Papst Franziskus ergreift Partei
Die neue Enzyklika von Papst Franziskus übt heftige Kritik an der Marktwirtschaft, die er als “unethisch” ansieht. Er fordert eine Kultur des Teilens.
Es ist kein Zufall, dass liberale Medien und Politiker die neue Enzyklika Evangelii Gaudium von Papst Franziskus entweder ignoriert oder offen bekämpft haben: Dieses Lehrschreiben ist revolutionär. Auch im Vergleich zu seinen Vorgängern.
Der wohl bald heiliggesprochene Papst Johannes Paul II verkündete noch: Es „scheint der freie Markt das wirksamste Instrument für die Anlage der Ressourcen und für die beste Befriedigung der Bedürfnisse zu sein“ (Centesimus Annos). Papst Franziskus hält dem entgegen: In diesem Marktsystem sind Mensch und Umwelt „wehrlos gegenüber den Interessen des vergöttlichten Marktes“. Er wendet sich nachdrücklich gegen „Ideologien, die die absolute Autonomie der Märkte und die Finanzspekulation verteidigen.“
Päpste haben schon früher auf Auswüchse des Kapitalismus kritisch hingewiesen. Doch sahen sie nie im Marktsystem selbst die Quelle des Übels. Papst Franziskus betont dagegen, dass „das gesellschaftliche und wirtschaftliche System an der Wurzel ungerecht“ ist. Und er sieht darin sogar das in den „ungerechten Gesellschaftsstrukturen kristallisierte Böse“.
„Die Dichotomie zwischen Wirtschaft und Gemeinwohl überwinden“
Die von der katholischen Kirche traditionell verteidigte Option für die Armen bleibt bei Franziskus keine kraftlose Forderung, die sich in individueller Nächstenliebe erschöpft. Er kritisiert ausdrücklich „eine Art ‚Nächstenliebe à la carte‘, eine Reihe von Taten, die nur darauf ausgerichtet sind, das eigene Gewissen zu beruhigen.“
Was in den Evangelien Reich Gottes heißt, ist für den Papst kein bloßes Jenseits, auch keine reine Innerlichkeit. Es soll „das Gesellschaftsleben für alle ein Raum der Brüderlichkeit, der Gerechtigkeit, des Friedens und der Würde sein.“
Es ist ein Gemeinschaftsleben, das nicht mehr primär über den Markt hergestellt wird. Gottes „Gnade setzt die Kultur voraus, und die Gabe Gottes nimmt Gestalt an in der Kultur dessen, der sie empfängt.“ Das heißt: Man kann die Moral nicht neben die Wirtschaft stellen, wie die Kirche neben den Marktplatz. Es ist die Aufgabe der Ethik, „eine menschlichere Gesellschaftsordnung zu schaffen“, um „die absolute Dichotomie zwischen Wirtschaft und Gemeinwohl zu überwinden.“
„Der Markt ist zu einer Tyrannei geworden“
Die von der Politik frei gelassene Marktwirtschaft ist in ihrer Wurzel unethisch. Der Markt ist zu einer „unsichtbaren, manchmal virtuellen Tyrannei“ geworden. Franziskus spielt in dieser Formulierung ganz offensichtlich auf die „unsichtbare Hand“ an, die nach der Lehre von Adam Smith die Märkte lenkt und die zum Leitbild des Neoliberalismus geworden ist.
Die Globalisierung der Märkte ist nicht das Ergebnis eines Naturprozesses, wie Ökonomen behaupten. Was sich in vielen Ländern an Krisen, an sozialem Elend zeigt, ist nicht naturwüchsig entstanden; es „geht auf Ideologien zurück, die die absolute Autonomie der Märkte und die Finanzspekulation verteidigen.“.
Die Begründungen für die Herrschaft der Märkte entpuppen sich als rein ideologisch und stehen im Widerspruch zur sozialen Wirklichkeit. Der Papst nennt ausdrücklich die vom Neoliberalismus verteidigte Trickle-Down-Theorie, derzufolge das Wachstum der Märkte zunächst die Reichen reicher, später die Armen am Wohlstand teilhaben lasse. Diese Theorie, so die neue Enzyklika, ist „nie von den Fakten bestätigt“ worden.
Im Gegenteil. Die Märkte in ihrem „Fetischismus des Geldes und in der Diktatur einer Wirtschaft ohne Gesicht und ohne ein wirklich menschliches Ziel“ bringen nicht nur immer mehr Ungleichheit hervor.
