Dialoge erweitern den Horizont

Vlad Teodor/ shutterstock.com
Vlad Teodor/ shutterstock.com

Vier Fragen an Kommunikationstrainerin Boijens

Gelungene Gespräche, in denen es um Verstehen, statt um Dominanz geht, sind selten. Dabei ist es das, was wir uns als Menschen zutiefst wünschen. Antje Boijens erklärt, wie Gespräche zu echten Begegnungen werden und warum das auch die politische Kultur verändern kann.

 

Frage 1: Reden kann jeder. Was ist das Besondere an einem Dialog, wie Sie ihn in ihren Workshops unterrichten?

Boijens: Die Frage ist, wie wir miteinander reden und aus welcher inneren Haltung heraus. Dialoge haben da ein ganz anderes Ziel als viele andere Gespräche. Dialoge sind Expeditionen in die Erlebniswelten der Anderen. Und wie bei Expeditionen üblich, erweitert dieses Erkunden auch eigene Horizonte.

Dialoge haben das einzige Ziel, unser Verständnis der Dinge zu vergrößern, egal, ob es sich dabei um ein Thema, die Situation, eine andere Person oder um einen selbst handelt. Das ist das Gegenteil von Recht-haben oder Gewinnen-Wollen, was häufig in Gesprächen dazu führt, dass sich Dinge zuspitzen und man sich festfährt.

Dialoge sind dagegen höchst lebendig. Wir begegnen uns dort als Individuen mit unterschiedlichen Erfahrungen, Perspektiven oder Wissensständen und eben nicht als Vertreter bestimmter Meinungen oder Richtungen. Was dabei entsteht, ist nicht nur lehrreich, sondern macht auch Spaß. In diesem Sinn stärken Dialoge Wissen und Zuversicht, weil jeder Dialog gleichzeitig ein Beispiel dafür ist, wie komplexe Fragestellungen und Themen angegangen werden können.

Unterschiedliche Standpunkte als Reichtum ansehen

Frage 2: Wir haben oft mit widerstreitenden Interessen zu tun, z.B. in der Flüchtlingspolitik in einer Stadt. Wie kann es gelingen, unterschiedliche Standpunkte und Interessen unter einen Hut zu bekommen?

Boijens: In Dialogen können sich unterschiedliche Standpunkte und Interessen in Ressourcen verwandeln. Damit das geschieht, muss der Dialog zu einem Ort werden, in dem die Unterschiede sich begegnen und fruchtbar werden können. Dazu bedarf es eines Rahmens. Das Wichtigste dabei: Zuhören, zuhören, zuhören. Und verstehen wollen. Erst dann kann eine fruchtbare Kommunikation entstehen.

Die Frage ist: Was passiert, wenn wir Schritt für Schritt die eigene Abwehr oder Besserwisserei überwinden und ein echtes Interesse an der Position unseres Gegenübers entwickeln? Welche Möglichkeiten ergeben sich dann? Man kennt das vielleicht aus Beziehungen zu Freunden. Genau diese Sorgfalt sollten wir uns auch entgegen bringen, wenn wir beispielsweise auf kommunaler Ebene miteinander verhandeln. Dann ist vieles möglich, was vorher noch nicht einmal denkbar war.

Darüber hinaus ist die Dimension der Zeit ganz wichtig: dass wir gelassen bleiben können und uns nicht mit Ergebnisdruck und Zielorientierung verrückt machen. Wir brauchen einfach mehr Zeit zum Denken, wenn wir gemeinsamen etwas erreichen und gute Ergebnisse haben wollen.

Unsere Ungeduld und unser, oft unreflektiertes Verlangen nach Effektivität, wo sie nicht hingehört, kann sich geradezu zerstörerisch auf unser Denken auswirken. Dazu gäbe es noch einiges zu sagen. Aber wer zuhören und auch in schwierigsten Situationen gelassen und geduldig sein kann, bewirkt im Gespräch mit Sicherheit viel.

“Das ganze Land soll endlich reden”

Frage 3: Was würde sich in der Politik, etwa auf kommunaler Ebene ändern, wenn wir lernten, echte Dialoge zu führen?

Boijens: Das ist eine wunderbare Frage! Ähnliche Ideen hat es ja bereits gegeben, z. B. in 2015, als Harald Welzer Diskussionsveranstaltungen organisierte unter dem Titel: „Das ganze Land soll endlich reden“. Ich stelle mir vor, man würde so ein Projekt kreieren wie „Hamburg im Dialog“. Das heißt, man würde Menschen Zeit zum Denken geben und echte Dialoge moderieren, in verschiedenen Stadtteilen, vielleicht am gleichen Tag und mit einem gemeinsamen Thema.

Ich bin mir sicher, dass den Teilnehmenden bei so einem Projekt sehr schnell deutlich würde, wie die Dinge strukturell zusammenhängen und wie verbunden sie untereinander sind. Wahrscheinlich ist, dass man damit über kurz oder lang Selbstorganisationsprozesse anstoßen und eine Kultur der Partnerschaft, der Zusammenarbeit und der gemeinsamen Verantwortlichkeit schaffen würde.

Natürlich ist das nicht mit einer einzigen Veranstaltung zu erreichen. Aber es gibt sie ja, diese längerfristigen Dialogprojekte: in Unternehmen, in Familien und auch in Kleinbetrieben. Immer ist Menschen dadurch klar geworden, was er oder sie ganz konkret dazu beitragen kann, um das Leben lebenswerter zu machen.

