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Die Kraft der Sanftmut

Sharon Mccutcheon/ Unsplash
Sharon Mccutcheon/ Unsplash

Oder wie man Ziele anders erreicht

„Mit deiner Sanftmut kommst du nicht weit“, ist ein Satz, den Anke Brehl oft gehört hat. Man kann nur etwas erreichen, wenn man laut ist. Doch stimmt das? Gedanken über die friedliche und starke Qualität von Sanftmut, die am Mitgefühl und am Miteinander orientiert ist.

„Ich bin bewegt!“ oder „Das berührt mich.“ Das sagen wir oft. Jeder Tag, jede Situation schenkt Gelegenheit zu Begegnung, zu Berührung durch das, was ist. Begegnung und Berührung sind zwei zentrale Größen meines Denkens und Fühlens: In dem Maße, in dem ich mich für Begegnung zu öffnen vermag, in dem Maße, in dem ich Berührung zulassen kann, fühle ich Lebendigkeit und Sinn.

Was berührt mich? Was begegnet mir in den verschiedenen Sphären meines Lebens? Und wie entfaltet es sich in mein Leben hinein? Ich empfinde jede echte Begegnung mit einem „Du“ oder mit einem „Es“ als Chance, meinem „Ich“ zu begegnen, mich berühren und inspirieren zu lassen.

Ich habe eine Liste mit Lieblingsworten. Worte, die mich berühren, etwas in mir zum Klingen bringen, manchmal Gänsehaut machen, mich lächeln oder weinen oder mitten in meinem Tun anhalten lassen. Auf der Liste finden sich aber auch Worte, von denen ich spüre, dass sie eine Bedeutung für mich haben, die sich mir noch nicht endgültig erschlossen hat. „Lauschen“ ist so ein Wort. „Stille“ oder „Jesus“ stehen auf der Liste, „Schmetterling“, aber auch ein Wort wie „Purzelbaum“ (das mich tief in meinem Bauch lächeln lässt und ein Gefühl wie …. Purzelbaum weckt).

Seit neuem steht das Wort „Sanftmut“ auf dieser Liste. So lange schon hadere ich damit, eher „weich“ zu sein und überhaupt kein dickes Fell zu haben, so dass mir Dinge sehr schnell sehr nahe kommen und oft das Bedürfnis entsteht, mich zu schützen. Wie oft nervt es mich, dass ich irgendwie nur „leise“ kann, während um mich herum jene Gehör finden, deren Lautstärke permanent auf maximal steht.

Wie gern wäre ich manchmal resoluter, würde meiner Meinung gern bestimmter Ausdruck verleihen oder auch meiner diffusen Wahrnehmung Raum geben: „Hier ist was richtig schräg, Leute, haltet mal an! Ich kann es noch nicht benennen, aber bitte Stopp!“.

Ja zur Sanftmut sagen

Was tue ich stattdessen? Ich lasse die Dinge wie sie sind und ziehe mich zurück. Ich flüstere „Halt“ und wundere mich, dass niemand es hört. Ich negiere meine Wahrnehmung, denn, wenn sie richtig und wichtig wäre, hätten andere sie doch auch, oder?

Und schließlich fange ich an zu glauben, verletzlicher zu sein als andere. Und irgendwie ganz tief drinnen ja vielleicht sogar nicht so gut, nicht so leistungsfähig wie andere? „Mit deiner Sanftheit kommst du nicht weit!“ – Ein elterliches Echo in meiner Seele und auch heute höre ich es oft, gerade im Beruf. Will ich es glauben?

Und jetzt kommt es: Nehmen Sie das kleine schüchterne „Sanft“, das leise nach einem Weg sucht, in der Welt zu wirken und manchmal an ihr zweifelt. Fügen Sie dem nun ein überzeugtes und kraftvolles „Mut“ hinzu. Spüren Sie, wie es groß wird? Wie es selbstverständlich Raum nimmt und einfach da ist? Einmal bitte auf der Zunge zergehen lassen: Sanfter Mut.

Ich will nicht von dem langen Weg erzählen, den es brauchte, um „Ja“ zu dem „Sanft“ zu sagen. Stattdessen soll hier etwas von der Freude an der Erkenntnis stehen, mit sanftem Mut da sein zu wollen. Es immerhin zu versuchen.

Ich erinnere mich an ein Gespräch mit einem eigentlich Fremden in einem Retreat, der mir zuhörte, meine Zweifel kannte und meinen Wunsch nach Rückzug und Schutz verstand. Ehrlich gesagt, weiß ich nicht mehr, wie er hieß, doch was in mir blieb, waren seine klaren Worte:

„Immer dann, wenn du mit deiner Sanftheit ausweichst – aus welchen Gründen auch immer – immer dann wird der Raum größer für das, was du nicht willst. Immer dann, wenn du dich leise zurückziehst, machst du den Lauten Platz. Immer, wenn du dir nicht glaubst, dann glaubt dir niemand. Sei mutig, bleib da.“

Da ging eine Tür in mir auf, einen kleinen Spalt zunächst. Denn tatsächlich – das Da-Bleiben und Einstehen für das, was mir wichtig ist, braucht wirklich Mut. Sanften Mut, Milde mit meinem Gegenüber, aber auch mit mir selbst.

Doch mehr und mehr fühle und erkenne ich, liebe ich diese sanfte Kraft. Sanftmut. Eine leise, doch vehemente Kraft, von der wir mehr brauchen. Eine Qualität friedlich und wirkungsvoll, geprägt von Mitgefühl und orientiert auf das Miteinander, statt dem Gegeneinander.

 

Anke Brehl ist Soziologin und arbeitet als Referentin und Beraterin an einer Universität. Sie ist Mutter zweier toller Jungs im Teenageralter, die sie immer wieder einladen, neu über das Leben nachzudenken. Sie engagiert sich ehrenamtlich und ist schreibend, singend, fragend und staunend in der Welt.
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Mit Referenten aus verschiedenen Disziplinen.

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