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Führen ohne Angst

Verlag Vahlen
Verlag Vahlen

Psychologische Sicherheit am Arbeitsplatz

„Führen durch Angst“ ist in der Arbeitswelt immer noch verbreitet. Doch wenn Mitarbeitende sich unsicher fühlen, hemmt es Kreativität und Innovationskraft. Amy Edmondson forscht zum Thema Leadership. Sie empfiehlt, eine Atmosphäre von psychologischer Sicherheit und Offenheit zu schaffen.

Haben Sie schon einmal in einem Team, in einer Organisation, mit Vorgesetzten in einer Atmosphäre der Angst gearbeitet? Eine einengende, lähmende Angst, etwas zu tun oder zu sagen, was für uns negative Konsequenzen haben könnte.

Wahrscheinlich kennen viele von uns solche Situationen, in denen wir uns zurückziehen, uns klein machen, aufpassen, was wir sagen und nur noch „Dienst nach Vorschrift“ leisten. In der Tat sind solche Dynamiken in der Arbeitswelt weit verbreitet, von einigen Führungskräften wird „Führen durch Angst“ wegen der Effektivität und Reibungslosigkeit geschätzt.

Dabei bedenken sie nicht, dass ihnen die wertvollste Ressource entgeht, die es in Unternehmen gibt und die über Innovation und Erfolg entscheidet. Denn Innovation, die nicht nur das Bestehende verbessert, beruht auch darauf, dass die Mitarbeitenden sich innerlich sicher genug fühlen, unbequeme Fragen zu stellen, Entscheidungen der Vorgesetzten zu hinterfragen, unausgegorene Ideen zu äußern, Fehler zu machen und sich mit ihrer ganzen Kreativität einzubringen.

Wie wichtig diese psychologische Sicherheit ist und welche Folgen es haben kann, wenn sie nicht ausreichend vorhanden ist, beschreibt die Harvard-Professorin für Leadership Amy Edmondson in ihrem Buch „Die angstfreie Organisation“. Ethik heute hat sie zu einem Gespräch getroffen.

Fehlerkultur entscheidet über Zufriedenheit mit

Auf die Relevanz der psychologischen Sicherheit kam Amy Edmondson durch einen Zufall. Sie erforschte den Umgang mit Fehlern in den Pflegeteams einer Klinik. Dabei stellte sie überrascht fest, dass die Arbeitszufriedenheit der Mitarbeitenden in den Teams am größten war, welche die meisten Fehler machten.

Das schien ihr unlogisch, bis sie durch weiteres Forschen erkannte, dass in diesen zufriedeneren Teams eine Atmosphäre herrschte, in der Fehler zugegeben wurden. In den anderen Teams wurde das, was schlecht lief, einfach verheimlicht.

Amy Edmondson hat das Buch „Die angstfreie Organisation“ geschrieben

Welche dramatischen Konsequenzen eine angstvolle Arbeitsatmosphäre haben kann, veranschaulicht Edmondson an bekannten Beispielen, etwa den VW-Dieselskandal. Hier wurde von der Konzernleitung ein Ziel ausgegeben, das mit legalen Mitteln nicht zu erreichen war. Daher fanden die Mitarbeiter Wege, um das gewünschte Ergebnis per Manipulation zu erreichen. Es herrschte kein Klima, in dem Ingenieure der Führung mitteilen konnten, was sie wussten.

Ein Gegenbeispiel ist die Notlandung eines Flugzeugs nach einer Kollision mit Vögeln auf dem Hudson River in New York im Jahre 2009. Hier herrschte eine Atmosphäre des Vertrauens zwischen Kapitän und Copilot. Mit einem kurzen Wortwechsel übergab der Kapitän das Steuer an den Copiloten, weil dieser mit dem Flugzeugtyp besser vertraut war und ein günstigeres Sichtfeld hatte.

Feedback in geschützen Foren

Eine Voraussetzung für psychologisch sichere Arbeitsplätze ist Transparenz oder Aufrichtigkeit. Amy Edmondson hält Transparenz für eine Schlüsselqualität: „Große Führungspersönlichkeiten sind diejenigen, die die Wahrheit mit uns teilen – die uns in einem unsicheren und komplexen Umfeld wissen lassen, was sie wissen, was sie nicht wissen und was sie tun, um mehr herauszufinden und Fortschritte zu erzielen.“

Damit werden eine Arbeitsatmosphäre und Kommunikationsstrukturen angesprochen, die unterstützen, dass jede und jeder ehrlich und offen seine/ihre Meinung äußern kann.

Bei Pixar, dem bekannten Produzenten von Animationsfilmen, gibt es beispielsweise „Braintrusts“, das sind geschützte Foren, in denen Mitarbeitende einander wohlwollendes Feedback geben. „Wenn sich die Menschen psychologisch sicher genug fühlen, Einsichten Meinungen oder Empfehlungen einzubringen, vermehrt sich das Wissen im Raum exponentiell“, erklärt Edmondson.

