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Eine Ethik, die Kulturen verbindet

Brodbeck

Ein neues Buch über eine Mitgefühlsethik, die auf Erkenntnis beruht

Kann es eine Ethik geben, die Kulturen verbindet? Karl-Heinz Brodbecks Buch “Säkulare Ethik” sucht nach einer gemeinsamen Grundlage für eine Ethik ohne Glauben. Es vereint die westliche und die buddhistische Perspektive.

Ethik, die „praktische“ Philosophie, sucht Antworten auf die Fragen: Wie sollen wir uns verhalten, was sollen wir tun? Der Alltag unserer Welt ist zerrissen von weltanschaulichen und religiösen Gegensätzen. Eine alle Kulturen verbindende Ethik gibt es kaum. Das Buch von Karl-Heinz Brodbeck sucht nach einer gemeinsamen Grundlage für eine säkulare Ethik, die an keine Glaubensvorstellungen gebunden ist. Er knüpft an die westliche Philosophie an und nimmt die buddhistische Tradition zu Hilfe, um eine Ethik ohne Dogma zu begründen.

Nach einer lesenswerten Einleitung ist das Werk in drei Hauptkapitel gegliedert, wobei sich Kapitel 1 nur auf einige Begriffserklärungen beschränkt. Das 50 Seiten umfassende Kapitel 2 referiert systematisch und gut verständlich die Systeme abendländischer Moralbegründung: u.a. Aristotelische Tugendethik, Kant´sche Ethik, Utilitarismus bis hin zu den biologischen und neurologischen Begründungen der Moral.

Den weitaus breitesten Raum nimmt mit 155 Seiten Kapitel 3 ein: Aspekte der Ethik des Buddhismus. Brodbeck ließ sich dabei vom Dalai Lama anregen, der sich eine Begründung der Ethik unabhängig von religiösen Fundamenten wünschte.

Aus Sicht des Autors tendiert die westliche Tradition dazu, sich mit ihrer jeweiligen Moralphilosophie den Trends der Moderne anzupassen, dem Zeitgeschmack. Die Kritik an der christlichen Religion oder anderen theistischen Traditionen fand ihr Extrem in Friedrich Nietzsche, der jegliche Moral als Illusion und Projektion niederer Triebe zu entlarven suchte. Die theistischen Religionen reduzieren die Moral zumeist auf Gebote, die jeweils ihrer ‚Heiligen Schrift’ (Bibel, Koran, Thora, Veda) eine absolute Gültigkeit zuschreiben.

Neben den konkreten Vorschriften für das Handeln, der normativen Ethik, gibt es in allen Morallehren auch Versuche, die jeweiligen Aussagen rational zu begründen. Eine systematische Moralbegründung hat sich im Westen, so Brodbeck, dagegen nur im säkularen Raum entwickelt, in der Philosophie Griechenlands und später in der Aufklärung, die sich deutlich von der religiösen Überlieferung emanzipierte.

Was zu Leiden führt, soll aufgegeben werden

Eindeutig zur rationalen Grundlegung der Ethik äußert sich aber auch der Buddha, z.B. in seiner Rede an die Kalamer: „Wenn ihr aber, Kalamer, selber erkennt: Diese Dinge sind unheilsam, verwerflich, werden von Verständigen getadelt, und, wenn ausgeführt und unternommen, führen sie zu Unheil und Leiden, dann, o Kalamer, möget Ihr sie aufgeben.“ Hier kann man nicht nur für den Buddhismus, sondern auch ganz allgemein im philosophischen Kontext das Muster für eine rationale Moralbegründung erkennen, deren eindeutige Fragestellung erst wieder in der Aufklärungsphilosophie im 18. Jh. erreicht wurde.

Diese Rede bildet ein Fundament für Brodbecks Argumentation einer säkularen Ethik, weil sie in seinen Augen belegt, dass die buddhistische Tradition ein großes Potenzial dafür besitzt. Der Autor richtet dabei sein besonderes Augenmerk auf die rationale Begründung von moralischen Urteilen. Diese Ethik wird aus der buddhistischen Philosophie entwickelt, indem zunächst alle religiösen Vorstellungen ausgeklammert werden.

