Wie man Kinder angesichts von Krieg gut begleitet
Bilder brennender Häuser und bedrohter Menschen, besorgte Erwachsene – der Krieg in Europa verängstigt auch die Kinderherzen hierzulande. Die Internistin und Klinische Psychologin Dr. Veronika Gmeiner erklärt, wie Kinder auf das Kriegsgeschehen reagieren und wie wir sie gut begleiten können, ohne eine heile Welt vorzugaukeln.
Nach den Ereignissen im September 2001 rund um das World-Trade-Center gab es zunehmend Studien zur Traumatisierung von Beobachtenden. Man stellte fest: Auch Betrachter und Zuhörer eines Anschlags, einer Folter oder eines Unfalls können ähnliche Symptome erleiden wie die Opfer derselben.
Dasselbe geschieht laut der Psychologin Dr. Veronika Gmeiner derzeit gerade in Europa. Alle Kinder in Deutschland fühlen sich bedroht, wenn Kriegsmeldungen und -bilder ungehemmt auf sie einströmen. Dazu sagt Gmeiner: „Auch das bloße Beteiligtsein, vor allem durch bedrohliche Bilder und Meldungen, kann zu einem Trauma führen. Die Informationen einzuordnen ist für Kinder wichtig, denn Bedrohungsphantasien erzeugen noch mehr Ängste und ein diffuses Gefühl der Ohnmacht.“
Woran jedoch bemerken Bezugspersonen, ob ihr Kind an den Kriegsmeldungen leidet? An erster Stelle steht der Psychologin zufolge erst einmal die Klärung ̶ schließlich ist auch denkbar, dass das Kind etwas anderes als der Krieg bedrückt.
„Zunächst sollte man mit einem Kind immer nur dann reden, wenn es ihm ein Bedürfnis ist und nur so viel, wie ihm ein Bedürfnis ist“, betont Gmeiner. Wichtig sei außerdem zu wissen, dass sich eine Traumatisierung bei Kindern meistens über das Verhalten ausdrückt.
Wenn die Eltern tatsächlich eine Verhaltensänderung bemerken, sollten sie über eben jene Verhaltensänderung ins Gespräch einsteigen. Man könne beispielsweise ausdrücken: „Mir ist aufgefallen, dass du jetzt plötzlich viel häufiger weinst als sonst. Was beschäftigt dich? Was brauchst du von mir?“, schlägt Gmeiner vor.
Familiäre Geborgenheit geben
Wird vom Kind verbal oder nonverbal bestätigt, dass es sich um kriegsbedingte Ängste handelt, sollte man sie in eine familiäre Atmosphäre einbetten.
Reagiert ein Kind weinerlicher und nähebedürftig, sollten die Eltern Nähe und Wärme spenden. Wird ein Kind impulsiv, benötigt es Halt und das Vermitteln der Botschaft ‘Ich bin da, lass uns zusammen etwas machen, was brauchst du von mir`?
Auf Fragen nach einem möglichen Krieg in Deutschland könne man beispielsweise so antworten: „Nein, das glaube ich nicht. Wir sind in Deutschland in Sicherheit. Wir können jetzt den Menschen, die zu uns kommen, helfen.“
Gerade das Miteinander-Sein sei jedoch schwierig in der heutigen Gesellschaft. Wir hätten das Füreinander-Dasein teilweise verlernt, durch die allgegenwärtige Ablenkung und Zeitnot. Deswegen appelliert die Psychologin an die Eltern: „In diesen Zeiten braucht es das Zusammenrücken der Familie. Vor dem Einbetten in eine Therapie ist es sinnvoller, aktiv selbst einen Spaziergang, eine Tätigkeit oder ein Mittagessen mit dem Kind zu verbringen. Etwas, das allen gut tut“, so Gmeiner.
Psychiater und Ergotherapeuten könnten zwar Impulse geben, doch niemals das Verhalten der Eltern ersetzen. Auf die Verletzlichkeit des Kindes kann letztlich nur die Geborgenheit der Familie die richtige Antwort sein. Wichtig ist in diesem Zusammenhang, sich auch über die eigenen Einstellungen und Ängste bewusst zu werden. Eltern müssen sich Unterstützung holen, wenn sie bemerken, den Kindern nicht Halt geben zu können.
Dennoch dürfe man Kindern keine falschen Hoffnungen vermitteln: „Die derzeitigen Nachrichten zeigen ja, dass nichts sicher ist. Gerade, wenn sich der Krieg in Europa, in der Nähe abspielt und das direkt nach einer zermürbenden Coronapandemie“, betont die Psychologin. Das stehe im absoluten Kontrast zum oft gehörten Wunsch, dass alles stabil und heil bleiben soll. „Diese Dissonanz spüren natürlich auch die Kinder“.
