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Gegen die Selbstgerechtigkeit

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Kolumne von Sabine Breit

Mit ihrem Satz „How dare you“ legte Greta Thunberg die Anmaßung von Menschen offen, die nur ihre eigenen Ziele verfolgen, koste es, was es wolle. Sabine Breit meint, dass uns diese Attitüde des „Herrenmenschen“ ständig begegnet. Wir sollten eine ethische Haltung einfordern, uns aber gleichzeitig hüten, in dieselbe Attitüde zu verfallen.

„How dare you?“ – drei Worte, die eine sichtlich bewegte Greta Thunberg im September 2019 in New York all jenen entgegenschleuderte, die wider besseres Wissen und obwohl sie die Macht dazu hätten, seit Jahrzehnten tatenlos die Zerstörung unserer Lebensgrundlage hinnehmen, ja sie sogar noch befördern. „Für Geld und das Märchen vom unendlichen wirtschaftlichen Wachstum“, wie Greta sagt.

How dare you? – „Wie könnt Ihr es wagen?“, „Was bildet Ihr Euch ein?“, „Für wen haltet Ihr Euch?“, „Geht’s noch?“. Wie immer man diese drei Worte auch übersetzt, sie werfen ein Schlaglicht auf ein Grundproblem, das unsere Welt plagt. Und zwar nicht erst seit gestern.

Macht missbrauchen, weil man’s kann

Sie wenden sich gegen die Attitüde, man habe das Recht, sich über andere Menschen zu erheben, die eigenen Interessen über die anderer zu stellen, andere zu benutzen und zu manipulieren und ihnen den grundlegenden mitmenschlichen Respekt zu verweigern. Frauen nach Lust und Laune in den Schritt zu fassen, weil man ein reicher Mann ist. Menschen in sogenannten Entwicklungsländern auszubeuten, damit die „Konsumenten“ mit billigen Waren bei Laune gehalten werden. Unsere Lebengrundlage zu zerstören oder Menschen süchtig zu machen, um aus Millionen Milliarden zu machen.

Mit Wohnraum zu spekulieren und damit das Menschenrecht auf Wohnen in Frage zu stellen. Wahlen und Gesetzgebungsprozesse zu manipulieren und damit Demokratien auszuhöhlen. Sich unserer Daten zu bemächtigen, um Geld damit zu machen und uns besser manipulieren zu können. Alles nur, weil man es kann. Weil man glaubt, das Recht darauf zu haben, jedwede Macht, über die man verfügt, zum eigenen Vorteil zu gebrauchen und zu missbrauchen.

Sexismus, Rassismus und andere „-smen“, die Menschen erniedrigen, der Missbrauch unserer Daten, die Missachtung grundlegender Menschenrechte und die Zerstörung unserer Lebensgrundlagen entspringen letztlich derselben Quelle – einer Herrenmenschen-Attitüde, die sich Rechte jeglicher Art anmaßt.

Wie etwa das Recht, unsere Umwelt zu verschmutzen, wofür wir sogar ein Wort haben: „Emissionsrechte“ – sozusagen die konsequente Fortsetzung der alttestamentarischen Aufforderung, sich die Erde untertan zu machen. Man stelle sich vor, jemand würde öffentlich „Vergewaltigungsrechte“, „Diskriminierungsrechte“, „Ausbeutungs-“, „Folter-“ oder „Tötungsrechte“ und einen schwunghaften Handel damit fordern.

Verletzungen durch Machtmissbrauch

Die drei Worte von Greta Thunberg bringen aber nicht nur auf den Punkt, was alle Unmenschlichkeiten auf der Welt verbindet, sondern sie können uns auch als Handlungsanleitung dienen im Umgang mit all jenen Kräften, von denen diese Anmaßungen ausgehen und gegen deren Macht-Attitüde wir uns solidarisieren müssen. So bringen sie durch ihre Kraft und Emotionalität nicht nur ans Licht, welche tiefen Verletzungen diese Haltung bei den Objekten von Machtmissbrauch verursacht.

Sie sind gleichzeitig auch geeignet, den Wahn derer, die sich Macht anmaßen und missbrauchen, zu entlarven: „Was bildest Du dir eigentlich ein?“ kann jeden Machtanspruch als das erkennbar machen, was er letztlich ist – eine Einbildung. Eine Einbildung, der nicht nur diejenigen aufsitzen, die ihre Macht missbrauchen, sondern auch jene, die zum Objekt gemacht werden und dies als gegeben hinnehmen.