Dabei bedarf nach Brodbecks Überzeugung besonders die Karmalehre einer gründlichen Reform. Dafür zieht er den buddhistischen Philosophen Nagarjuna (2.–3. Jh. n.Chr.) heran. Dessen Hinweis auf die Leerheit und Scheinhaftigkeit aller Phänomene, besonders die Ich-Illusion, ist nach Auffassung von Brodbeck für die Formulierung einer diskursiven Ethik unerlässlich. Er zitiert den bekannten Hirnforscher Michael Gazzaniga: „Ethik ist eigentlich Kritik des Egos.“

Erst auf dieser Grundlage könnten sich Fragen des Gemeinwohls, der Ökologie, aber auch einer Wirtschaft jenseits von Geldgier und Konkurrenzneid fundiert beantworten lassen. Gerade als Kritik der Ich-Illusion eröffne sich eine Gesprächsmöglichkeit auch über jene Themen, die im Buddhismus zu den Unsagbarkeiten zählen. Gerade mit Blick auf die „blinden Flecken“ in den Natur- und Neurowissenschaften könne eine neue Gesprächsbasis eröffnet werden, die über ethische Fragen hinaus in das Terrain der spirituellen Traditionen weise: die Fragen nach Sinn, Geburt und Tod und die Frage des Bewusstseins.

Ethik als Freiheit von Ego-Zwängen

Das methodische Grundprinzip der abendländischen Wissenschaft unterstelle, dass ihre Erkenntnisse moralfrei seien. Dies aber sei eine Illusion, da Wissenschaft eine Form des menschlichen Bewusstseins ist. Die Wissenschaft des Bewusstseins gehe also jeder anderen Wissenschaft voraus. Und gerade der Buddhismus kultiviere besonders die Wissenschaften des Bewusstseins und der Ethik. Dies gelte auch für die vielfältigen Meditationssysteme des Buddhismus als praktischer Philosophie. Darin zeige sich eine Perspektive weit über die säkulare Ethik hinaus, die Themen hinter dem „blinden Fleck“ der modernen Wissenschaft unsichtbar aufgreift – eine Gesprächsgrundlage für auch für den interreligiösen Dialog.

Ja, Karl-Heinz Brodbeck ist es gelungen, den Leser mitzunehmen auf eine Reise des Nachdenkens über richtiges Verhalten, auch im Alltag. Seine Skizzierung der buddhistischen Sichtweise des normalen Lebens als illusionärer Trennung von Hier und Dort, Vergangenheit und Zukunft, von Ich und Du lässt den Leser in dieses zutiefst humanitäre Denken eintauchen.

Seine säkulare Ethik kann aus den Ego-Zwängen von Gier und Aggression in der kapitalistischen Gesellschaft zu richtigem Tun und vor allem Erkennen anregen. Die kritische Analyse des eigenen Denkens ist die wesentliche Voraussetzung für die Befreiung von den Fesseln der Ich-Illusion. Schönheit und Glück eines mitfühlenden Lebens weisen stets über die Schranken des eigenen Ich hinaus und machen es leichter, Besonnenheit und heitere Gelassenheit zu erlangen.

Michael Schaeffer

Karl-Heinz Brodbeck: Säkulare Ethik aus westlicher und buddhistischer Perspektive

edition steinrich, Berlin 2014. 288 Seiten, 22,50 €

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Ein lesenswertes Buch, dass einen vielseitigen Einblick in den Ansatz der säkularen Ethik bietet. Es ist wünschenswert den Dalai Lama in der Beschreibung zu erwähnen, da er als Urheber des Ansatzes gilt und Herr Brodbeck eine wertvolle Erläuterung sowie ein Angebot für einen Diskurs dazu liefert.

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