Ein Kommentar von Birgit Stratmann
E.ON, RWE und Vattenfall klagen beim Bundesverfassungsgericht wegen des Atomausstiegs. Sie sehen ihr Eigentumsrecht verletzt. Damit stellen sie die Konzerninteressen über das Gemeinwohl. Sie übernehmen keine Verantwortung für das schwere Erbe, das sie mit dieser Risikotechnologie folgenden Generationen hinterlassen haben.
Es ist bezeichnend für die Energiekonzerne, die beim Verfassungsgericht in Karlsruhe gegen Beschlüsse zu dem nach der Reaktorkatastrophe von Fukushima beschlossenen Atomausstieg klagen: Sie argumentieren mit dem Eigentumsrecht. Die Bundesregierung habe, so die Begründung zur Verfassungsbeschwerde, das Eigentumsrecht von E.ON, RWE und Vattenfall verletzt. Daher, so die Argumentation, könne man der Verantwortung gegenüber den Kleinanlegern nicht gerecht werden.
Die Klage in Karlsruhe und die Opferrolle, die die Konzerne einnehmen, ist unverforen. Die Konzernchefs stellen das Eigentumsrecht über das Gemeinwohl. Sie sind nach über 50 Jahren, in denen sie an der Risikotechnologie Atomkraft verdient haben, nicht bereit, ihre gesamtgesellschaftliche Verantwortung anzuerkennen. Stattdessen wollen sie die enormen Folgekosten, etwa der sicheren Entsorgung, der Gesellschaft aufbürden.
Zur Erinnerung: Die ersten Atommeiler gingen in den 50er Jahren ans Netz. Während dieser Zeit dachte man nur daran, so viel Energie wie möglich für die wirtschaftliche Entwicklung nach dem Krieg bereitzustellen. Kaum jemand diskutierte die immensen Gefahren dieser Technologie. Man hantierte sorgenfrei mit radioaktivem Material, das, wenn es in die Umwelt gelangt, Mensch und Natur verseucht und lebensbedrohliche Krankheiten zur Folge hat.
Menschenverachtende Technologie
Der Super-Gau von Tschernobyl zeigte 1986 zum ersten Mal, wie menschenverachtend der Betrieb von Atomkraftwerken ist. Riesige Regionen sind unbewohnbar geworden. Millionen Menschen wohnen heute noch in den vom Fall-out verseuchten Gebieten. Menschen, unter ihnen viele Kinder, erkranken und sterben an den Folgen radioaktiver Verseuchung, insbesondere an Krebs. Die Gesundheit vieler Menschen wurde auf Generationen beschädigt, etwa durch schwere Erbkrankheiten.
Als Antwort auf die Katastrophe entstand die Anti-Atombewegung. Umweltschutzorganisationen, die den sofortigen Ausstieg aus der Atomkraft forderten, erstarkten und gewannen immer mehr Rückhalt in der Bevölkerung. Damit rückte auch ein weiteres Probleme dieser Technologie in den Fokus: das fehlende Endlager.
Denn nicht nur der laufende Betrieb der Atommeiler ist ein permanentes Risiko, das mit dem Begriff “Restrisiko” beschönigt wird. Hinzu kommt, dass es bis heute kein Endlager für hochradioaktiven Müll gibt. Im gesamten Produktionsprozess fällt solcher Müll an, die Berge wachsen mit jedem Tag. Doch niemand weiß, wohin damit – und das nach über 60 Jahren Betrieb! Aber was kümmert´s die Konzerne, wenn sie nur ihre Gewinne einfahren können, gerade mit alten, abgeschriebenen Meilern.
