Was haben gut alternde Menschen gemeinsam?
Nur wenige Babyboomer blicken mit Zuversicht auf das Alter. Dabei wäre es für die Gesellschaft wichtig, dass sich Menschen rechtzeitig Gedanken darüber machen, wie der letzte Lebensabschnitt gelingen kann. Eine Spurensuche von Babyboomerin Kirsten Baumbusch, die auch mit der ehemaligen Familienministerin Ursula Lehr sprach.
Am Anfang war die fast unwirklich anmutende Bekräftigung meiner Hausärztin. „Dass jemand in ihrem Alter sich darüber Gedanken macht. Respekt!“ Hintergrund unseres Gesprächs war, dass ich sie gebeten hatte, meine Patientenverfügung zu unterschreiben. Ich zählte 49 Jahre, in Tansania ist das die durchschnittliche Lebenserwartung einer Frau.
Zu früh für Gedanken übers Altern? Bestimmt nicht. Aber gerade die Generation der Babyboomer der 1960er Jahre scheint sich das Thema mit spätpubertierendem Gehabe der ewigen Jugendlichkeit vom Leib halten zu wollen. Warum ist das so? Weil wir so viele sind, die stärksten Jahrgänge, die es je gab, immer in der Angst, dass kein Platz für uns ist? Ist es die Angst vor dem Sterben und der eigenen Vergänglichkeit? Oder die Unfähigkeit, sich mit etwas zu befassen, was wir nicht steuern können?
Eine Studie des Sinus-Instituts im Auftrag der Initiative „7 Jahre länger leben“ aus dem Jahr 2017 malt ein bedenkliches Bild der „Rentner von morgen“. Jeder Vierte der heute 40- bis 55-Jährigen geht davon aus, im Alter große Probleme zu haben. Nur 18 Prozent blicken optimistisch auf ihr Alter. Insgesamt gehen 58 Prozent davon aus, dass sie in den Bereichen Gesundheit, Finanzen oder soziale Kontakte große Schwierigkeiten haben werden. Aber – nur jeder Fünfte plant seinen Ruhestand aktiv. Wie ist es dazu gekommen?
Trotz der apokalyptischen Szenarien des Waldsterbens, des Atomkriegs, der Umweltzerstörungen sind viele dieser Generation brave Familienväter und -mütter geworden. Doch die gezeugten Kinder sind zu wenige, um die Rente im alten Modell zu sichern. Die Babyboomer fühlen sich eingeklemmt zwischen den Kindern, die oft am liebsten zuhause bleiben und versorgt werden würden, und ihren fitten Eltern, die in Outdoorbekleidung durch die Welt reisen, bis sie dann jenseits der 80 doch noch das Alter ereilt – und sie versorgt werden müssen.
Wir reagieren mit Ausbrennen und haben keine Zeit, uns auch noch Gedanken über das eigene Altwerden zu machen. Klar haben wir Bekanntschaft mit dem Tod gemacht. Die Großeltern sind nicht mehr, Freunde erlagen dem Krebs oder starben bei Unfällen, aber jetzt – mit dem Altern der Eltern rückt das eigene Altwerden uns bedrohlich auf den Leib. Wir sind die Nächsten. Höchste Zeit also, sich Gedanken und Gefühle zu machen, was denn gelingendes Altern sein könnte.
Habe ich Vorbilder des Alterns?
„Alt werden will jeder, alt sein niemand“, schießt mir ein Spontispruch durch den Kopf und die Erinnerung an eine Redakteurskollegin, die sich noch mit über 70 Jahren strikt weigerte, über einen Altennachmittag zu berichten. Dazu gehöre sie noch lange nicht.
Aber mir fällt auch die „Abuelita“ ein, das Großmütterchen, in deren Haus ich während meines Sabbatjahres in Peru lebte. Mit 85 Jahren erlitt sie einen Schlaganfall. Die Kinder – immerhin zwölf an der Zahl – machten Kassensturz, ob eine Operation erschwinglich sei. Glücklicherweise erwies sich „Abuelita“ als robust und erholte sich schnell. Nur ihren Ehemann ertrage sie nun nicht mehr, tat sie kund. Und zog bei uns ein. Dort saß sie nun jeden Morgen auf der Dachterrasse kämmte ihre grauen Zöpfe mit viel Wasser und sinnierte darüber, wie das wohl werden würde mit dem Klimawandel und dem Regen.
Habe ich Vorbilder des Alterns? Ein Bild aus Studientagen schießt mir durch den Kopf. Ende der 1980er Jahre, Flückigersee, mitten in Freiburg, Ufer zum Nacktbaden. Jeden Tag kommt ein altes Pärchen. Sie, die grauen Haare zu einem Pferdeschwanz gebunden, an der Hand ihren etwa gleichaltrigen Gefährten. Ganz selbstverständlich entledigen sie sich ihrer Kleider. Ihre Körper haben eine ganz eigene, wettergegerbte Schönheit. In aller Ruhe gehen die beiden ins Wasser, planschen herum wie die jungen Hunde. „So müsste man alt werden, in aller Gelassenheit und zusammen“, habe ich damals gedacht.
