wie in einem Science Fction: Eindrückewie auf einem anderen Planeten. Ich erwartete ein primitives Indio-Dorf und traf stattdessen ausdrucksstarke selbstsichere Persönlichkeiten wie aus einem Kinofilm: Weiß gekleidete, freundliche, feine Menschen. Analphabeten einerseits, aber sehr ernsthaft, hoch intellektuell und tief philosophisch”

Die Intelligenz der Natur ins Zentrum stellen

Tatsächlich war es dem Volk der Kogi gelungen, tief verborgen in den Wäldern des schwer zugänglichen Gebirges in selbst gewählter Isolation über 400 Jahre ihre mindestens 4.000 Jahre alte vorkolumbianische Kultur zu bewahren.

Von ihren verborgenen Bergdomizilen konnten sie dem Zerfall der modernen Welt mit ihren sozialen und ökologischen Krisen wie von oben zuzuschauen – und das voller Sorge darüber, was außerhalb des ‘Herzens der Erde’ passierte.

Denn die Kogi sehen sich als ‘Hüter der Erde’, als ‘kosmische Verwalter’ des universellen Gleichgewichts, erzählt Lucas Buchholz. Der Friedens- und Konfliktforscher folgte einer Einladung des indigenen Volkes, schrieb nach seiner Forschungsreise das Buch ‘Kogi. Wie ein Naturvolk unsere moderne Welt inspiriert’ und organisiert mit dem Verein ‘Lebendige Zukunft’ kulturelle Brückenschläge zwischen hier und dort.

Die Essenz der Kultur der Kogi ist, die Intelligenz oder die Genialität der Natur ins Zentrum zu stellen: ins Zentrum ihrer Kultur, ins Zentrum ihres Denkens, ihres Handelns.

Die Kogis ehren jeden Fluss, fühlen sich mit allen Spezies verbunden, nehmen nie mehr als sie brauchen und sorgen für einen steten Ausgleich, wenn sie der Erde etwas entnehmen.

Die Erde hat Empfindungen wie andere Wesen auch

All ihr Denken und Handeln ist ausgerichtet auf das, was wir ‘ökologische Verantwortung’ nennen: Für sie ist es die lebenfördernde Entwicklung ihrer Heimat, die sie das ‘Herz der Erde’ nennen. Wer aber für das Herz verantwortlich ist, der muss auch den ganzen Körper im Blick haben. Deshalb wollen sie ihr altes Wissen mit den Milliarden der ‘Jüngeren Brüder’ in aller Welt teilen.

In der Kosmovision dieses Volkes ist die Erde ein bewusstes, fühlendes Lebewesen. Kein Objekt der Ausbeutung, sondern ein Subjekt mit Willen, Absicht und tiefem Sinn. Ein Gegenüber, mit dem sie pausenlos in Kontakt treten, erklärt Arregocés Coronado, einer der wenigen modern ausgebildeten Kogi, Lehrer an den eigenen Schulen und Übersetzer der Mamos im Kontakt mit der Außenwelt.

“Für uns ist Mutter Erde ein Lebewesen, ein lebendiges Geschöpf. Was heißt das? Sie hat Empfindungen wie ein Lebewesen, auch wie wir Menschen. Sie hat Organe, Gehirn, Venen, Adern. Deshalb ist es für uns von so großer Bedeutung, das zu ehren und zu bewahren, was in und unter der Erde ist – Mineralien, Kohle, Minen und Steinbrüche. All das wird ja aus der Erde rausgeholt, aber es gehört zum Körper von Mutter Erde. Aus diesem Grund geben wir immer wieder eine Botschaft an die jüngeren Brüder, dass sie damit aufhören sollen, die Erde zu zerstören. Hören wir damit auf, unsere Mutter zu zerstören.”