Mit der Atomkatastrophe im hochtechnisierten Industrieland Japan in 2011 platzte endgültig die Illusion von der sicheren Atomkraft. Nach Informationen von Greenpeace mussten 160.000 Japaner aufgrund radioaktiver Verseuchung ihre Häuser verlassen; die meisten leben bis heute in provisorischen Unterkünften. Rund 320.000 Tonnen radioaktiv verseuchten Wassers seien angefallen. Es wird in Stahltonnen auf dem Gelände der Anlage gelagert oder wurde in den Pazifik abgelassen. Über die Meere bahnen sich radioaktive Substanzen den Weg in die Nahrungskette – bis zum Menschen.
Abdurde Entschädigungsforderungen
Als Antwort auf die Katastrophe tat die Bundesregierung das einzige Richtige: Sie verabschiedete per Gesetz den Ausstieg aus der Atomenergie und die sukzessive Abschaltung der Meiler mit festen Abschaltdaten. Sicherheit geht vor, hieß es in der Begründung. Die Interessen der Allgemeinheit stehen über denen der Eigentümer von Atomkraftwerken.
Und was tun die Energiekonzerne: Sie beklagen die Verletzung ihrer Eigentumsrechte. E.ON-Vorstandschef Johannes Teyssen drückte es im Mai 2012 laut Deutschlandfunk so aus: „Es geht uns im Ergebnis nicht darum, die politischen Entscheidungen in der Sache zu revidieren, sondern die wirtschaftlichen Interessen und Rechte von Unternehmen, Kunden, Mitarbeiten und den Aktionären durch faire Entschädigungsregeln durchzusetzen.“
Die Konzerne wollen „faire Entschädigung“ dafür, dass sie eine der gefährlichsten Technologien, die Menschen jemals entwickelt haben, endlich aufgeben. Sie wollen Entschädigung dafür, dass sie zukünftigen Generationen hochradioaktiven Müll hinterlassen, der zum Teil Jahrtausende strahlen wird. Sie wollen eine Entschädigung dafür, dass sie Mensch und Umwelt in permanente Gefahr gebracht haben.
Hier zeigt sich die Crux wirtschaftlichen Handelns, das die moralische Dimension ausblendet. Verantwortung wird eng begrenzt verstanden: Sie reicht nicht über das eigene Unternehmen hinaus, obwohl man durch sein Handeln sogar zukünftige Generationen in Mitleidenschaft zieht.
Die naheliegendste Möglichkeit, Verantwortung gegenüber den Kleinanlegern und der Gesellschaft zu übernehmen, wäre es gewesen, rechtzeitig in Erneuerbare Energien zu investieren. Doch den Zug der Zeit haben die Großen verpasst; viel zu lange hielten sie an der veralteten Risikotechnologie fest, die ihnen hohe Gewinne bescherte und ihr Monopol auf dem Strommarkt sicherte. Noch 2012 bei einer Tagung der Energiewirtschaft tönte der damalige RWE-Chef Jürgen Großmann, die Solarenergie sei sinnvoll wie „Ananas auf Alaska züchten“.
Bescheidenheit und Reflexionsvermögen sind nicht Sache der Manager von RWE und Co. Sie haben den Umstieg auf die Erfolgstechnologie der Erneuerbaren Energien viel zu spät realisiert. Nun wollen sie ihre Altlasten – Altreaktoren und Atommüll – der Gesellschaft aufbürden und fordern beim Bundesverfassungsgericht „Entschädigung“ für das Abschalten der Kraftwerke. Dabei geht es vor allem um eins: die eigene Haut zu retten. Verantwortung für das große Ganze: Fehlanzeige.
Und was kann der Verbraucher tun? Wer das Geschäftsgebaren der großen Energiekonzerne nicht mittragen und dagegen protestieren will, sollte die Geschäftsverbindung kappen und zu einem Öko-Stromanbieter zu wechseln. Je mehr Menschen Öko-Strom beziehen, umso mehr wird sich der Markt langfristig zugunsten der umwelt- und klimaschonenden Energieversorgung verschieben. So können Unternehmen unterstützt werden, die sich Mensch und Natur verpflichtet fühlen.
Birgit Stratmann