Erfolgreich scheitern

Eine weitere Haltung, die solche kreativen Gesprächsprozesse unterstützt, ist das „Nicht-Wissen“, also dass man sich vorschneller Urteile enthält. Führende und Kollegen geben einander den Raum, ihre Ideen einzubringen.

Mitarbeitende werden ermuntert, ihren eigenen Interessen zu folgen und Projekte voranzubringen, die sie begeistern. Wenn die Menschen auf diese Weise kreativ werden, dann ist eines fast unvermeidlich: Sie werden Fehler machen und scheitern.

Für Sanda Bohnenkamp, Managerin bei den Münchner Stadtwerken, die angstfreie Führung in die Praxis umsetzt, ist deshalb eine gelebte Fehlerkultur besonders wichtig: „Was meine ich damit? Das Verständnis zu schaffen, dass Fehler passieren und das wir zu unseren Fehlern stehen. Wir richten den Blick nicht auf das Wer, sondern fragen: Wieso es passiert ist. Und was können wir tun, um den Fehler als Lernchance zu begreifen?“

Angstfreie Organisationen machen das Scheitern einfach oder belohnen es gar. Die Idee ist, dass man so schnell wie möglich herausfindet, ob eine innovative Idee praktikabel ist oder nicht.

Bei hoch innovativen Unternehmen wie Google X erhalten die Mitabreitenden für solch ein schnelles, erfolgreiches Scheitern einen Bonus. Erfolgreich ist dieses Scheitern deshalb, weil sich dadurch schneller der mögliche Weg zu der gelingenden Innovation eröffnen kann.

Neugierig bleiben und Angstkraft entwickeln

Auf meine Frage, was ihrer Ansicht nach die wichtigste Qualität an einem psychologisch sicheren Arbeitsplatz ist, antwortet Amy Edmondson:

„Ich glaube, die beste Antwort auf diese Frage ist: Neugierde. Die meisten Erwachsenen vergessen, wirklich neugierig zu sein auf das, was passiert, auf das, was andere wissen, was sie sehen und worüber sie sich wundern. Neugier motiviert die Menschen dazu, sich gegenseitig aufrichtige Fragen zu stellen – auch über das, was möglich ist.“

Ein psychologisch sicherer Arbeitsplatz bedeutet allerdings nicht, dass sich der Anspruch an die Mitarbeiterleistung verringert. Auch ist häufig eine Begleitung der Mitarbeitenden mittels Coaching hilfreich, um sie in dieser Arbeitsweise zu bestärken.

Man braucht eine innere Fähigkeit, mit eigenen Ängsten umzugehen, und das können Mitarbeitende und Führende gleichermaßen lernen. Ernst Gugler, Geschäftsführer der des Kommunikationshauses gugler*, sieht es so:

„Angst per se ist ein wichtiges Gefühl für uns Menschen. Die Frage ist, ob Angst als „Schwäche“ oder im Idealfall als informatives wertvolles Gefühl interpretiert wird. Mir wichtig, eine Atmosphäre zu schaffen, die es Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern ermöglicht, Gefühle wie Angst zeigen und aussprechen zu dürfen. Und die Kompetenz zu entwickeln, diese Angst in Angstkraft zu verwandeln, um z.B. neue innovative Lösungswege zu gehen.“

Innovation als Wettbewerbsvorteil

In vielen Aussagen von Unternehmern, die andere Wege gehen, zeigt sich, dass Kreativität und Innovation der entscheidende Wettbewerbsvorteil in der heutigen schnelllebigen Wirtschaft sind. Psychologische Sicherheit scheint eine entscheidende Voraussetzung dafür zu sein.

Zum Ende meines Gespräches mit Amy Edmondson fragte ich mich, ob diese Atmosphäre einer psychologischen Sicherheit auch auf den gesellschaftlichen Kontext übertragbar ist. Gerade in der momentan häufig angsterfüllten und polarisierenden Atmosphäre.

Sie antwortet darauf: „Organisationen jeder Größe (Teams, Abteilungen, Unternehmen, Behörden und wahrscheinlich auch Nationen) funktionieren besser und können die Talente ihrer Mitglieder besser nutzen, wenn die Menschen wissen, dass ihre Stimme willkommen ist.

Wir hören in den sehr vielfältigen Gesellschaften auf der ganzen Welt einen immer lauter werdenden Ruf nach stärkerer Einbeziehung und Inklusion. Psychologische Sicherheit ermöglicht Integration, was wiederum die Bandbreite der Ideen erweitert und Motivation verstärkt, hart für den gemeinsamen Fortschritt zu arbeiten. Und es stärkt auch die Überzeugung, dass eine bessere Zukunft möglich ist.“

Mike Kauschke

Mike Kauschke ist Autor, Übersetzer, Dialogbegleiter und Redaktionsleiter des Magazins evolve. www.mike-kauschke.de

Buchtipp: Amy C. Edmonson. Die angstfreie Organisation: Wie Sie psychologische Sicherheit am Arbeitsplatz für mehr Entwicklung, Lernen und Innovation schaffen. Vahlen 2020

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Mit Referenten aus verschiedenen Disziplinen.

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