Ich hatte das große Glück, zwei Großmütter und einen Großvater zu kennen; der zweite Opa wurde in Russland vermisst und nie gefunden. Die Eltern meiner Mutter haben den Krieg überstanden, auch wenn sie dabei ihren Bauernhof und die Schreinerei verloren und als Flüchtlinge im Schwabenland misstrauisch beäugt wurden. Mein Großvater arbeitete am Band, meine Oma versorgte die drei Kinder und den gepachteten Schrebergarten, wo sie erstaunliche Mengen an Erdbeeren erzeugte, der Geschmack meiner Kindheit.
Beide prägte ein tiefer Glaube und die Demut, sich in vieles zu fügen sowie die Gabe zur Zufriedenheit mit dem, was da ist, eine Art Gleichmut, den ich mir heute oft wünschen würde. Vor Augen sind sie mir, bei der gemeinsamen Produktion von Apfelstrudel nach einem uralten Familienrezept. Mein Großvater, der große Schweiger mit den konservativen Ansichten, schälte die Äpfel und setzte seinen ganzen Ehrgeiz darein, die Schale bloß nicht abreißen zu lassen. Meine Großmutter machte derweil den Teig so hauchdünn, dass man das Karomuster des Tuchs, auf dem er ausgerollt wurde, hindurchscheinen sah.
Nach heutigen Maßstäben lebten sie ein ärmliches Leben: eine kleine Mietwohnung, Toilette auf dem Flur, Badewanne im Keller, Hasenställe über den Hof sorgten für den Sonntagsbraten. Aber sie lebten, hatten sich und genug zu essen. Die Kinder waren groß geworden, hatten etwas Gescheites gelernt, es gab Enkelkinder. Was will man mehr? So stoisch gingen sie auch mit dem Alter und seinen Gebrechen um, in einer Art radikalen Akzeptanz. Anders als aktiv kenne ich sie nicht, bis zuletzt war immer noch etwas zu tun.
Auch die Mutter meines Vaters „gönnte“ sich zum Sterben nur wenige Tage im Krankenhaus. Sie war aus der Stadt wieder aufs Land ihrer Herkunft in den Odenwald zurückgekehrt, als Kriegerwitwe ins Haus ihrer Eltern. Von dort hielt sie die Fäden der Familie in der Hand und war nahezu Selbstversorgerin.
Es muss manchmal knapp gewesen sein, das Geld. Doch ich erinnere mich nur an ihre leckeren sauren Bohnen in riesigen Töpfen, die Sahne auf den selbstgemachten Kuchen, die Spaziergänge mit ihr durch den Wald, ihre Liebe zu Hund und Katze. Hadern mit dem Altern habe ich auch bei ihr nie erlebt. Oder gar Sehnsucht nach der Jugend?
Der Mensch braucht eine Aufgabe
„Wissen Sie“, sagt mir dazu die Entwicklungspsychologin und Gerontologin Prof. Ursula Lehr, Jahrgang 1930, „unsere Jugend war so bescheiden in all den Kriegsjahren, dahin wollten wir nie zurück“. Auf die Frage, wann sie selbst sich denn das erste Mal alt gefühlt hätte, blitzen die Augen hinter den Brillengläsern. „Als mein ältester Sohn Rentner wurde“, sagte sie, „da habe ich gedacht, dann muss die Mutter ja noch viel älter sein“.
Von ihr, der früheren Bundesministerin für Jugend, Familie, Frauen und Gesundheit, die in ihrer Amtszeit unter Bundeskanzler Helmut Kohl den ersten deutschen Alternsbericht erstellen ließ, habe ich als junge Reporterin zum ersten Mal die Aussage gehört, dass es nicht nur darum gehe, dem Leben Jahre, sondern den Jahren Leben zu geben. Sie sagt heute, dass Menschen immer eine Aufgabe brauchen, denn, wer keine Aufgabe habe, neige dazu sich aufzugeben. Ihr eigenes Motto lautet: „Ja zum Älter werden und machen wir das Beste draus.“
„In Würde altern will gelernt werden und geplant sein“, gibt mir mein früherer Redaktionsleiter mit auf den Weg, der gerade das Rentenalter erreicht hat. Journalisten haben ja das Glück quasi von Berufs wegen neu- und lernbegierig zu sein, das hält jung. Aber, so scheint es, gelingendes Altern ist zuallererst eine Entscheidung.
Es gilt, sich nicht
von den natürlicherweise nachlassenden Kräften und Zipperlein die Lebensfreude madig machen zu lassen – und trotzdem immer in Bewegung bleiben, so selbstständig wie nur möglich. Gemeinsam ist gut gealterten Menschen, dass sie loslassen können: Materielles und Menschen.
Sie verlassen bewusst ausgetretene Pfade, wagend das Ungehörige – und machen sich stark für Schwächere. Das wäre doch wirklich eine lohnende Aufgabe: Menschen, die selbstbestimmt altern, bringen sich ein, mit freiwilliger Arbeit und Engagement für Andere. Auch in Dankbarkeit dafür, ihr bisheriges Leben in Frieden und Wohlstand verbracht zu haben: eine schöne Perspektive, so zum Vorbild zu werden.
Kirsten Baumbusch
Kirsten Baumbusch (Jahrgang 1965) ist Journalistin, Mediatorin und Coach in der Tradition der haltungsbasierten, humanistischen Psychologie. 2015 hat sie ein Sabbathjahr in Peru verbracht, jetzt lebt und arbeitet sie wieder in Heidelberg. Ihr Lebensthema ist Frieden – im Innen und im Außen. Kontakt: kirsten.baumbusch@online.de