Freiwillige im Bergwaldprojekt
Jedes Jahr verbringen rund 1.000 Freiwillige eine Woche im Wald. Sie tauschen ihr Bett gegen den Schlafsack und arbeiten den ganzen Tag, um Bäume zu pflanzen oder Lebensräume zu renaturieren. Das Bergwaldprojekt e.V. bietet diese Möglichkeit und vermittelt nebenbei Gemeinsinn und einen nachhaltigen Lebensstil.
Die Freiwilligen leben eine Woche lang im Wald. Um 6 Uhr klingelt der Wecker, das Frühstück gibt es vor Ort. Ab 8 Uhr geht es an die Arbeit. Größtes Anliegen des Bergwaldprojekts ist es, Schutzwälder zu sanieren, zum Beispiel durch Pflanzungen und Pflegemaßnahmen.
Denn vielerorts in Deutschland gibt es nur Fichten-Monokulturen. Indem man Laubbäume dazwischen setzt, soll die Vielfalt in den Wald zurückkehren, zumindest langfristig. Denn die Entwicklungen gehen langsam: 100 Tage auf dem Acker sind 100 Jahre im Wald, heißt eine Bauernregel. Seit Gründung des Vereins 1987 sind über zwei Millionen Bäume gepflanzt worden – und zwar von Hand in teilweise steilen Lagen.
Ein weiterer Schwerpunkt ist die Wiedervernässung der Moore, denn für landwirtschaftliche Zwecke trocken gelegte Moore tragen erheblich zur Erderwärmung bei: Fünf Prozent aller Treibhausgase in Deutschland entstehen hier. Sie werden durch die Mineralisierung des ausgetrockneten Moorkörpers an die Atmosphäre abgegeben.
Damit das Wasser im Moor verbleibt, verschließen die Helfer die eingezogenen Drainage-Gräben, indem sie diese zunächst mit dem Spaten bis auf die Sohle ausgraben und Stauwerke aus Holz und Grasnaben einbauen. Manchmal müssen sie bis zwei Meter in die Tiefe graben. Diese schwere körperliche Arbeit erledigen übrigens zu 60 Prozent Frauen. Sie stellen Lebensräume wieder her, damit die Artenvielfalt zurückkehren kann.
Regen tut gar nicht weh
Die Naturschutzarbeiten nehmen einige Stunden am Vormittag und am Nachmittag in Anspruch. Gearbeitet wird bei jedem Wetter. Stephen Wehner, der Vorstand des Bergwaldprojekts, sieht das positiv: „Die Menschen erleben, dass man auch bei Regen und Wind draußen sein kann und dass es gar nicht weh tut. Im Gegenteil, sie spüren den eigenen Körper und die Elemente der Natur, das ist für viele eine ganz neue und wertvolle Erfahrung“.
In der Mittagspause sitzen alle um das Lagerfeuer herum, um sich aufzuwärmen und zu essen. Hier begegnen sich Menschen, die im „normalen“ Leben gar nicht miteinander in Kontakt kämen: aus allen Altersgruppen, Schichten und Berufsspaten, vom Studenten bis zur Rentnerin, von der Akademikerin bis zum Handwerker.
Sie kommen aus allen Teilen Deutschlands und sprechen unterschiedliche Dialekte. „Es sind spannende Erfahrungen, wenn die gesellschaftliche Herkunft keine Rolle mehr spielt. Im Wald sind alle gleich. Im Mittelpunkt steht die gemeinsame Arbeit und das Engagement für die natürlichen Lebensgrundlagen,“ ist Wehner überzeugt.
Am Abend wird ein Dreigänge-Menü aufgetischt, wobei die Köche nur vegetarische oder vegane Speisen zubereiten. Bei der teilweise schweren körperlichen Arbeit erwartet so mancher eher ein großes Schnitzel. Wenn dann ein Selleriebratling serviert wird, stutzen sie einen Moment. Doch dann merken sie, dass ihnen veganes Essen gut schmeckt und sie wirklich nährt.
So geht es dem Bergwaldprojekt nicht nur um praktischen Wald- und Biotopschutz. Die Idee ist auch, einen anderen, nachhaltigen Lebensstil zu vermitteln. Wie lebt man im Einklang mit der Natur? Wie können wir sparsam mit Energie und Ressourcen umgehen und einen Lebensstil pflegen, der nicht auf Kosten anderer Gesellschaften der Erde und zukünftiger Generationen geht.
„Im Wald fehlt uns eigentlich nichts“
„Die Projektwochen sind Übungen im Umgang mit sich selbst und mit weniger Konsum“, so Wehner. “Es geht dabei nicht so sehr um Verzicht, sondern um die Frage, wie wir ein zufriedenes Leben führen können ohne Überfluss. Wir merken im Wald, dass uns eigentlich nichts fehlt. Wir sind frei von alten Gewohnheiten und dem, was wir glauben haben zu müssen“.
Wehner ist kein Prediger und will den Leuten nicht Moral einimpfen, sondern Impulse für ein gutes Leben setzen. Wie könnte ein weniger konsumorientiertes Leben aussehen, und was gewinnen wir, wenn wir einiges weglassen. „Es geht um Freiheit. Bei den Camps merken wir: Mir fehlt nichts, es geht mir gut, auch wenn ich mich aus der Komfortzone herausbewege“.
Und dann gibt es noch den sozialen Aspekt, denn in der Woche wird auch Gemeinschaftsleben geprobt. Hier treffen Menschen aus verschiedenen Schichten, mit teils kontroversen politischen Meinungen aufeinander. Es ist eben nicht die digitale Echokammer, in der einem immer wieder die gleichen Meinungen und Weltsichten gespiegelt werden.
Seit 2015 nehmen auch geflüchtete Menschen teil, das Bergwaldprojekt arbeitet mit Sozialhilfeverbänden zusammen. Über die Arbeit sollen Menschen aus verschiedenen Kulturen zusammen gebracht und Vorurteile abgebaut werden.
Manche Deutsche treffen zum ersten Mal einen Flüchtling oder hatten noch nie Kontakt zu Muslimen. Sie kennen nur die Stereotypen, die von den Medien vermittelt werden: Diese beschreiben nicht Individuen, sondern „die Flüchtlinge“ als Gruppe von Menschen mit Kriegserfahrungen, wirtschaftlichen Interessen, als Konkurrenten auf dem Arbeitsmarkt usw. Bei der gemeinsamen Arbeit im Wald können die Menschen einander begegnen.
Die Waldcamps bieten also vielfältige Erfahrungen: dem Wald direkt zu helfen, ein anderes Leben auszuprobieren und mit Menschen Gemeinschaft zu pflegen, die man sonst nicht treffen würde.
Birgit Stratmann
Mehr Infos gibt es auf der Website des Bergwaldprojekts