Die Akademie der Weltreligionen geht unkonventionelle Wege
Die Akademie der Weltreligionen in Hamburg hat sich auf den interreligiösen Dialog spezialisiert – in Forschung und Praxis. An allen Aktivitäten sind Vertreter verschiedener Religionen beteiligt. Lesen Sie den Bericht über dieses innovative Projekt.
Sechs Stockwerke geht es hinauf, um zur Akademie der Weltreligionen in den Alsterterrassen zu gelangen. Doch das 2010 gegründete Institut an der Universität Hamburg, das zum interreligiösen Dialog arbeitet, ist kein Elfenbeinturm, sondern will in die Gesellschaft hineinwirken. Und die ist, besonders in den Städten, multikulturell und multireligiös.
Metropolen wie Berlin, Frankfurt und Hamburg bieten über 100 Religionsgemeinschaften eine Heimat. Da passt der eindimensionale Blick auf Religion und Kultur nicht mehr in die Zeit. Professor Weiße, einer der beiden Direktoren der Akademie, hat das früh erkannt. Seit 20 Jahren beschäftigt ihn die Frage, wie unter den Religionen „ein Dialog auf Augenhöhe“ möglich ist.
Mit der Akademie hat er eine Art Versuchslabor für den interreligiösen Dialog errichtet. Das Team ist interdisziplinär und interreligiös zusammengesetzt. Unter den Professoren und Angestellten sind Mitglieder der großen Weltreligionen: Alevitentum, Buddhismus, Christentum, Hinduismus, Islam und Judentum. Denn die pluralistische Perspektive ist das Innovative – sei es bei öffentlichen Veranstaltungen und Vorlesungen, in den Forschungsprojekten oder im Master-Studiengang, in denen Studenten die Kunst des interreligiösen Dialogs erlernen.
Abenteuer Textauslegung
Herzstück der Akademie ist das Forschungsprojekt „ReDi“: Religion und Dialog in modernen Gesellschaften. Es ist auf fünf Jahre angelegt und wird mit mehr als drei Millionen Euro vom Bundesministerium für Bildung und Forschung gefördert. Schwerpunkte sind die Theologie und die empirische Forschung, denn beides gehört zur Religion: die Texte und der Alltag.
Ist es in der Theologie üblich, die heiligen Texte der eigenen Tradition aus dem eigenen dogmatischen Blickwinkel heraus zu betrachten, so geht man hier „multiperspektivisch“ heran. Die jeweiligen Vertreterinnen und Vertreter der Religionen forschen in ihren kanonischen Werken nach Quellen, in denen es um Möglichkeiten und Grenzen des Dialogs geht.
Regelmäßig versammelt sich das Team, um einzelne Texte gegenseitig zu interpretieren. Es kann also vorkommen, dass eine Stelle aus dem Koran präsentiert wird und Christen, Buddhisten, Aleviten sagen, wie sie diese Quelle auslegen würden. Das ist der multiperspektivische Ansatz.
Die Forscher sehen also ihre eigene Religion aus der Sicht der anderen, sie lesen die Texte mit den Augen der anderen, sie lernen ihre eigenen Konzepte an denen der anderen zu überprüfen. Im Laufe der Zeit soll daraus eine ganz neue Methode der Auslegung entwickelt werden: eine dialogische Theologie, die ihren Wert dadurch gewinnt, dass sie Auslegungen aus unterschiedlicher Perspektive zulässt und einbezieht.
„Die gemeinsame Arbeit an den Quellen erweitert meinen Horizont“, sagt Carola Roloff, eine buddhistische Nonne und Wissenschaftlerin, die in dem Projekt mitarbeitet. „Ich merke, dass ich an die religiösen Texte immer auf der Basis meines eigenen buddhistischen Verständnisses und meiner europäisch-kulturellen Prägung herangehe; das war mir früher nicht so bewusst. Dasselbe gilt vermutlich auch für die anderen. In unseren Auslegungsgesprächen erfahren wir, wie wir uns annähern. Und dann kommt irgendwann der Punkt, wo es plötzlich keine Rolle mehr spielt, aus welcher Religion ich eine Quelle betrachte.“
Welche „Alltagstheologie“ haben die Menschen?
Natürlich treten auch Differenzen zutage. Diese anzuerkennen ist für Weiße Teil der Übung: „Es geht uns nicht darum, die Unterschiede der Religionen wegzudiskutieren und einen Einheitsbrei anzurühren, sondern um eine Öffnung gegenüber anderen Anschauungen. Religionen sind offen und nicht durch die Vergangenheit festgelegt.“
Aus diesem Grund ist ein weiterer Strang des ReDi-Projekts der empirischen Forschung gewidmet, um herauszufinden, inwieweit sich Theorien und Glaubenssätze mit der gelebten Religion decken. Wissenschaftler befragen Menschen auf der Straße, in den Gemeinden darüber, was sie über Religion denken und welche Rolle sie in ihrem Leben spielt. Wie dialogbereit sind sie? Weiße nennt das die „Alltagstheologie“, und sie könnte durchaus die akademische Theologie beeinflussen, denn „Religionen sind für die Menschen da und kein Selbstzweck.“
Die Befragungen fördern wichtige Erkenntnisse zutage. So gibt es z.B. muslimische Frauen, die das traditionell vermittelte Frauenbild zurückweisen und auf ihre Gleichberechtigung pochen. Ganz selbstverständlich gehen sie eigene Wege, ohne jedoch ihre angestammte Religion zu verlassen. Das heißt, hier unterscheidet sich das Alltagsverständnis klar von der Theologie.
Eine Insel der Seligen?
Die Akademie der Weltreligionen arbeitet auf hohem Niveau mit Mitarbeitern, die gebildet, tolerant und offen für Neues sind. Ist es eine Insel der Seligen in einer chaotischen, von Gewalt und Intoleranz zerrütteten Welt? Vertreter der Akademie weisen das zurück.
Der Anspruch ist, in die Gesellschaft hineinzuwirken. Zum Beispiel gibt es öffentliche Veranstaltungen in Hamburg wie regelmäßige Ringvorlesungen oder Dialogrunden mit Politikerinnen und Politikern der Stadt Hamburg.
„Aber die Gesellschaft braucht Vordenker, und darin sehe ich unsere wichtigste Rolle“, so Roloff. Denn die gängigen, engen Sichtweisen in den Theologien taugten teilweise nicht mehr für das 21. Jahrhundert.
Auch Weiße unterstreicht die Vorreiterrolle seiner Akademie für den gesellschaftlichen Dialog: „Wir wissen aus vielen Studien, dass Verständigung über Begegnung möglich ist. Je mehr wir über andere im direkten Kontakt erfahren, um so mehr können wir ihnen Wertschätzung entgegenbringen. Und so kann Religion zur Verständigung der Kulturen beitragen.“
Die Welt steht vor so vielen Herausforderungen, da werden neue Antworten gebraucht. Wenn sich die Religionen nicht daran beteiligen, neue Antworten auf neue Probleme zu finden, machen sie sich irgendwann selbst überflüssig. Und das will eigentlich niemand, der die Potenziale der Religionen für Frieden, Gerechtigkeit und auch die persönliche Veränderung des Menschen sieht.
Birgit Stratmann
Weitere Informationen gibt es auf der Website der Akademie der Weltreligionen