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Flüchtlingshilfe: „Das Wir-Gefühl wächst“

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Deutsch-Unterricht mit Asylbewerbern |

Ehrenamtliche Helfer in Aktion

Die Hilfsbereitschaft vieler deutscher Bürger ist überwältigend. Ehrenamtliche Helfer wie im Landkreis Dachau sind oft bis zur Erschöpfung aktiv. Doch eine gelungene Integration braucht auf beiden Seiten Zeit, Geduld und starke Nerven.
Die Zeiten ändern sich. So auch das Image von Dachau. Das Konzentrationslager erinnert mit seiner Gedenkstätte an die grausame Ermordung von Juden. Doch heute zeigt Dachau für die ankommenden Flüchtlinge eine freundliche Willkommenskultur. In der Bevölkerung gibt es viel Verständnis und Mitgefühl für deren Notsituation. Das ist vor allem das Verdienst der unzähligen helfenden Hände, ohne die die anstehenden Aufgaben der Integration nicht zu bewältigen wären.
Allein im Landkreis Dachau mit seinen rund 146.000 Einwohnern kommen auf derzeit rund 1000 Asylbewerber vor allem aus Westafrika, Eritrea, Syrien, Pakistan und Afghanistan rund 1000 ehrenamtliche Helfer. Aktuell kommen jede Woche 42 neue Asylbewerber aus den Erstaufnahmeeinrichtungen an. „Die größte Herausforderung sind passende Unterkünfte“ sagt Wolfgang Reichelt, Medienbeauftragter vom Landratsamt Dachau. „Wir bauen jeden Monat eine neue Containerunterkunft, derzeit sogar die ersten Traglufthallen für bis zu 300 Personen.“
Am Anfang gab es fast zu viel spontane Hilfsbereitschaft, so Reichelt. Es war gut gemeint. Einzelpersonen improvisierten Aktionen und Initiativen, die schon mal im Chaos endeten. Jeder brachte Sachspenden, und zuletzt saß man auf einem Riesenkleiderberg, den keiner brauchte. Doch nach und nach entstanden von den Bürgern selbst organisierte Helferkreise und Netzwerke für Asyl. Diese wurden häufig auch von der Caritas koordiniert und beraten, so dass die Arbeit heute besser organisiert abläuft.

Ethischer Leitfaden für Helfer

Laut Aussage von Christine Torghele-Rüf plant die Caritas Dachau in Kürze sogar religionsübergreifend einen ethischen Leitfaden für Helfer herauszubringen. Dieser könnte das Miteinander einer Multi-Kulti-Gesellschaft im neuen Einwanderungsland Deutschland erleichtern. In diesem Handout sollen die Ehrenamtlichen Fragen reflektieren wie: Wo stehe ich? Was kann ich erwarten? Wie und wo kann ich mich engagieren?
Diesen Refugee Guide kann man im Internet unter www.refugeeguide.de in vielen Sprachen wie Englisch, Persisch oder Arabisch ausdrucken. Er beginnt mit dem Satz: “Herzlich Willkommen in Deutschland!”
Angeregt wurde diese wertvolle Orientierungshilfe – anschaulich gestaltet mit vielen Karikaturen – durch Fragen, die viele Geflüchtete immer wieder stellen. Sie enthält z. B. Hinweise, wie Deutsche sich begrüßen, Empfehlungen für das öffentliche und gesellschaftliche Leben, Tipps zur Mülltrennung, zum Essen und Trinken, Hinweise, dass man bei Behörden pünktlich sein muss, dass man Leitungswasser in Deutschland bedenkenlos trinken kann usw.
Stepan Dünnwald, Flüchtlingsrat für Bayern: „Wir haben vielfach gute Erfahrungen mit Ehrenamtlichen. Viele sind aber überlastet. Verantwortlich dafür ist nicht die große Zahl der Flüchtlinge, sondern oft die sture und bürokratische Haltung von Behörden. Hinzu kommt vielerorts die mangelhafte Ausstattung mit professioneller Sozialberatung und Angeboten für Flüchtlinge. Theoretisch haben Flüchtlinge nach drei Monaten Zugang zum Arbeitsmarkt, aber die Unterstützung, sowohl durch Deutschkurse als auch bei der Arbeitssuche, lastet meist ausschließlich auf ehrenamtlichen Schultern. Hier gibt es enorme Reibungsflächen.“
Da sind die Ehrenamtlichen weiterhin wichtig, die improvisierte Aufbauarbeit leisten.

„Ich muss die Flüchtlinge nicht retten, sondern ihnen nur Deutsch beibringen“

Da ist zum Beispiel Gerhard Niedermair, Leiter des Arbeitskreises Sprache vom Asylhelferkreis Vierkirchen. Er schätzt seine Tätigkeit im Unterschied zu manchen Engagierten mit Helfersyndrom realistisch ein: „Ich muss nicht die Flüchtlinge im Ort retten, sondern ich versuche, ihnen Deutsch beizubringen.“
Er hat viel Spaß am Unterrichten. „Es entwickelt sich langsam ein Wir-Gefühl und die Schüler wachsen mir ans Herz.“ Aber er findet den menschlichen Kontakt manchmal schwierig, weil er gerne mehr über die persönliche Geschichte der Flüchtlinge wissen würde. Niedermair: „Fragen nach der Vergangenheit sind für mich Tabu. Ich bin kein geschulter Psychologe und möchte keine Traumen auslösen, die ich nicht abfangen kann“, so die Selbsteinschätzung.
„Freundschaft kann sich entwickeln“, sagt er, „muss aber nicht sein.“ Für viele Helfer ist es wichtig, abzuwarten, bis ein Flüchtling von selbst seine Geschichte erzählt, um die angemessene Balance von Nähe und respektvoller Distanz zu halten.
Gerhard Niedermair hilft aus humanitären Gründen. „In Deutschland geht es uns so gut wie nirgends sonst auf der Welt.“ Ursprünglich hatte er Anglistik und Sozialkunde für das Lehramt studiert, später arbeitete er Manager für betriebliche Trainings in Fremdsprachen, interkultureller Zusammenarbeit, Finanzen und Strategie. Heute ist er in Rente und hat Zeit. Das Deutschtraining gibt es seit Mai 2015 in Vierkirchen.
Dort unterrichtet Gerhard Niedermair gerade sechs Flüchtlinge aus Eritrea, Sierra Leone und Senegal. Niedermair baut den Unterricht spielerisch, aber systematisch auf. Mit Würfelspielen wie Mäxchen werden Zahlen geübt und anhand von Werbeprospekten wird eingekauft. Viel gelacht wird immer beim Üben der Umlaute „ü“ oder „ö“. „Stellt euch vor, ihr küsst jemanden.“ Es berührt ihn immer wieder, wenn die Schüler Spaß und Freude beim Unterricht haben.

