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Die Jagd nach Belohnung schadet uns

Cover Dopamin-Nation

Wichtiges Buch einer Suchtexpertin

Belohnung ist eine vorherrschende Antriebskraft im Leben der Menschen in den reichen Ländern. Doch das hat viele Nachteile, wie die Suchtexperin Anna Lembke erklärt. Denn wir brauchen immer mehr, um glücklich zu sein, und können immer weniger ertragen. „Dopaminfasten“ und Achtsamkeit wären hilfreich, um sich mit dem Leben zu verbinden.

 

„Wie wäre es, wenn wir uns der Welt zuwenden würden, anstatt zu versuchen, sie zu vergessen, indem wir vor ihr fliehen?“ Diese Frage stellt die bekannte amerikanische Suchtexpertin und Psychiaterin Dr. Anna Lembke in ihrem Buch.

Sie meint, dass die Sehnsucht nach einer Auszeit vom Alltag viele Menschen in die Abhängigkeit führt. Heute gibt es so viele Fluchtmöglichkeiten wie noch nie, angefangen von sozialen Medien, Videospielen, Fastfood bis hin zu diversen Substanzen. Sie erklärt, was diese Hypermedikation, Reizüberflutung und das ständige Vergnügungsangebot mit Menschen macht.

Anschaulich erklärt sie zunächst, wie das Belohnungssystem im Gehirn funktioniert. Ein ganzes Kapitel ist dem Dopamin gewidmet, denn das Verlangen nach Vergnügen und Genuss wird durch Dopamin gesteuert. Es ist der wichtigste Neutransmitter im Belohnungsprozess.

Dopamin spielt daher beim Thema Abhängigkeit eine große Rolle. Es gilt somit auch als Maßstab, um das Suchtpotential eines bestimmten Verhaltens oder einer bestimmten Substanz zur ermitteln. Je mehr Dopamin durch das Verhalten oder durch den Konsum der Substanz ausgeschüttet wird, desto eher führt es in eine Abhängigkeit.

Die Krux: Das Verhalten verschafft den Konsumenten zwar eine Pause, aber auf lange Sicht macht es das Leben nicht einfacher und verschlimmert sogar die Probleme. Dazu erklärt sie weitere interessante Zusammenhänge.

Das Gleichgewicht zwischen Genuss und Schmerz ist ins Wanken geraten

Das Genuss- und Schmerzzentrum im Gehirn hängen laut Anna Lembke eng zusammen. Viel Genuss kann auf der anderen Seite zu mehr Schmerzen führen. „Das Paradoxe ist […], dass das Streben nach Genuss und Vergnügen um des Genusses und Vergnügens willen zu Unfähigkeit führt, irgendeine Art von Genuss und Vergnügung zu empfinden“, schreibt die Wissenschaftlerin.

Da Belohnung eine dominierende Antriebskraft im Leben heute darstellt, ist das Gleichgewicht zwischen Genuss und Schmerz ins Wanken geraten. Sie kommt zum Schluss, dass wir heute mehr Belohnung brauchen, um Genuss zu schätzen, und weniger Fähigkeiten haben, Verletzung und Schmerz zu ertragen.

Die ständige Suche nach einer Belohnung ist mit ein Grund, warum so viele Menschen im globalen Norden unglücklich sind, nicht erklärbare Schmerzen haben und unter psychischen Problemen wie Ängsten leiden. Der Wohlstand dürfte dies eher verstärken als verringern. Lembke führt dies auch darauf zurück, dass viele Menschen ständig darum bemüht sind, jegliches Unglück zu vermeiden. Die Fähigkeit, mit Enttäuschungen gut umzugehen, nehme dadurch ab.

„Dopaminfasten“ und Achtsamkeit wären hilfreich

Viele Beispiele aus der Praxis, etwa eines Sexsüchtigen oder auch aus ihrem eigenen Leben – sie hat einen Hang zu Liebesromanen entwickelt – führen durch das Buch. Dabei geht sie auf eine Vielzahl von unterschiedlichen Suchtverhaltensweisen ein. Die Beispiele ihrer Klienten sind nicht immer relevant für den Durchschnittsbürger, sie zeigen aber sehr gut die Entstehung von Sucht.

Sie schreibt auch darüber, wie Patienten erfolgreich ihre Abhängigkeit überwunden haben. Lösungsvorschläge bietet sie auch den Leserinnen und Lesern an. So geht sie der Frage nach, wie der zwanghafte Überkonsum, das ständige Verlangen nach Genuss, vermieden werden kann. Hier rät sie zum „Dopaminfasten“. Achtsamkeit und ein Weg von Maß und Mitte seien dabei zentral.

Auch rät sie zu Ehrlichkeit sich selbst und den Mitmenschen gegenüber. Wir sollten Verantwortung im Leben übernehmen, so ihr Appell. Beides sind übrigens auch zentrale Punkte im Programm der Anonymen Alkoholiker.

„Während Ehrlichkeit menschliche Bindungen fördert, bewirkt der zwanghafte Überkonsum von Dingen, die für eine hohe Dopaminausschüttung sorgen, das Gegenteil von menschlicher Bindung“, schreibt Lembke. „Der Konsum führt zu Isolation und Gleichgültigkeit, da die Droge die Belohnung ersetzt, die man dadurch erhält, dass man mit anderen Menschen in Beziehung ist.“

Sehr interessant sind vor allem die neurowissenschaftlichen Erkenntnisse und ihr Wissen um Suchtverhalten und wie Dopamin uns antreibt. Sie schafft es, neurowissenschaftliche Erkenntnisse für Laien spannend und verständlich zu darzubringen. Ein interessantes, lesenswertes Buch.

Ester Platzer

Anna Lembke. Die Dopamin-Nation – Balance finden im Zeitalter des Vergnügens. Unimedica 2022

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