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Generation Anspruch

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Mehr Glück statt Stress

Viertage-Woche, Homeoffice, Sabbaticals – junge Menschen haben andere Vorstellungen von Leben und Arbeit. David Gutensohn beschreibt in seinem Buch „Generation Anspruch“, was sich seine Generation wünscht und wie wichtig Sinn im Leben ist. Ines Eckermann traf den Autor zum Gespräch.

„Die Jugend von heute liebt den Luxus, hat schlechte Manieren und verachtet die Autorität“, war sich schon Sokrates vor über zwei Jahrtausenden sicher. Und auch heute klagen Medien und Arbeitgeber gleichermaßen: Junge Menschen wollen mehr, als sie verdienen.

Studien zeigen, dass junge Menschen anders über Arbeit denken als ihre Vorgängergenerationen. „Die Ansprüche an die Arbeit unterscheiden sich“, sagt Autor David Gutensohn. „Es geht ihnen aber nicht darum, dass sie nicht arbeiten wollen. Das ist ein Klischee, das von Politikern gerne befeuert wird.“ Vielmehr wollten jüngere Menschen effizienter arbeiten. Und das bedeutet auch, nicht mehr für Anwesenheit, sondern für Ergebnisse bezahlt zu werden.

„Arbeitszeit sollte nicht mehr mit Leistung gleichgesetzt werden“, so Gutensohn. Schließlich kann man als Angestellter wunderbar den Tag damit zubringen, in ausufernden Meetings zu sitzen, in der Kaffeeküche den Flurfunk abzuhören oder sich bis zur Besinnungslosigkeit auf seinem Schreibtischstuhl im Kreis zu drehen.

Von neun bis 17 Uhr am Schreibtisch zu sitzen, heißt längst nicht, wirklich produktiv zu arbeiten. Das habe die jüngere Generation realisiert. Der Wunsch nach größerer Produktivität könnte durchaus auch für Arbeitgebende sinnvoll erscheinen.

Der Wunsch nach Sinn

Die Wünsche der Jungen beziehen sich nicht allein auf das Wohl des Unternehmens – sondern auch auf ihr eigenes. „Viele junge Menschen suchen eine sinnstiftende Arbeit“, sagt Gutensohn. Liegt hier womöglich die Wurzel der Kritik? Ist es selbstsüchtig, einen Sinn in seiner Arbeit sehen zu wollen?

Drehen wir den Spieß um: Ist es moralisch wirklich vertretbar, von Menschen Aufopferung an etwas zu verlangen, das sie als sinnlos empfinden? Denn wenn die Arbeitenden selbst kein höheres Gut in ihrer Arbeit erkennen können, verkaufen sie ihre Lebenszeit zum Stundenpreis.

„Die jungen Menschen wollen definitiv auch Karriere machen“, sagt Gutensohn. „Sie wollen dabei aber weder unter- noch überfordert werden. Denn dieser Generation geht es auch darum, mental gesund zu bleiben.“ Diese Forderung zeigt: Frühere Generationen waren tendenziell eher bereit, mehr zu geben als das, für das sie bezahlt wurden.

Neue Art, Arbeit zu organisieren

Gutensohn hat sich für sein Buch recherchiert: Von Jahr zu Jahr bleiben immer mehr Stellen offen. Einige Unternehmen beschritten deshalb neue Wege: „Ich habe mit einer Malermeisterin aus Schleswig-Holstein gesprochen, die händeringend nach Auszubildenen und Mitarbeitern gesucht hat. Und als sie auf die Vier-Tage-Woche umgestellt hat, hatte sie mehr Bewerber als Stellen.“

Arbeitgeber müssten mittlerweile mit anderen Benefits locken als mit Gratis-Kaffee und dem Kicker im Pausenraum. „Die junge Generation wünscht sich flexible Arbeitszeiten, die Möglichkeit Homeoffice zu machen, echten Feierabend und richtige Pausen“, so Gutensohn. Immer mehr Unternehmen böten zudem auch die Möglichkeit, eine bezahlte Auszeit zu machen, ein sogenanntes Sabbatical.

