Ein Buch, das zur Selbsterkenntnis anregt
Narzissmus unterliegt Schwankungen – zumindest in seinen gemäßigten Formen, so die These von Craig Malkin. In seinem Buch zeigt er die Spannbreite von übersteigertem Narzissmus bis zu krankhafter Selbstlosigkeit. Er erklärt praxisnah, wie man einen gesunden Mittelweg findet.
Dies ist ein wichtiges Buch, eines das uns Dinge vor Augen führt, die uns betreffen, auch wenn wir nicht darüber nachdenken. Wie oft höre ich mich sagen: „Der ist vielleicht narzisstisch!“ Und natürlich meine ich das nicht schmeichelhaft. Wie oft rutschen uns derartige Bemerkungen raus, und eine menschliche Eigenschaft bekommt so einen mehr und mehr negativen Beigeschmack.
Wobei wir bereits beim ersten gängigen Missverständnis wären, mit dem dieses Buch aufräumt, nämlich der Vorstellung, Narzissmus sei per se negativ. Dr. Craig Malkin unterscheidet in „Der Narzissten-Test“ mit dem provokativen Untertitel „Wie man übergroße Egos erkennt … und überraschend gute Dinge von ihnen lernt“ gesunden und übersteigerten bzw. krankhaften Narzissmus. Genauso begibt er sich aber auch an das andere Ende der Skala zum “Echozismus”, wie er das Extrem von großer Selbstlosigkeit nennt. Wobei zu erforschen ist, ob diese krasse Ablehnung des Narzissmus wirklich selbstlos ist oder nicht nur die andere Seite der narzisstischen Medaille.
Gesunder Narzissmus? Ein Widerspruch in sich? Nein, folgen wir Malkins Argumentation wird schnell klar, wie sich der gesunde vom krankhaften Narzissmus unterscheidet. Der Autor erklärt, wie wir erstens Narzissmus bei uns und anderen erkennen, wie wir zweitens damit umgehen und drittens uns bzw. andere sogar verändern können.
Und da sind wir bei der nächsten interessanten These, die im Laufe der Kapitel, angereichert durch Fallbeispiele, immer weiter erhärtet wird: Narzissmus ist ein variabler, flexibler Zustand – zumindest im Rahmen der gemäßigten Formen. Was soviel heißt wie: Wir sind unter bestimmten Einflüssen und in verschiedenen Lebensphasen mehr oder weniger narzisstisch, unser Narzissmus-Level kann verändert werden und wandelt sich auch ohne unser Zutun in bestimmtem Maße. Craig Malkin gibt aber zu, dass Narzissmus in seiner Extremform einer Drogensucht gleicht, die sehr schwer heilbar und selbst unter professioneller Hilfe nur mühevoll mit ausdrücklichem Wunsch des Betroffenen verändert werden kann.
Machen Sie den Test!
Und nun zum praktischen Teil des Buches: Die Anzeichen für Narzissmus werden in einem Test von nur 30 Fragen abgefragt, so dass jeder Leser eine Ahnung bekommt, wo auf dem Spektrum zwischen extremem “Echozismus” und Narzissmus er sich befindet: wobei von 1 bis 10 die 1 am wenigsten narzisstisch wäre und 10 einen beinahe unheilbaren Narzissten beschriebe. Das Ideal für Malkin wäre eine 5, also eine gesunde Mitte, 4 und 6 wären auch noch ziemlich okay. Alles darüber und darunter wäre bereits nar- bzw. echozisstisch; die 9 und die 10, bzw. 1 und 2 zeigten ziemlich stabile Formen an, die vermutlich nur schwer veränderbar wären.
Was zeichnet nun aber einen Narzissten aus? Dafür führt Malkin verschiedene Kriterien ins Feld: zunächst ein gutes Maß an Selbstbezogenheit natürlich, aber das allein reicht nicht. Schließlich könne diese Fähigkeit in extremen Krisensituationen auch eine Tugend sein: Studien – und Malkin bezieht sich auf diverse Studien amerikanischer Elite-Unis – hätten bewiesen, dass Menschen mit der Fähigkeit zu Narzissmus leichter über Krisen hinwegkämen als ausgesprochene Echozisten. Denn diese tun quasi abhängig von der Anerkennung anderer fast alles, um anderen Gutes angedeihen zu lassen und haben ein entsprechend schlechtes Selbstbild.
