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Feministische Provokation

Cover Meike Stoverack, Female Choice

Ein Buch der Biologin Meike Stoverock

Female Choice ist ein biologisches Prinzip, wonach Weibchen den Sexualpartner auswählen. Die Biologin Mike Stoverock provoziert mit ihrem Buch: Im Patriarchat träfen die Männer die Wahl und setzen damit Naturgesetze außer Kraft. Daher seien die Tage der Männer-Herrschaft gezählt, so die Feministin. Eine kritische Einordnung von Carsten Petersen.

„Female Choice“ – dieser Begriff aus der Biologie meint kurz gesagt, dass es die Weibchen sind, die einen Partner zur Fortpflanzung auswählen. Bei dieser Auswahl kommen nur die Männchen zum Zuge, deren Merkmale gesunden Nachwuchs zu versprechen scheinen. Die Sprengkraft darin: Die von den Weibchen bevorzugten Alpha-Männchen machen nur ca. 20 Prozent der männlichen Population aus, d. h. 80 Prozent der Männchen gehen leer aus.

Die Biologin und Feministin Meike Stoverock, die sich seit der #Aufschrei-Aktion 2013 immer wieder an der Geschlechterdebatte beteiligte, wartet in diesem in den Medien viel beachteten Buch mit radikalen Thesen auf. Sie will provozieren und damit dazu anregen, das Zusammenleben von Frauen und Männern neu zu gestalten. Vorher jedoch läutet sie schon mal den Untergang des Patriarchats ein.

Stoverock überträgt in ihrem neuen Buch das Prinzip der „female choice“ auf die menschliche Gesellschaft. Nicht nur im Tierreich, sondern auch in der frühen Menschheit des Nomadenzeitalters seien es die Frauen gewesen, die bestimmt hätten, ob und mit wem sie Sex haben wollten.

Die Männer warben und konkurrierten mit allen Mitteln um die Einwilligung, Frauen wählten aus. Das führte zu einem ständigen Konkurrenzkampf und durch den Überschuss an Testosteron im männlichen Körper zu einem hohen Aggressionspotenzial.

Durch den Konkurrenzkampf ließ sich für Frauen absehen, wer der gesündeste, stärkste, schlauste Mann war, der eine Reproduktionschance erhalten und seine Gene weitergeben sollte. Die Nomadenclans waren also matriarchalisch. Für den Großteil der Männer war „femal choice“ eher frustrierend.

In der Jungsteinzeit ergab sich mit der Sesshaftwerdung für die Männer eine Chance, die Situation grundlegend zu ihren Gunsten verändern, so die These von Meike Stoverock. Aus Jägern und Sammlerinnen wurden Hirten und Bauern, und die Landwirtschaft ermöglichte es, Besitz anzusammeln.

Die Männer bestimmten nun das öffentliche Leben und bestellten das Land, während die Frauen die Kinder versorgten und die Produkte der Landwirtschaft zu Nahrung verarbeiteten. Das Land, das ein Mann bestellen konnte, wurde nun sein Besitz, genau wie das Haus, seine Kinder und die Frau. Damit drehte sich der angestammte traditionelle „female choice“ zu einem „male choice“.

Da der Konkurrenzkampf zwischen den Männern, wie er früher bestanden hatte, diese Errungenschaften zu zerstören gedroht hätte, bekam nun (fast) jeder Mann eine Frau, ohne Rücksicht auf ihre Wünsche.

Das Patriarchat verhindert, dass die Frau wählt

Mit dem Patriarchat und der Zweierbeziehung wurde eine Voraussetzung für den Aufbau der Zivilisation geschaffen, wie wir sie kennen, da sich die Männer nun nicht mehr ständig im Kampf um eine Frau verausgaben mussten. Der nächste Schritt war die Erfindung des Geldes, ein weiteres Machtmittel, von dem Frauen ausgeschlossen wurden.

