Die Lehrerin Voss über das Schulfach Glück im Ethik-Unterricht
Nach dem Happiness-Boom in den USA füllen Glück und Glücksforschung immer öfter die Titelseiten auch deutschsprachiger Magazine. Die Lehrerin und Autorin Anne Katrin Voss hat sogar ein Unterrichtsfach zum Thema Glück konzipiert, das bereits erprobt wurde.
„Du lernst für das Leben, nicht für die Schule!“ Diesen Satz hat wohl jeder schon einmal gehört. Aber macht uns die Schule wirklich fit für das Leben? Dreisatz, Grammatik, Sozialkunde, Sprachen… Wir werden fit gemacht für Ausbildung und Beruf. Finden wir uns dann aber in der Tretmühle des Alltags wieder, merken wir auf einmal, dass es uns schwer fällt, wirklich zufrieden und glücklich zu sein. Wenn uns auch noch Probleme oder Schicksalsschläge ereilen, rutschen wir schnell in Verzweiflung und Depression.
Es ist inzwischen auch wissenschaftlich bewiesen: Glück und Zufriedenheit hängen nicht nur vom Schicksal und von äußeren Umständen ab, sondern auch ganz wesentlich davon, welche Einstellung wir selber zum Leben haben. Genau das kann man erlernen, je früher im Leben desto besser.
Aktuell wird in den Ministerien die Diskussion geführt, ob und vor allem wie und in welchem Rahmen die Thematik „Glück“ an Schulen unterrichtet werden kann. Den Anstoß gab 2006 die Einrichtung des „A Course in Well-being“ am Wellington College, Berkshire, UK. (1) Dieser „Glückskurs“ zog europaweit Aufmerksamkeit auf sich.
Er inspirierte unter anderem das einjährige Unterrichtskonzept „Glücklichsein – wie geht das?“, das im Februar 2007 am Weiterbildungskolleg der Städteregion Aachen initiiert wurde. Es entspricht in Teilen dem seit 2004 für Berlin entwickelten Rahmenlehrplan für das bekenntnisfreie Schulfach Ethik, der „Glücksunterricht“ integriert und dort seit dem Schuljahr 2012 umgesetzt wird.
Erfahrung und Weisheitswissen sind gefragt
Ziel aller Projekte ist, was im Zentrum des Lehrplans Ethik steht: „ … das Verhältnis des Menschen zu sich selbst, zur Mitwelt und zur Umwelt und damit die Frage: „Was ist ein gutes Leben und wie kann man es führen?“ Vereinfacht kann dies auch formuliert werden als „Glücklichsein – wie geht das?“
Die Lehrpläne der Fächer Philosophie und Religion enthalten in nahezu allen Bundesländern ein Kapitel zum „Glück“. Doch zum Glücklichsein gehört weitaus mehr als intellektuelles Wissen. Erfahrungen und Weisheitswissen müssen auch ganz praktisch und handlungsorientiert im Alltag wiederholt erlernt und eingeübt werden.
Bringen SchülerInnen persönliche familiäre Belastungen oder negative schulische Vorerfahrungen mit in den Unterricht, so ist deren Kopf für gelingendes Lernen und Kooperation nicht mehr frei. Weder Wissenszuwachs noch Gruppenbildung kann dann gelingen.
Nun hat Schule keinen therapeutischen Auftrag. Dennoch muss die Frage gestellt werden, wie den Schülern Unterstützung für ihre schulische und private Situation gegeben werden kann. Die Schulleitung der Abendrealschule Aachen hatte den Mut, hierfür Unterrichtszeit einzuräumen und das einjährige Unterrichtsprojekt „Glücklichsein – wie geht das?“ zu starten.
Die Ergebnisse sprechen für sich: Die Krankmeldungen in den Klassen sanken, Lehrerinnen und Lehrer berichteten, dass die Klassen ruhiger, freundlicher und konzentrierter arbeitend und die Abschlusszeugnisse waren besser als in Vergleichsklassen.
Von Schülerseite kam nach den Prüfungen oft das Feedback, dass die Übungen zur inneren Ruhe geholfen hätten. Einen zusätzlichen Impuls erhielt das Projekt 2009, als S. H. Dalai Lama in der Konferenz „Educating World Citizens for the 21st Century“ in Washington über die Notwendigkeit einer säkularen Ethik sprach und sich in den Beiträgen der teilnehmenden Referenten vieles spiegelte, was in das Projekt ‚Glücklichsein’ integriert wurde.
Glück als Ergebnis von Miteinander und Mitgefühl
Nur wer mitfühlend mit sich selber umgehen kann, kann auch gut für andere sorgen. Der Schwerpunkt des Unterrichtsfachs Glück im ersten Halbjahr (ICH – ICH – ICH) liegt auf dem Finden und Einüben von Methoden, Tipps und Inspirationen für einen sorgsamen Umgang mit sich selbst.