Es bedürfe eines Fingerspitzengefühls: „Heile Welt“ soll man nicht vorgaukeln, doch Kriegsbilder konsumieren lassen ebenso wenig. Denn diese brennen sich ins Kindergedächtnis ein. Die Traumatherapeutin empfiehlt: „Nichts verstecken, nichts verbergen, sondern dosiert – je nach Kind – das Thema aufgreifen und tun, was in der eigenen Macht steht.“
Für eine hoffnungsvolle Zukunft arbeiten
Kinder erleben allerdings eine Krise umso besorgniserregender, je mehr sich die Eltern sorgen. Dr. Veronika Gmeiner sagt hierzu: „Deshalb haben wir Eltern jetzt die Aufgabe, für uns eine hoffnungsvolle Zukunft zu erarbeiten. Damit wir nicht als Eltern selbst in der Spirale der Hoffnungslosigkeit verweilen, sondern über aktives Tun die Hoffnung erarbeiten.“ Sie macht Eltern Mut: „Gedanken wie ‘Wir werden etwas ändern und wir werden es schaffen’ sind schon die halbe Miete.“
Eine gute Lösung sei zudem eine Hilfsaktion für Flüchtlingskinder. Das Stichwort heißt: Wir tun aktiv Positives – vom Bildmalen bis zur konkreten Hilfsaktion. Kinder bemerken so, dass es bei allem Schrecklichen immer auch ein positives Zukunftselement gibt.
„Das ist letztlich das, was Kinder und Erwachsene brauchen: Bei allem Schrecklichen benötigen wir ein bisschen etwas Heiles“, bekräftigt Gmeiner. Dieses „Heile“ könne alles sein – vom guten gemeinsamen Essen bis zu Kuscheln oder dem Einladen eines Flüchtlingskindes. Damit lernt das Kind, dass die Eltern ihm Halt geben und selbst Kinder, die scheinbar chancenlos waren, weiter kommen.
Kindergarten-Leiterin: Mutmachend und behutsam antworten
Eine Kindergartenleiterin, Carmen Biethan, hat gemeinsam mit ihrem Team einen solchen „Heilmachplan“ organisiert. In den Fenstern des Pfarrkindergartens St. Marienheim in Klagenfurt hängen Friedenstauben, die eine hoffnungsvolle Botschaft vermitteln.
Im Eingangsbereich begrüßt die Eltern und Kinder ein Plakat, dass das Thema “Frieden mit sich selbst schließen” aufgreift. Eine Kindergartengruppe hat den gegenwärtigen Krieg besonders behutsam aufgegriffen. Ein schwarzes Plakat der Aufschrift “In der Welt ist es dunkel – Licht bringen müssen wir” hängt vor dem Gruppenraum.
Allein die Fotos lächelnder Kindergesichter erhellen den dunklen Untergrund. Daneben steht: “Kinder kennen weder die Vergangenheit noch die Zukunft – und sie genießen die Gegenwart” und “Kinder sind eine Brücke zum Himmel“. Daneben sind eine Spendenbüchse und eine Kiste aufgestellt. Dort können Sachspenden für ein Waisenhaus in der Ukraine hineingelegt werden.
Diese Idee lässt die Kinder mit ihren Ängsten nicht allein. Die Leiterin sagt hierzu: “Prinzipiell gehen wir immer vom Frieden als Basis aus”. Der Kindergarten sieht es offenbar als seine Aufgabe, den Unfrieden nicht zu verleugnen, sondern in der Kindersprache Rückhalt und Vertrauen in die Zukunft mitzugeben. Vermittelt wird den Kleinen: “Ihr könnt Liebe in die Welt tragen.” Das bringt nicht allein Hoffnung im Jetzt, sondern beugt auch Feindbildern der Zukunft vor.
Maria Köpf, freie Journalisti
Dr. Veronika Gmeiner ist an der Palliativstation am Landesklinikum Scheibbs als Ärztin und im mobilen Team des Klinikums tätig. Als Ärztin, Psychologin und Psychotherapeutin ist sie auf chronisch Erkrankte, psychosomatisch- und psychisch erkrankte Menschen spezialisiert. Durch ihre Tätigkeit in der Notfallmedizin entstand auch die Beschäftigung mit psychischer Traumatisierung und deren Therapiemöglichkeiten. Über Jahre arbeitete sie in der psychosozialen Notfallversorgung im Akutteam Niederösterreich und als Traumatherapeutin in eigener Praxis.