Wege in die Normalität

Dem ehrenamtlichen Deutschtrainer wäre es ein Anliegen, die Gettoisierung der Containerunterkünfte aufzuheben. „Eine Bedrohung empfindet man doch nur bei einer anonymen Geisterstadt.“ Die Ängste der Bevölkerung vor den Fremden kann er zwar verstehen, „aber Angst hat man doch nur vor etwas, das man nicht kennt.“
Ziel für eine gelungene Integration sollte es sein, diese Menschen kennen zu lernen, indem man sie zu einem Dorffest einlädt oder ihnen beim Einkaufen behilflich ist, so dass der Kontakt allmählich ganz alltäglich wird und die derzeit schwierige Situation in die Normalität überführt wird.
2015-10-01 17.06.49Am Anfang war alles anders als erwartet. Schulbücher waren zu weit weg von der Lebensrealität vieler Analphabeten. Manche Schüler kamen nur sporadisch zum Unterricht. Wenn Ramadan ist, wird nachts ferngesehen und gegessen und für den Unterricht tagsüber ist nicht mehr viel Energie übrig. Und offenbar konnten viele mit einem Stundenplan nichts anfangen. Niedermair humorvoll: „Offenbar ein europäisches Konzept.“
Für viele ehrenamtliche Deutschtrainer war es auch ein ernsthaftes Problem, dass die Uhrzeiten teilweise nicht eingehalten wurden. Manche empfanden keine Wertschätzung für ihren Unterricht und erlebten es als persönliche Kränkung.
Für Niedermair kein Problem. Er kennt die arabische Kultur. „Ich bin nicht der Erzieher für deutsche Pünktlichkeit. Wer kommt, der kommt.“ Für die Zuspätkommenden hat er ein Spiel entworfen. „Auf einer alten Uhr stellen wir die Uhrzeit ein. Die zu spät kommen, müssen die Uhrzeit sagen und um wie viel Minuten sie zu spät gekommen sind.“ Für seine Schüler sei es eben genauso schwierig, sich in einer fremden Kultur zurechtzufinden wie die deutsche Sprache zu lernen, so Niedermair.
Bald erfolgt eine Umstellung. Dann werden die Schüler je nach Lernschwierigkeit in Alphabetisierungskurse, Grundkurse und Deutsch für Fortgeschrittene eingeteilt. Auch ein Sprachcafe ist in Planung. Geübt werden kann dort die freie Unterhaltung auf Deutsch. Fakt ist: Ohne Sprachverständigung ist keine Integration möglich.

Im Helferkreis: Begleitung zu Ärzten und Ämtern

Szenenwechsel. Ilona Haude ist Leiterin des Arbeitskreises Begleitung und Gesundheit des selbstorganisierten Helferkreises im nahen Petershausen, den die Gemeinde initiiert hat. Von den rund 6000 Gemeindemitgliedern engagieren sich ca. 100 ehrenamtlich. Auch Ilona Haude, heute Rentnerin, hatte als Fachkrankenschwester immer in einem sozialen Beruf gearbeitet. Sie koordiniert derzeit die Tätigkeiten des Arbeitskreises, die unterteilt sind in die Bereiche: Spenden, Unterricht, Begleitung, Gesundheit, Patenschaften, Freizeitgestaltung, Öffentlichkeitsarbeit und Arbeitsvermittlung. „Mein Ziel ist es, die Flüchtlinge zur Selbständigkeit zu führen“, sagt sie.
Im Rahmen des Helferkreises begleitet sie die Asylbewerber vor allem zu Ämtern und zu Arztbesuchen. Das kostet viel Zeit. Sie holt sie meist eine halbe Stunde vorher ab, damit sie pünktlich sind. Manchmal dolmetscht dabei ein freundlicher junger Mann aus Eritrea (21), der viele Sprachen spricht und auf der Flucht gefoltert wurde. „Das bin ich meinen Landsleuten schuldig“, erklärt er ihr immer.
Hart ist es für Ilona Haude immer, wenn sie kriegs- oder fluchtgeschädigten Asylbewerbern mit chronischen Krankheiten erklären muss, dass sie in Deutschland nur im Akutfall behandelt werden können. Eine umfassende Krankenversicherung haben nur diejenigen, die ein Bleiberecht haben.
Die ehemalige Fachkrankenschwester sieht bei ihrer Tätigkeit jedes Schicksal: Jeder hat sein Leben durch die Flucht aufs Spiel gesetzt. Jeder Einzelne hat ein Recht, Gehör zu findet“, sagt sie. Sie findet es ein Armutszeugnis, dass andere Länder sich bei der Flüchtlingsaufnahme einfach stur stellen.
Michaela Doepke


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