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Die letzten Trümpfe der Menschheit

Foto: privat
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Philosophische Kolumne: Alternativen zur Ökodiktatur

Manchmal überfällt mich nachts ein Schemen, ein Bild, ein Gedanke gar und reißt mich aus dem Schlaf. Dann formt sich, scheinbar von ganz allein, ein Text. Heute Morgen um fünf Uhr öffnete sich das Fenster der Erinnerung und ich saß mit zwei Gästen in meiner Wohnung in New Delhi.

Beide waren zu Kurzzeitdozenturen an die Universität gekommen, wo ich als DAAD-Lektor deutsche Kultur und Philosophie unterrichtete. Der Leibniz-Kenner Hans Poser von der Freien Universität Berlin war der eine, den Namen des anderen erinnere ich nicht mehr, wohl aber, dass ich von ihm tief beeindruckt war, weil er seine Auszeit von akademischen Pflichten mit der Lektüre von Thomas Manns Joseph-Roman füllte.

Und klar und deutlich stieg mir heute Nacht das Thema jenes Abends vor Augen. Vor einem Vierteljahrhundert machte eine neue ökologische Idee die Runde: das Handeln mit CO2-Zertifikaten.

Damals erschien mir der Vorschlag eines Emissionsrechtehandels pervers und ich gab dem in unserer Runde Ausdruck: so weit also sei es mit den gierigen Märkten gekommen, dass sie nun auch aus der Luft noch eine Ware machten!

Meine Gäste konnten meine Empörung verstehen, auch sie teilten meine Wertschätzung für eine Natur, die als Mutter des Lebens zu würdigen und folglich nicht zu verhökern sei. Aber sie argumentierten sachlicher und vor allem pragmatischer.

Unsere Gespräche werden damals wohl durch die komplizierten Schleifen mäandert sein, in denen sich moralische und politisch-wirtschaftliche Perspektiven verknüpfen.

Der einzelnen Linien und Positionen kann ich mich heute nicht mehr entsinnen, ich glaube aber, dass ich mich hinter meinem moralischen Argument verschanzt hatte und im Emissionshandel nichts anderes als einen Angriff auf die ‚heilige Natur‘ erkennen wollte.

Deutlich aber steigt wieder die Erinnerung an das Ende des Abends auf: Ich fuhr meine Gäste ins Gästehaus der Universität, und dabei passierten wir die eilig aufgeschlagenen Zelte am Rand der Stadtautobahn, in denen die Ärmsten der Armen Zuflucht gesucht hatten vor dem Monsunhochwasser des Yamuna-Flusses. Die Petroleumfeuer erleuchteten gespensterhaft die dunklen Gestalten, Kinder sprangen umher und jagten einander im Spiel.

Im Auto ein bedrücktes Schweigen, wie ein dumpfer Nachhall unserer weltverbessernden Gespräche in meiner geräumigen Wohnung in einem der Villenviertel der indischen Metropole.

Das ist ein Vierteljahrhundert her. Delhi rühmte sich damals schon mit der schlechtesten Luft der Welt. Seitdem haben per Dekret die Busse, Taxis und Tuk-Tuks auf Gas umgestellt, eine U-Bahn wurde in den sumpfigen Grund gebuddelt, doch an der Luftqualität hat das nur kurzfristig etwas geändert.

Fortschritte in der Bekämpfung der Armut sind gemacht worden, die materiellen Lebensbedingungen haben sich verbessert, Bettler sieht man sehr viel seltener. Aber, wie überall auf der Welt: die Menschheit hat ihre Anleihen dafür bei der Natur genommen.

Der Emissionshandel hat die Hoffnungen nicht einlösen können, die seine Einführung begründeten. Die Märkte, freie wie geregelte, können anscheinend die Umweltprobleme nicht lösen. Die Idealisten träumen vom Bewusstseinswandel, und wahrscheinlich kommt der über kurz oder lang.

Die „Vital Few“, die aktiv Wenigen, die mit ihrer Lebensführung ökologische Verantwortung übernehmen, können an bewusstseinsverändernden Narrativen stricken und immer größere Teile der Gesellschaft darin einbinden. Immer noch steht das zu hoffen. Über kurz oder lang – doch wieviel Zeit haben wir noch?

Vor fast vierzig Jahren erschien das ethische Hauptwerk des deutsch-israelisch-amerikanischen Philosophen Hans Jonas Das Prinzip Verantwortung. Dort las ich zum ersten Mal das Wort von der ökologischen Diktatur. Sie drohe, so Hans Jonas, wenn es der menschlichen Vernunft nicht gelinge, der Umweltzerstörung Einhalt zu gebieten.

Die ökologische Diktatur ist somit die letzte Trumpfkarte, die die Menschheit ausspielen kann. Sie würde, wenn sie gelänge, wenn sie gelingen müsste, alle anderen Karten ausstechen, die wir bislang ausgereizt haben: der demokratische Souverän und der politische Pluralismus, die freien Märkte und das kleine Glück des Konsumenten, die ungehinderte Mobilität, der weltöffnende Tourismus und anderes mehr.

Und vor allem käme ein zentrales Narrativ der westlichen Zivilisationen unter die Räder: die freie Selbstbestimmung des Menschen, gehegt und gepflegt seit der europäischen Aufklärung, pervertiert durch ein Wirtschaften, das sich darin perfektioniert hat, stets neue Bedürfnisse zu schaffen. Die ökologische Diktatur wäre das Bekenntnis eines Ruins von Politik und Vernunft. Und doch ist sie vielleicht unsere letzte Hoffnung.

Oder auch ein Angstgespenst, das uns aufrüttelt. Vielleicht schreckt die Vision einer ökologischen Diktatur den Egozentrismus des heutigen Erdenmenschen stärker als die Bilder des Naturelends, mit denen wir täglich konfrontiert sind: Dürre, Hunger, Überschwemmungen, aber auch das vor Schmerz quiekende Ferkel, dem ohne Betäubung die Hoden abgeschnitten werden, damit uns sein Fleisch besser schmecke.

Das Archiv solcher Bilder hat ein fast endloses Volumen, und der eigentliche Skandal besteht darin, dass es nur ein, zwei oder höchstens drei Generationen sind, die diese grausamen Bilder zu verantworten haben.

Doch es gibt auch andere Perspektiven. Die zum Himmel beispielsweise. Nein, da winkt mir kein Trost, eher ist es eine melancholische Traurigkeit: Gibt es vielleicht Zivilisationen ‚da draußen‘, die es besser können? Die vernünftiger sind als wir? Die ohne Ökodiktatur leben können? Der kluge Film Arrival handelt davon. Außerirdische parken ihre Raumschiffe in Sichtweite, die Menschheit ist alarmiert und erwägt Nuklearschläge: Weshalb sind sie gekommen? Was wollen sie? Der Film deutet eine Antwort an: Sie wollen uns helfen. Nur das.

Das ist beschämend und berührend zugleich. Kürzlich sagte der Mitbewerber um die Merkel-Nachfolge, Friedrich Merz, wir bräuchten mehr Aktienbesitzer. Ich halte dagegen: wir brauchen mehr Schulen, mehr Bildung und mehr hoffnungsvolle, bewusstseinsverändernde Narrative wie diesen Film. Wir brauchen sie gegen die Totengräber unserer Kultur und unseres Lebens. Damit wir noch eine Alternative haben zur Ökodiktatur.

Peter Vollbrecht, 18. November 2018

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