Dieser Fortschritt wurde, so Meike Stoverock, allerdings teuer bezahlt, da sich die Natur der Frau nicht gänzlich unterdrücken lässt. Kann sie ihren biologisch angelegten Partnerwahlmodus nicht auswählen, hat sie auch keine Lust mehr auf ihren kultural verordneten Partner, sprich Ehemann. Das sei letztlich auch für den Mann nicht von Vorteil, der zwar seine – wesentlich undifferenzierte – Lust ausleben könne, aber eben nicht mehr begehrt werde. Die Ehepartner vollzögen zwar die Ehe, seien aber sehr einsam dabei.

Eine Veränderung der Verhältnisse erlebten wir erst in der heutigen Zeit, da die Frauen immer selbständiger und emanzipierter werden. Laut der Autorin geraten wir heute wieder in eine Phase des „female choice“. Die Folgen für die Männer, die von den Frauen dann nicht mehr ausgewählt werden, könnten dramatische Ausmaße annehmen, sofern es nicht gelingt, eine Lösung dafür zu finden.

Als eine der vielen Folgen nennt die Autorin die in westlichen Industriestaaten sich ausbreitende „Incelbewegung“ (Involontary Celibate – ungewollt zölibatär lebende Männer) und ein Wiedererstarken autoritärer Parteien und Regierungsformen.

In der Konsequenz führt Meike Stoverock einen Feldzug gegen die Ehe und die frauenfeindlichen monotheistischen Religionen. Sie schlägt vor, darüber nachzudenken, wie eine zukünftige Gesellschaft mit einer anderen Form der Prostitution und Pornographie das Problem lösen könnte.

Dem Feminismus keinen guten Dienst erwiesen

Soweit in Kürze die These der Autorin. Auf den ersten Blick wirkt die Argumentation bestechend. Das Vorrecht der Frau, das seit jeher durch die männlich geprägte Zivilisation unterdrückt wurde, wird biologisch begründet. Somit werden die heutigen feministischen Bestrebungen auf ein uraltes Gesetz rückbezogen.

Aber ist dieser Rückbezug selbst nicht eine uralte patriarchalische Ideologie, dass nämlich die Frau und ihre Bedürfnisse Natur seien? Dass sie die Natur repräsentierte und dass sie trotz der Entwicklung von Zivilisation und Kultur nicht anders kann, als eben ihrer Natur zu folgen, während der Mann, nun ja, eben den Geist, den Verstand innehat, woraus folgt, dass er führt und sie gehorcht?

Außerdem fehlt in der Betrachtung der soziale Aspekt der Sexualität. Schon bei Primaten und Delfinen geht es beim Sex nicht mehr ausschließlich um Reproduktion, sondern um den Zusammenhalt der Gruppe und andere soziale Faktoren. Sollte man mit der Autorin ernstlich davon ausgehen, dass die Reproduktionsbiologie des Menschen diese Aspekte übersprungen hat?

Und außerdem: Woher nahmen die neolithischen Männer die Kraft, die neue Ordnung durchzusetzen? Die hatten ja wohl nur die Alphamänner, die von den Frauen bevorzugt und bestätigt wurden. Folgt daraus, dass die Frauen so dumm waren, eine Ordnung, die sie unterdrücken sollte, selbst mit aufzubauen?

Und dann ließen sie sich auch noch in eine Zweierbeziehung pressen, die ihrer Natur widersprach? Das ist nun auch historisch falsch, denn es gab und gibt bis heute andere Eheformen, zum Beispiel in der muslimischen Welt, die gewiss auch die Rechte der Frauen einschränken, aber dazu keine Zweierbeziehung brauchen.

Das Buch ist mit großer feministischer Verve geschrieben, die Autorin ist gewiss von seiner emanzipatorischen Kraft überzeugt. Leider hat sie dem Feminismus aber keinen guten Dienst erwiesen, sondern ist in eine der ältesten patriarchalischen Fallen gestolpert.

Carsten Petersen

Meike Stoverock. Female Choice: Vom Anfang und Ende der männlichen Zivilisation. Tropen Verlag 2021

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