Eine rassismuskritische Reise
Rassismus ist ein großes Thema, nicht nur in den USA. Das Buch „Exit Racism“ zeigt die Perspektive der Antirassismus-Trainerin Tupoka Ogette als Schwarze Frau in Deutschland. Gleichzeitig ist es ein Übungsbuch, um sich mit eigenen Vorurteilen auseinanderzusetzen und anzuerkennen, dass Rassismus da ist und wirkt.
Bin ich rassistisch? Eine Frage, bei der eine innere Stimme in mir sofort empört aufschreit: „Ich doch nicht!“ Doch diese Grundüberzeugung ist weniger stabil, als ich dachte. Tupoka Ogettes Buch „Exit RACISM“ ist dafür verantwortlich.
Angenehm ist diese Lektüre nicht immer, mitunter sogar verstörend und schmerzhaft – doch das Buch sensibilisiert und ermöglicht einen Perspektivwechsel darauf, wie es ist, in Deutschland zu leben und anders zu sein als die Mehrheit. Die Autorin ist Antirassismus-Trainerin und Mutter von zwei Söhnen.
Grundiert ist das schmale Buch von 131 Seiten dennoch von unerschütterlicher Zuversicht, dass die Gesellschaft eine bessere werden kann. Wenn, ja wenn Menschen aufwachen und sich bewusst werden, wie privilegiert sie sind und dass sich das gleiche Land für People of Color wie Tupoka Ogette ganz anders anfühlen kann als für sie.
Noch nie hat mich jemand wegen meines Nachnamens komisch beäugt, mir wegen meiner Hautfarbe eine Wohnungsvermietung versagt oder habe ich mich gefragt, ob ich die Stelle nicht bekommen habe wegen meines Fotos in der Bewerbungsmappe. Ich werde als Individuum wahrgenommen, fühle mich willkommen und „normal“. Ich habe die Wahl, mich mit Rassismus auseinanderzusetzen.
Sich in die Lage weniger privilegierter Menschen und deren permanenten Stress hineinzuversetzen, lohnt sich. Wie würden sich bestimmte Situation anfühlen oder abspielen, wenn ich eine andere Hautfarbe hätte?
„exit RACISM“ begleitet seine Leserinnen und Leser bei ihrer Auseinandersetzung mit RassismusDie 40-jährige, in Leipzig geborene Autorin nimmt uns mit auf eine rassismuskritische Reise. Wir erwerben konkretes Wissen über die Geschichte des Rassismus und dessen Wirkungsweise und erhalten Unterstützung in der emotionalen Auseinandersetzung mit dem Thema.
Übungen und Lesetipps eröffnen die Möglichkeit, an bestimmten Stellen in die Tiefe zu gehen. Ergänzend dazu finden sich in fast jedem der Kapitel Auszüge aus „Rassismus-Logbüchern“. Das sind anonymisierte Tagebücher, die Studierende aus Tupoka Ogettes Seminaren verfasst haben. Sie lassen Anteil nehmen an deren Bewusstseinsarbeit. Darüber hinaus offeriert die Autorin Handlungsoptionen, die stark machen, auf konkrete Situationen adäquat zu reagieren.
Liebe ist lauter
Es ist ein persönliches Buch. Schon die Widmung der Autorin ist besonders. „Glaubt daran und vergesst nie: Liebe ist lauter“, schreibt sie uns. Und eröffnet es mit der eindringlichen Beschreibung ihres ersten, tief verletzendes Diskriminierungserlebnis als Fünfjährige.
Es ist auch ein Mitmachbuch, das dazu einlädt, neu hinzuschauen, vieles zu entdecken. „Es fühlt sich an, als wäre ein Tornado durch meinen Kopf geweht“, bescheinigte ein Workshopteilnehmer und Manager eines großen Kommunikationsunternehmens nach der Lektüre. Eine gute Beschreibung.
So räumt Tupoka Ogette beispielsweise mit dem Vorurteil auf, dass Rassismus immer etwas mit Vorsatz zu tun habe. Entscheidend ist ihrer Ansicht nach vielmehr die Wirkung einer Aussage oder einer Handlung. „Gut gemeint, muss nicht gut gemacht sein“, so die Expertin für Rassismus.
Doch, so Ogette weiter, es böten sich große Chancen, wenn wir freiwillig die privilegierte Position verlassen. „Wir können uns neu begegnen. Du wirst neue Erfahrungen machen, und ich auch mit Dir. Du kannst die Welt ein bisschen besser machen für Dich, für mich, für uns alle.“
Ihrer Ansicht nach gibt es verschiedene Phasen im Umgang mit dem eigenen Rassismus. Abwehr, Scham, Schuldgefühle und am Ende die Anerkennung, dass Rassismus real und als System wirkmächtig ist, bilden den Kern.
Auch geschichtsbewussten Menschen dürfte erst bei der Lektüre aufgehen, dass die deutsche Kolonialzeit und die kollektive Wissensverdrängung darüber Basis waren dafür, dass uns Rassismus als Land und Gesellschaft geprägt hat.
Beispiel gefällig? „Woher kommst Du wirklich?“ oder „Woher sprichst Du so gut Deutsch?“ Fragen, die die Autorin regelmäßig gestellt bekommt und die erst einmal harmlos erscheinen. Sie implizieren jedoch, dass die gefragte Person nicht Deutsch und damit im eigenen Land nicht zu Hause sein kann.
„exit RACISM“ ist ein Buch, das einen umtreibt und wehtut. Was darf ich eigentlich noch sagen oder schreiben? „Alles“, so Ogette, „Es gibt keine Sprachpolizei oder Zensur. Aber Du musst – spätestens nachdem Du dieses Buch gelesen hast – Verantwortung für das eigene Sprechen übernehmen“. Das will ich tun.
Kirsten Baumbusch
Tupoka Ogette, exit RACISM, rassismuskritisch denken lernen, UNRAST-Verlag 2019
[…] Eine schöne Hinführung zum Buch findet sich hier: Exit Racism – Ein Buch, das weh tut – Ethik Heute (ethik-heute.org) […]