In Städten würde durch Dialogprojekte die Bürgergesellschaft gestärkt und damit die informellen Strukturen. Dadurch könnte Zuversicht wachsen, z.B. in die Fähigkeit der Hamburger, gemeinsam schwierige und komplexe Themen zu lösen.

Andere verstehen ist das Größte

Frage 4: Was lernt man in Ihren Workshops zu Dialogen?

Boijens: Sie lernen und üben Haltungen, die Ihnen die Kunst des Dialogs ermöglichen. Das ist keine Zauberei. Dran bleiben ist alles und wir können das Gelernte später anwenden, auch mit Leuten, die nicht beim Workshop waren und ohne etwas Konkretes vom Gegenüber zu verlangen.

So gesehen ist der Dialog ein echtes Geschenk, das Sie beliebig oft an Familienmitglieder, Freunde oder KollegInnen weitergeben können. Gelungene Gespräche, in denen es um Verständnis statt um Macht und Dominanz geht, finden viel zu selten statt. Dabei ist es einfach so: Andere verstehen und selbst verstanden werden ist für uns Menschen so ziemlich das Größte.

Die Fragen stellte Birgit Stratmann

Antje_BoijensAntje Boijens seit 1996 selbständig tätig als Leadership-Trainerin, Coach und Moderatorin national und international; Weiterbildung in den Bereichen Coaching, Dialogbegleitung, Teamentwicklung, interkulturelle Kompetenz und Konfliktmanagement. Meditationspraxis seit 1989, Ausbildung zur MBSR-Lehrerin 2013/14.

 

Abonnieren
Benachrichtige mich bei
0 Kommentare
Inline Feedbacks
Alle Kommentare

Aktuelle Termine

Online Abende

rund um spannende ethische Themen
mit Referenten aus verschiedenen Disziplinen
Ca. 1 Mal pro Monat, kostenlos

Auch interessant

Vlad Teodor/ shutterstock.com

Achtsamkeit in Beziehung bringen

Wie können wir die Kraft der Achtsamkeit in unsere Beziehungen bringen? Der Referent stellt den "Insight Dialogue" vor als eine interpersonelle Praxis der Meditation. Man kann es auch als Meditation im Gespräch bezeichnen.
Getty Images/ Unsplash

Mit Dialog gegen die Machtlosigkeit

Was Dialog und Philosophie bewirken können Ist die Philosophie nur Zuschauerin der Katastrophen dieser Welt? Nein, ist der Philosoph Krisha Kops überzeugt. Die Philosophie kann zum Dialog anregen, einer echten Begegnung von Menschen und Kulturen, die auf gemeinsames Erkennen aus ist. Im Dialog erkennt man, dass das andere Teil des eigenen ist – diese Einsicht wird heute gebraucht.

Newsletter abonnieren

Sie erhalten Anregungen für die innere Entwicklung und gesellschaftliches Engagement. Wir informieren Sie auch über Veranstaltungen des Netzwerkes Ethik heute. Ca. 1 bis 2 Mal pro Monat.

Neueste Artikel

Cover Schutzbach, Frauen

Für mehr weibliche Solidarität!

Ein Buch der Soziologin Franziska Schutzbach Die Emanzipation der Frauen gelingt dann, wenn sich Frauen zusammenschließen, diesen Gedanken entwickelt Franziska Schutzbach in fünf Essays. Sie untersucht verschiedene Arten von Frauenbeziehungen und den tiefen Wunsch nach Kooperation. Ihr Buch „Revolution der Verbundenheit“ ermutigt dazu, sich an Frauen zu orientieren und nicht an Männern, um die Welt zum Positiven zu verändern.
Jo Gavao/ Shutterstock

Die Kirche ist vielfältiger, als man denkt

Zur Situation nach der Wahl von Papst Leo XIV. Die katholische Kirche ist die größte Organisation der Welt. Doch was wie ein einheitlicher Block erscheint, ist ein Gebilde aus vielen Teilen. Religionswissenschaftlerin Ursula Baatz über die Kirche nach der Papstwahl und den Kampf zwischen Traditionalisten und Progressiven.
Der Kontrollpunkt 300 trennt Jerusalem und das Westjordanland I Foto: Samuel Smith

Eine Reise in das Westjordanland

Eindrücke von Gesprächen mit Palästinensern Das Westjordanland ist nur fünf Minuten Autofahrt von Israel entfernt. Johannes Zang war im Frühjahr 2025 dort und sprach mit Palästinensern. Hier schildert er seine Eindrücke: von Hoffnung und Hoffnungslosigkeit, von Standhaftigkeit und Ratlosigkeit, von Zweckoptimismus und Zuversicht.
Foto: privat

“Ich bin gestärkt aus dem Gefängnis gekommen”

Audio-Interview dem Klima-Aktivisten Karl Braig  "Mein Handeln war richtig", sagt Karl Braig, 69, der für eine Klima-Aktion fünf Monate in Haft war. Jetzt genießt er die Freiheit und muss sich neu zurechtfinden. Sein Engagement für den Klimaschutz will er fortsetzen, denn man müsse sich wehren gegen die Tatenlosigkeit der Politik. Er hofft auf die Zivilgesellschaft.