Gefährlich wird Narzissmus erst, wenn das Gegenteil nicht mehr möglich ist, wenn diese Haltung unbewusst und starr wird.. Dann ist die betreffende Person nicht mehr zu Empathie fähig und blendet die Bedürfnisse und Ansichten anderer komplett aus.
Malkin führt dazu den folgenden Fall an: Ein junger Mann droht, von der Uni zu fliegen. Aber selbst in dieser Situation schafft er es noch, sich und anderen einzureden, dass die Uni schön blöd wäre, einen so tollen Studenten wie ihn zu verlieren. Er ist bis zum Schluss der Überzeugung, dass er es mit irgendwelchen Tricks und seinem Charme schaffen wird, das Blatt noch zu wenden. In diesem Fall spricht auch Malkin von einem Narzissten, der nur unter beharrlicher Anleitung eines erfahrenen Therapeuten dazu gebracht werden kann, sich selbst und andere realistisch wahrzunehmen.
Und da wären wir bei noch einem Aspekt, der dieses Buch so anschaulich macht: Die Dialoge mit den Patienten mit unterschiedlichen Narzissmus-Anteilen sind so plastisch geschrieben, dass man sich die Person dazu blendend vorstellen kann. Man versteht das Phänomen also nicht nur rational, sondern auch vom Gefühl her. Die Teile 2 bis 4 des Buches befassen sich mit der Unterscheidung von ungesundem und gesundem Narzissmus, sowie deren Erkennung und Bewältigung. Dort wird auch diskutiert, was man tun kann, um gesunden Narzissmus zu fördern.
Wichtig war für mich die Erkenntnis, dass Narzissmus Schwankungen unterliegt. Je nach Lebenssituation und solange man nicht in der extremen Haltung fixiert ist, ist alles gut. Ich kann also wirklich noch ein bisschen selbstloser werden!
Personen mit gesundem Narzissmus sehen sich selbst „realistisch“, haben also eine Selbstwahrnehmung, die sich nicht wesentlich von dem unterscheidet, was andere in ihnen sehen. Sie wollen für sich, aber auch für alle anderen nur das Beste, d.h. in ihrem Zusammensein wird sich jeder gut fühlen, sie können Leistungen anderer genauso würdigen wie eigene. Sie streben win-win-Situationen an statt nur auf den eigenen Vorteil zu schielen.
Na, dann! Frohes Sich-Entwickeln! Und vielleicht bei Malkin nachschlagen, wenn der Narzissmus aus dem Ruder gelaufen ist. Die hinteren Teile des Buches enthalten konkrete Tipps, was man machen kann, wenn der Narzissmus die Oberhand gewonnen hat. Mehr wird hier nicht verraten, denn zum einen würde das zu weit führen und außerdem kann das Malkin sowieso viel besser beschreiben: „In gesundem Narzissmus verschmelzen Leidenschaft und Mitgefühl. So eröffnet sich ein wahrlich beglückendes Leben.“
Anja Oeck
Dr. Craig Malkin: Der Narzissten-Test, Wie man übergroße Egos erkennt … und überraschend gute Dinge von ihnen lernt; Dumont, Köln 2016
Malkin hat immerhin eine gewisse kritische Distanz zu dem Modebegriff “Narzissmus”. Allerdings interessiert auch er sich weder wirklich für den Mythos, noch für die Begriffsgeschichte.
Zum Begriff “Narzissmus”, seine Entstehungsgeschichte, den diversen Missverständnissen um ihn und den z.T. katastrophalen Folgen seines Einsatzes empfehle ich: https://narzissmus-diskussion.de.
Dort auch mein Beitrag zu Malkins Buch: https://narzissmus-diskussion.de/malkin-craig/