Im zweiten Halbjahr (ICH – DU – WIR) liegt er auf dem achtsamen Umgang mit Sprache, der Kommunikation mit anderen sowie dem bewussten Umgang mit der Umwelt. In zwei Unterrichtstunden wöchentlich werden Anregungen und Methoden vorgestellt, wie die Schüler aktiv Einfluss auf das eigene Wohlergehen nehmen und zu einem erfüllten Leben gelangen können.
Atemübungen aus dem Yoga und das „Achtsame Verweilen“ (dieser Begriff für Meditation erleichtert die Teilnahme, ohne in religiöse Konflikte zu geraten) eröffnen jeden Unterrichtsblock. Die Themen „Dankbarkeit’ und ‚Gute Wünsche für mich selbst und andere’ beenden als Ritual jeden Block.
Wechsel der Perspektive
Regelmäßige Übungen zur Dankbarkeit heben positive Erlebnisse des einzelnen Schülers ins Bewusstsein. Sie sind von großer Bedeutung für einen Wechsel der Blickrichtung vom halbleeren zum halbvollen Glas. Diese Änderung der inneren Sicht erfordert einige Zeit der Einübung. Auch die Übung, gute Wünsche für sich selbst und andere zu kultivieren, benötigt geraume Zeit der Einübung, besonders wenn die Schüler diese Menschen nicht leiden können.
Der mittlere Unterrichtsblock enthält jeweils praktische und körperbezogene Übungen sowie philosophische Texte und künstlerische Arbeiten. Die Übungen stammen aus dem Yoga, Coaching, Meditation, dem aufmerksamen Hören und Zuhören, aus der positiven Psychologie und der lösungsfokussierten Therapie, der „Bewegten Schule“ sowie Systemischen Strukturaufstellungen. Externe Kooperationspartner bieten Pilates, Yoga und MBSR (Mindfulness Based Stress-Reduction) an. Besuche im Bioladen und Kontakte zu Naturschutzeinrichtungen runden diesen Unterrichtsteil ab.
Ethik für die Schulgemeinschaft
Grundstein eines solchen Unterrichts ist eine aufrichtige und wertschätzende Grundhaltung der Lehrer den Schülern gegenüber. Ein weiteres bedeutsames Element ist das das Angebot aller Ansätze und Methoden religionsfrei ist und gleichzeitig die individuellen religiösen Haltungen der Schüler respektiert werden.
Wenn sich als Ergebnis des Unterrichtsfachs „Glücklichsein – wie geht das?“ eine Klassengemeinschaft gegenseitige Unterstützung oder große Solidarität bei Lernschwierigkeiten oder privaten Problemen anbietet, kommt bei Lehrern und Schülern regelmäßig Begeisterung auf. Die Kraft des Respekts und der Kooperation wird als gelingender Weg für die Schulgemeinschaft und letztlich die Gesamtgesellschaft sichtbar und nachvollziehbar.
Eine Ethik wird so nicht nur als philosophisches Konstrukt oder Forderung erfahren, sondern als eine Selbstverständlichkeit, die die eigene Persönlichkeit und das Verhalten ganz konkret und praktisch bereichert.
Anne Katrin Voss
Anne Katrin Voss, Lehrerin für Englisch und Kunst, ehem. Personalreferentin und Unternehmensberaterin, Meditationslehrerin, systemische Ausbildung am SySt-Institut München, Übersetzerin, Autorin der Lehrerhandbücher „Glücklichsein – wie geht das?’ für die Klassen 5-7 und 8-11, AOL Verlag Hamburg.
Seit Sommer 2014 ist Anne Katrin Voss pensioniert und das Projekt wird bisher nicht weiter geführt. Ihr Wunsch ist es, die Idee für das Schulfach „Glücklichsein“ weiter zu tragen und interessierten Lehrern einen einfachen Zugang zu ihrem Erfahrungswissen zu ermöglichen. In ihren Lehrerhandbüchern hat sie das Material verständlich aufbereitet. Im Moment erarbeitet sie mit gemeinsam mit Frau Prof. Dr. Ulrike Graf, Uni Osnabrück, das Lehrerhandbuch Nr. 3 für die Grundschule.
Wunderbar, wenn das Schule macht.
Das wäre ein großer Schritt für die Menschheit in eine geschickte Zukunft, die ALLEN und Allem gut täte
Liebe Gudrun,
es freut mich sehr Ihr Feed back zu lesen.
Seit vergangenem Sommer darf ich nun auch die Team von KITAS in der StädteRegion Aachen in GlücklichSEIN – wie geht das? sowie Teams in anderen Städten und an Universitäten unterrichten und bin begeistert wie gerne diese sich darauf einlassen und hoffe auf gute Auswirkungen für alle Beteiligten. Glückliche Menschen könne auch gut zu anderen Menschen sein.
Beste Grüße Ihre Anne Katrin Voss