Die materielle Welt ist von der spirituellen durchdrungen

Nach den Kogi ist die Landschaft, dieser Körper der ‘All-Mutter’, die Materialisierung von der spirituellen Welt, von ihren Gedanken. So wird das ausgedrückt: Die All-Mutter hat erstmal die Welt gedacht und dadurch auch gewoben wie ein ganz großes Stück Stoff.

Und dieser Stoff, das ist die Erde selbst. Alle Natur-Elemente, die Flüsse, die Seen, die Berge, die Höhlen, die Steine – alles ist ein tief durchdachter Teil des Ganzen. Aber es wurde alles erst gedacht, alles war erst eine Idee, ein Gedanke. Somit steckt heute noch dieser Geist – ‘Aluna’ wird er genannt – in allen Dingen. Darum sind auch alle Dinge bewusst.

Siedlung der Kogis im Nordosten Kolumbiens, Foto: Thomas Dahlberg

Über Tausende von Jahren haben die Kogi Methoden und Rituale entwickelt, um mit dieser intelligenten Schöpfungskraft ‘Aluna’ ständig zu kommunizieren. Aluna ist es, die dem Volk seinen Auftrag als ‘Hüter der Erde’ gibt. Der BBC-Filmemacher und Anthropologe Alan Ereira hat seinen jüngsten Film über die Kogi ‘Aluna’ genannt: „Aluna ist der Lebensfluss im Erd-Körper. Aber es ist zugleich die Gedankenstruktur, die unter der materiellen Realität liegt. Und so ist diese Kraft die innerer Realität von allem, was ist. Das ist etwas sehr Elementares“

Mit den ‘Mamos’ und ”Sagas’ – ihren Priestern und Priesterinnen – haben die Kogis eine ganz andere Form von ‘Wissenschaft’ und Wissenden etabliert. ‘Mama’ heißt soviel wie ‘Sonne’. Ein Mama transportiert das innere Licht zu seiner Gemeinschaft, gilt selbst als erleuchtet.

Die Mamos durchlaufen die wohl unvorstellbarste Ausbildung der Welt. Werden sie als Kleinkinder für diese Funktion ausgewählt und ‘erkannt’, dann verbringen sie die kommenden 18 Jahre in absoluter Dunkelheit in immer wieder tiefer Meditation, ausgebildet von den Ältesten des Volkes. In Alan Ereira’s Film ‘Aluna’ erzählt der ‘Mama’ Manuel:

“Ich kam im Alter von sieben Monaten in die Dunkelheit und blieb dort, bis ich zum Mann wurde. In der Dunkelheit lernte ich alles, was ein Mama ausmacht. Da gibt es keine Ablenkung und der Geist ist völlig konzentriert. Mir wurde gezeigt, wie ich auf meine Füße blicke, in die Versenkung gehe, mich mit ‘Aluna’ verbinde. In der ganzen Ausbildung gab es nur besonderes Essen, baden dürfte ich nur um Mitternacht. Als ich nach 18 Jahren aus der Dunkelheit kam, erschien mir die Welt blendend weiß. Ich konnte die Natur erst nur anstarren, die Sonne, die Bäume, die Lebewesen. Alles sah fremd und eigenartig aus.”

Die Veränderung des Klimas zeigt die spirituelle Unterentwicklung

Die Ausbildung zum Bewahrer der Traditionen fand lange Zeit in Höhlen statt. Das hat sich gelockert. Aber noch heute lernen die Mamos und Sagas jahrelang im Dunkeln – für sie der Ursprung aller Dinge – um das Licht der Welt völlig zu verstehen und zu sein. Nicht immer sind die Weisheiten der indianischen Erleuchteten für die Menschen der Moderne verständlich – zu unterschiedlich sind Welterfahrung, Sozialisation und Einsicht in die innere Struktur der Welt.

“Der Mutter Erde geht es immer schlechter. Das sich vergrößernde Ungleichgewicht in der Natur zeigt, dass das Ungleichgewicht unserer Gedanken immer größer wird,“ erklärt der alte Weise ‘ama’ Jos´Gabriel und sagt: „Die Veränderung des Klimas ist ein Zeichen der spirituellen Unterernährung der Mutter. Wenn die Erde gesund ist, sind auch wir Menschen gesund.”