„Es ist lästig, wenn man von Ethik spricht“
Der Papst übernimmt die Theorie der Armut, die von einer Exklusion, einer Ausschließung der Menschen aus der Gesellschaft durch die Konkurrenz ausgeht. Diese Ausschließung treibt Menschen in Elend und Verzweiflung, ist letztlich die Ursache für soziale Aufstände. Der Papst verdammt nicht die Menschen, die sich in solch einer Situation wehren. Er zeigt Verständnis und benennt die eigentliche Ursache: „Das geschieht nicht nur, weil die soziale Ungleichheit gewaltsame Reaktionen derer provoziert, die vom System ausgeschlossen sind, sondern weil das gesellschaftliche und wirtschaftliche System an der Wurzel ungerecht ist.“
Es ist das kapitalistische System, nicht die eine oder andere nationale oder konjunkturelle Besonderheit, die zum Ausschluss der Armen führt. Das Geld dominiert menschliche Handlungen und beherrscht auch die Politik. Deshalb sagt Franziskus „nein zur neuen Vergötterung des Geldes“, denn „diese Wirtschaft tötet.“
Papst Franziskus ist kein Kommunist. Wenn er sagt: „Die Gier nach Macht und Besitz kennt keine Grenzen“, so ist die Wurzel in einer geistigen Haltung der Menschen zu suchen, die allerdings zu einem politischen und ökonomischen System geworden ist.
Eine Kultur des Teilens schaffen
Ethische Forderungen würden sogar „ins Lächerliche gezogen“, sagt der Papst: „Es ist lästig, wenn man von Ethik spricht“. Menschen sind aber ethische Wesen. Die Gier nach Macht und Besitz ist nicht natürlich oder angeboren. Sie wird aber durch ökonomische Ideologien immer wieder angefacht und gerechtfertigt. Was geistige Ursachen hat, kann auch ethisch beschränkt und verwandelt werden.
Die Enzyklika setzt hier auf „das Mitgefühl, das versteht, beisteht und fördert.“ Dem Mitgefühl geht eine genaue Untersuchung der gesellschaftlichen Zustände voraus, um nicht zur bloßen „Nächstenliebe a lá carte“ zu werden. Der Papst sieht es allerdings nicht als seine Aufgabe an, eine „vollkommene Analyse der gegenwärtigen Wirklichkeit“ zu bieten, fordert aber wie einer seiner Vorgänger auf, „die Zeichen der Zeit zu erforschen“ (Paul VI, Enzyklika Ecclesiam suam). Eine Ethik des Mitgefühls ist immer zugleich eine Ethik der Erkenntnis, die Ideologien durchschaut und entzaubert.
Mit seiner Enzyklika hat Papst Franziskus die Tür zu einer kritischen Ethik aufgestoßen, die auch zu einem „interreligiösen Dialog mit den Angehörigen der nicht christlichen Religionen“ auffordert – nicht nur Religionen, auch andere ethische Traditionen rücken ins Blickfeld.
Franziskus zitiert den Satz des Kirchenvaters Johannes Chrystosomus: „Die eigenen Güter nicht mit den Armen zu teilen bedeutet, diese zu bestehlen“. Das ist ein unüberhörbarer Anklang an die Anfänge der sozialen Bewegung im 19. Jahrhundert. Pierre-Joseph Proudhon sagte: „Eigentum ist Diebstahl“. Die Enzyklika ist also „ein Papst-Schreiben von gewaltiger Tragweite“ (Die Welt). Es fordert auf, tradierte ethische Systeme neu zu durchdenken und den Mut aufzubringen, „über den Kapitalismus hinaus zu denken“ (Reinhard Kardinal Marx).
Karl-Heinz Brodbeck
Weiterführende Links:
Papst Franziskus: Evangelii Gaudium
Reinhard Kardinal Marx: „Über den Kapitalismus hinaus denken“
„Ein Papst-Schreiben von gewaltiger Tragweite“ (Die Welt)
Am heutigen 17.4.14 enthält das Handelsblatt einer Sonderteil “Der Reformator – Der Papst, die Ökonomen un der Kampf für eine gerechtere Wirtschaft”
In dem ersten Artikel werden die Führungsprinzipien des Papstes zusammengefasst:
1. Zeige Demut und Bescheidenheit !
2. Nimm die Basis mit !
3. Demonstriere Transparenz und Toleranz!
4. Gib Fehler zu!
5. Zeige Härte, wo nötig!
6. Definiere einen Gegner und ein Ziel!
7. Übertreib’s nicht!
Sehr spannend der folgende Artikel über die wachsende Kluft zwischen Arm und Reich mit kleinen Extra-Artikeln über China, Russland, USA.
Es folgt ein Interview mit Francis Fukuyama, das sich ebenfalls mit dem Thema Arm/Reich und der (sinkende) Fähigkeit der Politik, dieses Problem umzusteuern beschäftigt.
Auf der Rückseite des Hefts vertritt der Vorstandsvorsitzende der Bank für Kirche und Diakonie den Standpunkt: “Banken müssen sich eine Moral leisten” .
Jede Menge interessante Standpunkte und Analysen, gerade auch für unser Netzwerk!