„Es gibt Umfragen, die zeigen, dass die Jüngeren sich nicht in einer 80-Stunden-Woche ins Burnout arbeiten wollen“, so Gutensohn. „Sie glauben, dass man sich Führung auch teilen kann und dass agile Führung vielleicht sogar effizienter ist.“

Doch zeigt der Markt, dass Ideen wie Jobsharing im Management, bei dem sich zwei oder Mensch Menschen eine Führungsposten teilen, bislang in vielen Regionen und Branchen immer noch weitestgehend unbekannt sind. „Das könnte sich dennoch irgendwann durchsetzen“, erklärt Gutensohn, „denn gerade für alleinerziehende Eltern ist das gut. Durch solche Konzepte könnte die Führungsetage bald ganz anders aussehen.“

Arbeitsbedingungen müssen besser werden

Doch könnte diese schöne, neue Arbeitswelt ein Traum für wenige bleiben? Denn wer nicht in der hippen Kreativagentur oder in einem von Mittdreißigern geführten Start-up arbeitet, für den wird ein Mix aus Schichtbetrieb und Personalmangel wohl eher Realität bleiben. Bei der Polizei, in der Pflege und im Handwerk ist der Mangel an Personal und Nachwuchs am größten.

„Da müssen sich die Arbeitsbedingungen dringend verbessern“, fordert Gutensohn. „Gerade während der Pandemie haben wir gesehen, dass Pflegekräfte nicht mehr Geld wollen, sondern bessere Arbeitszeiten und mehr Belegschaft.“ Und das lässt sich durch Ansprüche allein nicht so leicht regeln.

„Wir dürfen nicht in eine Zwei-Klassen-Arbeitsgesellschaft laufen“, mahnt Gutensohn, „also eine Gesellschaft, in der die einen nur vier Tage und im Homeoffice arbeiten und die anderen im Akkord oder Schichtbetrieb schuften.“ Aber auch dafür hat Gutensohn Ideen: Die Vier-Tage-Woche sei durchaus auch in solchen Berufen umsetzbar. Die freien Tage müsste dafür bloß entzerrt werden.

„Wenn der Bäcker kein Personal findet, muss er eben freitags zumachen“, erklärt Gutensohn. „Dazu gibt es Rechenmodelle. Es kann sich sogar finanziell lohnen, weniger zu arbeiten.“ Doch lohnt sich das auch für die Wirtschaft? Wenn alle weniger arbeiten, könnte die Kaufkraft sinken.

Doch darüber macht sich Gutensohn keine Sorgen: „Bei der richtigen Vier-Tage-Woche erhalten die Arbeitenden weiterhin ein volles Gehalt. So bleibt die Kaufkraft gleich. Deshalb fordern Gewerkschaften meist auch das Reduzieren der Arbeitszeit bei vollem Lohnausgleich.“

Ob die Rechnung auch in der Praxis aufgeht müssten Unternehmen erstmal testen, gibt Gutensohn zu bedenken. Die Unternehmen, die damit bereits experimentiert haben, gäben jedoch positive Signale.

Verständnis statt Gegeneinander

Die Geschichte der Arbeit zeigt: Veränderung braucht Zeit. 1956 half die Kampagne “Samstags gehört Vati mir” den Arbeitenden zu einer wöchentlichen Arbeitszeit von 40 Stunden. Und sicher werden sich auch damals die älteren Generationen über die samstägliche Faulheit aufgeregt.

Dennoch setzen sich manche Ideen der Jungen durch. „Meine These ist, dass die ältere Generation dieselben Ansprüche an Arbeit gestellt hätte, wenn es die Option gegeben hätte“, sagt Gutensohn. Doch gerade für die Baby-Boomer-Generation habe es wenig Optionen gegeben.

Sie mussten die Jobs nehmen, die da waren. Ansprüche stellten sie angesichts zeitweise hoher Arbeitslosenzahlen lieber nicht. Die geburtenstarken Jahrgänge gehen nun nach und nach in die wohlverdiente Rente. Eine Rente, die von den vermeintlich anspruchsvollen Jungen gezahlt wird.

In einem derart verzahnten System empfehle sich eher Verständnis als ein Gegeneinander, findet Gutensohn. „Wir sollten uns an Fakten orientieren und uns nicht von polarisierenden Debatten beeinflussen lassen. Die Zahlen zeigen, dass sich junge Menschen gar nicht so oft krankschreiben lassen, wie ihnen unterstellt wird.

Auch der Umbau des Arbeitsmarkts schadet niemanden. Neid ist also unangebracht. Ich würde mir von allen Generationen wünschen, dass sie in den Austausch gehen und sich mit Respekt begegnen.“ Denn Veränderung braucht neben Zeit, vor allem auch Verständnis.

David Gutensohn. Generation Anspruch. Arbeit ist nicht alles – und das ist auch gut so. Oekom Verlag 2024

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