So wie Greta diese Schimäre mit ihren Worten auf der großen Bühne auflöst, können wir im täglichen Umgang den Machtmissbrauchern im Büro, in der Schule, in der Kirche, in einer Behörde oder in der Politik mit einem entschiedenen „Was bildest Du Dir eigentlich ein?“ begegnen, um uns vor ihren Übergriffen zu wehren und sie in ihre Schranken zu verweisen, indem wir die Lächerlichkeit ihres Ansinnens deutlich machen.

Den Rechthaber in uns selbst zügeln

Ein „Was bildest Du dir eigentlich ein?“ funktioniert aber auch im Umgang mit den gelegentlichen Herrenmensch-Anwandlungen in jedem von uns. Sozusagen im Dialog mit dem eigenen Spiegelbild. Etwa mit der Stimme der Überheblichkeit, die sich meldet, wenn wir in der Sicherheit unserer Autos meinen, uns gehöre die Straße und wir dürften alle anderen weg hupen oder abdrängen.

Oder wenn wir auf unserem Fahrrad meinen, wir dürfen Fußgänger ignorieren und Autofahrer anpöbeln, weil wir grundsätzlich moralisch überlegen sind. Oder mit der Rechthaberin in uns, die ihr Haupt erhebt, wenn ihr die Meinungen anderer nicht passen und sie auf Stichwort reflexartig in die Nazi-, Moralisten-, Veganer-, Fleischfresser- oder sonst eine Schublade packt, um sie dann nach Herzenslust beschimpfen oder verachten zu können. Oder in den Momenten, wenn wir den eigenen Lebensstil mal wieder auf ein Podest stellen, um auf alle, die nicht demselben Kult huldigen – sei es der Porsche 911-Kult oder der linksdrehende-Tofuburger-Kult – runterzuschauen.

Immer dann, wenn wir nicht die Möglichkeit in Betracht ziehen, dass unsere Mitmenschen Gründe für ihr Handeln haben können. Oder dass sie sich einfach nur geirrt oder versprochen haben. Dass sie einen Fehler gemacht haben, dass sie unaufmerksam waren. Dass sie uns nicht am Zeuge flicken wollen. Immer dann, wenn wir aus einer angenommenen Opferrolle mit dem nächsten Atemzug selbst zum Täter werden.

Zugegebenermaßen ist es nicht immer auf Anhieb zu unterscheiden, wer uns wann wirklich zum Objekt bzw. zum Opfer machen will und wer nicht. Aber man muss auch nicht immer gleich reagieren und die Empörungsmaschine sofort auf volle Umdrehungszahl bringen. Der überzeugte „Herrenmensch“ ist gewöhnlich Wiederholungstäter – bis ihn jemand stoppt.

Wer Kollegen einmal mobbt, tut es auch wieder. Und wenn wir beim ersten Mal nicht den Mut finden, ihn mit unserer Version des „How dare you?“ in die Schranken zu verweisen, klappt es vielleicht beim dritten Mal. Oder es klappt zusammen mit anderen.

In allen anderen Fällen dürfen wir die Empörungsmaschine der Selbstgerechtigkeit gerne im Leerlauf lassen und anerkennen, dass jeder Einzelne immer mehr ist als das, was gerade in die für uns nächstliegende Schublade passt. Dass Widersprüchlichkeiten auszuhalten sind, weil wir uns sonst gegenseitig das Leben jeden Tag ein bisschen mehr zur Hölle machen.

Dann fehlt uns auch die Kraft, um uns zu solidarisieren, friedlich auf die Straße zu gehen und all jenen ein entschlossenes „Sach ma, geht’s noch?“ entgegenzusetzen, die sich ins Fäustchen lachen, wenn wir uns gegenseitig bekriegen. Eine Kombination aus Großzügigkeit und Gelassenheit im Tagesgeschäft und Mut und Entschlossenheit, wenn es wirklich drauf ankommt, könnte uns beim Navigieren durch diese bewegten Zeiten helfen.

Sabine Breit

 

Sabine Breit hat angewandte Sprachwissenschaft studiert und ist seit über 20 Jahren als Linguistin in die Unternehmenskommunikation sowohl mittelständischer Unternehmen als auch internationaler Großkonzerne eingebunden. Sie ist u.a. Mitgründerin von LogosLogos. Sabine hat eine bezaubernde Tochter, eine sehr kommunikative Katze und findet Ausgleich vom Kommunizieren im Reisen, beim Lesen, beim Sport und in der Meditation.

 

 

 

 

 

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