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Mode-Dschungel setzt ein Zeichen

Die Inhaber mit Models.
Foto: Jens Dollenbacher
Die Inhaber mit Models. Foto: Jens Dollenbacher

„Der Künstler hat die Aufgabe, auf Missstände hinzuweisen“

Thorsten Jacob und Matthias Jacob-Burger haben ein Mode- und Frisörgeschäft in Mannheim. Doch sie beschäftigt nicht nur das Schöne, sondern sie nehmen auch Anteil am Leiden in der Welt. Mit der Herbstkollektion wollten sie ein Zeichen der Hoffnung setzen.

„Der Künstler hat die Aufgabe, auf Missstände hinzuweisen“, erklärt der Mannheimer Modedesigner Matthias Jacob-Burger in Anlehnung an den von ihm verehrten und bewunderten japanischen Avantgarde-Modedesigner Yohji Yamamoto.

Zusammen mit Thorsten Jacob führt Matthias Jacob-Burger das Mode- und Frisörgeschäft „Das Leben ist ein Dschungel“ in Mannheim. Zweimal jährlich finden dort Modeschauen statt, die jedes Mal bis auf den letzten Platz ausgebucht sind.

Für den Modedesigner Matthias Jacob-Burger gehört auch die Auseinandersetzung mit dem Begriff „Mode“ zu seinem Wirken. Ist das Kunst? Ein Gebrauchsartikel? „Darüber denke ich nach, seitdem ich diesen Beruf ergriffen habe. Für Thorsten und mich folgt daraus, dass, wer kreativ ist, auch auf Dinge hinweisen muss, die nicht okay sind“, erklärt er.

Dass Matthias Jacob-Burger und Thorsten Jacob kreativ sind, kann man schon an der Atmosphäre des Ladengeschäftes und seinen monatlich wechselnden Kunstausstellungen ablesen. Thorsten Jacob führt das Frisörgeschäft im „Dschungel“, wie die Kunden das Ladengeschäft liebevoll nennen. Er ist für die Köpfe zuständig und weiß genau, wie die Haare fallen beziehungsweise liegen müssen, um dem Gesicht die richtige Umrahmung zu geben.

Doch bei ihm bleibt es nicht nur bei der Frisur. Für die Köpfe zuständig sein, hat bei ihm durchaus eine doppelte Bedeutung: Er ist ein hervorragender Beobachter, ein kluger Gesprächspartner und ein scharfzüngiger Kommentator. Wer im „Dschungel“ ein nichtssagendendes Geplauder erwartet, mit dem einem der Frisör bei Laune hält, der wird enttäuscht. Hier wird einem nicht nur der Haarschopf gewaschen, sondern – wenn man offen dafür ist – auch der Kopf. Ein Frisörbesuch kann anregend, aufwühlend, augenöffnend und aufrüttelnd sein.

Der Charme des Unperfekten

Seit 2006 gibt es den „Dschungel“, dessen großzügige helle Räume sich in einem Mannheimer Hinterhaus befinden und den Charme des Unperfekten verströmen. Wer hier eintritt, lässt die Stresswelt der ständigen Selbstoptimierung hinter sich und kommt an. Zuhause bei Freunden, könnte man fast sagen.

Dass man in ein Geschäft eingetreten ist, den Eindruck hat man wahrlich nicht. Eher fühlt man sich an seine Jugend erinnert, in der man bei seiner Freundin, seinem Freund einfach mal abhängen konnte, einen Tee oder Kaffe trinken, mal Klamotten austauschen und anprobieren und quatschen. Über dies und das, über sich, Gott und die Welt.

„Wir üben beide unsere Traumberufe aus, haben einen Traumarbeitsplatz, und dieses Wohlgefühl wollen wir mit anderen teilen“, erklärt Matthias Jacob-Burger. Es geht ihnen definitiv nicht ums Geld scheffeln, nur ums genug haben, so dass jedes Jahr auch ein Urlaub drin ist. Ansonsten sind sie ja eh den ganzen Tag im Dschungel, wo könnte es auf Erden schöner sein?

Hoffnung als Thema der Herbst-Kollektion

Diesen Herbst soll es um das Thema Hoffnung gehen. Angesichts der Krisen auf der Erde eine gute Idee. Doch wie bringt man bei einer Schau, bei der es um Schönheit gehen soll, um das Vorführen von neuen Kollektionen, den Zuschauer das Thema Krisengebiete und Hoffnung nahe, ohne sie vor den Kopf zu stoßen und gar zu vergraulen?

Foto: HERRUNDFRAUHAMMEL

Foto: Andrea Liebers

Jeder Marketingberater würde den Kopf schütteln, wenn jemand bei einer Modenschau seinem Publikum die Augen für die Probleme der Welt öffnen wollte. Doch Thorsten Jacob und Matthias Jacob-Burger winken ab, wenn jemand versucht, sie davon abzuhalten. Ihnen liegt die Welt am Herzen, vor allem Toleranz und Offenheit steht auf den Fahnen des Dschungel in großen Lettern geschrieben. „Wie kann im Namen einer Religion so viel Brutalität ausgeübt werden?“, fragt Matthias und erzählt eine Geschichte, die den beiden sehr nahe gegangen ist.