Von uns fordern die ökologischen Weisen aus den Bergen Kolumbiens, Großprojekte zu stoppen, die Erde zu respektieren, die intelligente Natur nicht länger zu manipulieren, kommenden Generationen mehr Leben zu hinterlassen und zerstörte Ökosysteme jetzt zu regenerieren.

Solche Aussagen haben bei manchen westlichen Sinnsuchern dazu geführt, die Indios zu Öko-Heiligen und jeden ‘Mama’ zu einem grünen Messias zu machen. Die Kogi weisen solche Projektionen zurück, wollen aber, dass die Menschen der modernen Welt umkehren und ihren Materialismus in Frage stellen.

Wo können wir die Prinzipien der Kogis bei uns finden?

Dieser Ruf hat Ökologen, Kultur- und Naturwissenschaftler angelockt, die versuchen, von den Kogi zu lernen. Die UN-Organisation UNESCO erforscht mit ihrem Projekt ‘Bridges’ – ‘Brücken’, wie die Kogi erfolgreich zerstörte Wasserläufe wiederbeleben und so ganze Ökosysteme regenerieren.

Der Friedens- und Konfliktforscher Lucas Buchholz will eine Akademie für die Weitergabe des ursprünlichen Wissens gründen. Und ist doch zugleich unsicher, ob der Brückenbau gelingen kann. Er sagt:

“Es geht nicht darum, so zu werden, wie die Kogi. Es geht darum, sich zu erinnern, wieder zu schauen, wo diese Prinzipien bei uns zu finden sind. Wo sie vielleicht in der Vergangenheit.zu finden waren Und wo wir sie in zukünftigen Projekten, unsere unsere Wirtschaft und Gesellschaft zu gestalten, wieder anwenden können. Und das können uns die Kogi nicht sagen. Das ist unsere Aufgabe.”

Alan Ereira, britischer Anthropologe, Autor und Filmemacher, ist durch den Kontakt zu den archaischen Weisen aus den Bergen Kolumbiens tief verändert worden. Sein Fazit lautet:

“Was wir von ihnen im Kern lernen können ist nicht nur Wissen, sondern insbesonders die Haltung intelektueller Demut: Für die Kogis sind wir die Verrückten. Also gilt es, durch diese Begegnung anzuerkennen, dass es enorm viel gibt, was wir nicht wissen und uns das zur Vorsicht mahnen sollte, anstatt weitere Zerstörung anzurichten.

Sie fordern uns auf, stattdessen wieder die Erde selbst zu fragen, was gebraucht wird. Und dann zu lernen, zuzuhören. Anstatt die Welt zu einer Projektion dessen zu machen, wer wir sind. Denn das machen wir pausenlos. Und es muss einen anderen Weg geben.”

Dr. Geseko von Lüpke ist freier Journalist und Autor von Publikationen über Naturwissenschaft, nachhaltige Zukunftsgestaltung und ökologische Ethik.

Der Autor dankt Prof. Irmala Neu (München) für die korrekte Übersetzung aus dem Spanischen, Alan Ereira (London) für die Genehmigung, Zitate aus dem Film ‘Aluna’ und Lucas Buchholz, Zitate aus seinem Buch zu verwenden

Mehr Information

Buchholz, Lucas: Kogi. Wie ein Naturvolk unsere moderne Welt inspiriert, Neue Erde-Verlag 2019

Ereiea, Alan: Aluna, (Film von 2016) im Internet: Aluna English Version on Vimeo

Ereira, Alan: From the Heart of the World. The Elder Brothers Warning (1990) im Internet: www.taironatrust.org/the-films

Dr. Geseko von Lüpke ist freier Journalist und Autor von Publikationen über Naturwissenschaft, nachhaltige Zukunftsgestaltung und ökologische Ethik.

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