Das empfehlenswerte Buch “Factfulness”
Es ist mutig, in Zeiten von Fake News ein Buch „Factfulness“ zu schreiben. Der Gesundheitsforscher Hans Rosling zeigt mit Fakten, Zahlen und Statistiken, dass unser düsteres Bild der Welt falsch ist. Nur wenn wir erkennen, wie die Welt wirklich ist, könnten wir sinnvoll handeln. Ein lehrreiches Buch.
„Der Verlust der Hoffnung ist die schlimmste Konsequenz des Instinkts der Negativität.“ Hans Rosling
Glauben Sie auch, dass die Welt immer schlechter wird? Vielleicht liegt das gar nicht an der Welt, sondern an unserer Wahrnehmung. Das zeigt Hans Rosling, Professor für internationale Gesundheit, in seinem erhellenden Buch „Factfulness“.
Schon wer die 13 Eingangsfragen zum Zustand der Welt beantwortet, „Testen Sie sich selbst“, merkt schnell, wie wenig er wirklich weiß. Zum Beispiel hat sich die Zahl der Menschen, die in extremer Armut leben, in den letzten 20 Jahren nicht etwa verdoppelt oder unwesentlich verändert, sondern halbiert. Hätten Sie´s gewusst?
Die meisten von uns haben das Bild einer sich vertiefenden Kluft zwischen Arm und Reich im Kopf. Rosling weist darauf hin, dass wir die Welt differenzierter sehen müssten. Denn zwischen den extrem Armen (1,25 Dollar pro Tag) und den Reichen lebte die Mehrheit der Menschen im mittleren Bereich (zwischen 4, 16 und 32 Dollar pro Tag). Auch hätten 80 Prozent der Weltbevölkerung ein gewisses Maß an Elektrizität zur Verfügung, und nicht nur die meisten Jungen, sondern auch Mädchen besuchten zehn Jahre lang eine Schule.
Überholte Vorurteile
Das Buch birgt viele Überraschungen. Man merkt schnell, dass man alten Konzepten anhängt – von einer Welt, die sich ständig wandelt. Ein überholtes Schema ist das von „Entwicklungsländern“ und „Industrienationen“. Das Wissen, das man sich in der Schule aneigne, sei bereits in 10 bis 20 Jahren veraltet, warnt der Autor. Die Vorurteile hielten sich jedoch hartnäckig.
Rosling bringt den Leser mit Fragen, Statistiken und Zahlen zum Staunen. Kompetent, sachlich, geschickt, aber auch humorvoll kämpft er gegen die „Illusion ständiger Verschlechterung“, wie er es nennt, an. Und er gibt viel Wissen weiter, damit wir lernen, Zahlen einzuordnen, Statistiken zu interpretieren und Fakten in den Kontext zu setzen.
In seinem Buch schildert Rosling, der vor Vollendung seines Buches leider verstorben ist, auch persönliche Begebenheiten. So berichtet er von eigenen Dilemma-Situationen, etwa als Arzt in Afrika. Sollte er seine Energie lieber darauf verwenden, einem einzigen kranken Kind zu helfen oder Maßnahmen zur Vorbeugung von Kranheiten entwickeln?
Schieflage in der Wahrnehmung
Nicht nur den Einzelnen will Rosling wachrütteln, auch Medien und Nicht-Regierungsorganisationen (NGO) bekommen ihr Fett weg. Sie bedienten oftmals den menschlichen „Instinkt der Negativität“, also die Tatsache, dass unser Gehirn auf Negativnachrichten so gut anspringt und Positives übersieht.
Ein eigenes Kapitel ist den Medien gewidmet. Würden Journalisten berichten, dass Kinder zur Schule gehen oder Menschen von Tuberkulose geheilt würden? Nein, denn sie werden nicht für gute Nachrichten bezahlt, sondern für schlechte. Zwar ist Rosling sich bewusst, dass es Aufgabe der Medien ist, Missstände aufzudecken. Aber er ruft dazu auf, sich diese Zielsetzung bewusst zu machen, wenn man Presseartikel konsumiert, und Nachrichten in einen Gesamtkontext einzuordnen.
Ein weiteres Kapitel ist den sogenannten Experten von NGOs gewidmet. Sie neigten dazu, Situationen zu übertreiben und zu dramatisieren, um für ihr Anliegen zu werben. Fortschritte würden von ihnen oft nicht anerkannt. Daher sie auch hier Vorsicht geboten. Die Wirkung, das Negative in den Fokus zu rücken, sei fatal: „Der Verlust der Hoffnung ist die schlimmste Konsequenz des Instinkts der Negativität“.
In einem Kapitel geht es um die Klimawandel. Auch hier ruft der Autor dazu auf, die Situation nicht schlimmer darzustellen, als sie sei. Dramatisierung verneble den Geist und man fühle sich hilflos, statt das Richtige zu tun. Das ist sicher ein weiser Ratschlag. Andererseits blendet der Autor gravierende Probleme wie Ressourcenverschwendung, Verlust der Wälder und Arten aus. Als Gesundheitsforscher lenkt er seinen Blick auf den einzelnen Menschen und nicht auf den Zustand der Erde, in die Menschen eingebunden sind. Aber wir haben ja nun gelernt, dass jede Information aus einem bestimmten Blickwinkel geschrieben ist und können dies einordnen.
Es ist das Verdienst von Rosling, auf 400 Seiten mit Halbwissen und gefühlten Wahrheiten über den Zustand der Welt aufzuräumen. Das Buch ist lehrreich. Die Quintessenz formuliert er selbst: „Seien Sie bescheiden, was das Ausmaß Ihres Wissens betrifft“.
Birgit Stratmann
Hans Rosling/ Anna Rosling Rönnl/ Ola Rosling: „Factfulness: Wie wir lernen, die Welt so zu sehen, wie sie wirklich ist“, Ullstein,4. Auflage 2019, 400 Seiten