Über Bekannte hörten von sie Ali, einem Homosexuellen aus Teheran. Er war der Todesstrafe nur durch die Flucht aus dem Land entgangen. „Alles im Namen einer Religion!“ Matthias schüttelt den Kopf.

Wie wenig man weiß, in welchen Ländern auf Homosexualität die Todesstrafe steht, etwa muslimischen Ländern wie Sudan, Somalia, Mauretanien und in Nigeria, im Iran, Jemen und Saudi-Arabien – das beschäftigte die beiden sehr. Dass in Ländern wie Bangladesch, Pakistan, Malaysia und Singapur eine lebenslange Haft dafür droht, weiß auch kaum einer.

Der Pfau beschützt die Erde

In dieser Zeit des Nachdenkens fiel Matthias durch Zufall auf dem Markt in Ludwigshafen ein Stoff mit einem Pfauenmuster in die Hände, von dem er das Gefühl hatte, dass er ihn kaufen muss. So ist es bei ihm immer, er lässt sich von seinem Gefühl leiten, verrät er sein Kreativkonzept. Ihm ist klar, dass sich irgendwann herausstellen wird, wofür er genau dieses Pfauenmuster brauchen wird. Es braucht einfach nur Zeit.

Der Pfau als Symbol der Hoffnung. Foto: HERRUNDFRAUHAMMEL

Der Pfau als Symbol der Hoffnung wird auf jedes Kleidungsstück genäht. Foto: Andrea Liebers

Dann lernt er Ali persönlich kennen. Und immer mehr Kunden reden im Dschungel von ihrer Betroffenheit über die Barbarei der Terrorgruppe IS, über die Verfolgung von Kurden, Jesiden und wie schlimm sie es finden, dass im Namen einer Religion solche menschenverachtende Kriege geführt werden. Da fällt Matthias das Pfaumuster ein. Es ist ein orientalisches Muster.

Er schaut im Internet nach, wofür der Pfau in islamischen Ländern steht und erfährt, dass er im Jesidentum, der Ursprungsreligion der Kurden, den für die Jesiden heiligen „Engel Pfau“ darstellt. Er wird Tausi Melek genannt, und es heißt, dass er von Gott zum obersten Engel und zum Beschützer und Verwalter der Erde ernannt wurde.

Damit war das entscheidende Accessoire für die Herbstkollektion gefunden. Auf die Ärmel der Jacken seiner Herbstkollektion näht Matthias Jacob-Burger daraufhin das Pfauenemblem. Er füttert mit dem Pfauenstoff die Kapuzen oder näht damit Innentaschen ein. Kein Kleidungsstück verlässt ohne den Pfau die Nähmaschine (Matthias näht alle Stücke selbst).

Wenn jemand ein Kleidungsstück der Herbstkollektion kaufen will, wird er garantiert nach dem Pfau fragen, denn er ist nicht zu übersehen. Dann wird er oder sie die Geschichte von Tausi Melek, dem Beschützer der Erde, erzählt bekommen. Er wird erfahren, wie wichtig es ist, dass wir die Botschaft des Pfaus ernst nehmen, dass jeder sich überlegt, wo er oder sie konkret der Welt ein Stück Hoffnung geben kann, anstatt nur zu reden und ansonsten die Augen vor dem, was an Ungerechtigkeiten auch vor unserer Haustür geschieht, zu verschließen.

Das Schöne und das Unschöne sind Teile der Wirklichkeit

Zurück zur „Modeschau“ im Dschungel. Vier befreundete regionale Designer (Hut Konrad, Mutzwerk, Marion Beck (Eye Catcher), die Ess-Klasse, kromminga) zeigen ihre Kollektion. Thorsten Jacob ist für Musik und Video zuständig (er war früher DJ und legte in angesagten Clubs auf). Beim Catwalk der Kollektion „Das Leben ist ein Dschungel“ wummert rhythmisch ein Bass, vermummte Gestalten marschieren ein, man assoziiert unweigerlich Militärisches. Auf der Leinwand sind die Schattenseiten der Welt zu sehen: Leid, Tod, Unheil.

Das Leben ist nämlich nicht nur schön, und das Unschöne existiert auch dann, wenn Mode präsentiert wird. Das Publikum schaut abwechselnd auf die Models und die Leinwand. Es arbeitet in ihnen. Die Zuschauer sind bemüht, beide Welten zusammenzubringen. Wie ernst Thorsten Jacob und Mathias Jacob-Burger das „Hoffnung geben“ nehmen, erkennt man schon daran, dass eines der Models Ali aus Teheran ist.

 

Andrea Liebers

www.das-leben-ist-ein-dschungel.de

 

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Mit Referenten aus verschiedenen Disziplinen.

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