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„Hasssprache ist ansteckend“

Bild Joachim Bauer

Interview mit dem Neurowissenschaftler Joachim Bauer

Hass überträgt sich leicht auf andere, sagt Professor Joachim Bauer. Im Interview mit Michaela Doepke spricht der bekannte Buchautor über die gefährliche Hass-Sprache der Populisten und die Rolle der Medien. Besonnenheit sei das Gebot der Stunde, so Bauer.

Das Interview führte Michaela Doepke

Frage: „Hasssprache ist salonfähig geworden und gefährdet den Frieden“, äußerten Sie kürzlich auf einem Fachkongress. Warum sind politische Hetzreden Ihrer Ansicht nach so gefährlich?

Bauer: Nun, sie verbreiten eine Stimmung des Hasses. Wir Menschen haben in unserem Gehirn Systeme, die sich von den Stimmungen, die andere Menschen ausdrücken, anstecken lassen können. Wenn also im öffentlichen Raum von populistischen Politikern Stimmungen von Hass und Feindseligkeit verbreitet werden, führt das dazu, dass Zuhörerinnen und Zuhörer sich davon anstecken lassen und in der Gesellschaft eine Atmosphäre des Hasses und der Feindseligkeit verbreitet wird.

Wie erklärt die Neurowissenschaft diese Ansteckungsneigung?

Bauer: Unser Gehirn besitzt ein System, das uns für solche Ansteckungsphänomene empfänglich macht und dafür sorgt, dass zum Beispiel der Hass, den andere ausdrücken, in uns Resonanz findet und verstärkt wird. Dieses System ist das System der Spiegelnervenzellen. Sowohl aus Hass als auch aus Begeisterung können sich massenpsychologische Phänomene entwickeln, die wir aus der Sozialpsychologie schon lange kennen, für die wir aber jetzt durch die Entdeckung der Spiegelneuronen zum ersten Mal auch eine neurowissenschaftliche Erklärung haben.

Gefährlicher Hass bei Populisten und in sozialen Netzwerken

Wie überträgt sich die Resonanz von einem Menschen auf den anderen?

Bauer: Der Weg, auf dem sich Stimmungen von einem Menschen auf den anderen übertragen, verläuft über Sprache und Körpersprache. Eines der schlimmsten Beispiele in der Geschichte waren die Hetzreden, mit denen Adolf Hitler die deutsche Bevölkerung aufgehetzt hat. An seinem Beispiel kann man sehr eindrucksvoll nachvollziehen, wie Sprache und Körpersprache miteinander wirken.

Wir haben auch heute wieder solche Varianten des Populismus. Die neuen Populisten geben sich gelassen, sie vermeiden den Gestus der Nazis. Aber in dem, was sie sagen, transportieren auch sie sehr viel Hass. Sie geben sich nach außen besonnen. Aber ihre Sprache, ihre Botschaften lösen bei anderen Menschen gefährliche Emotionen aus.

Und woher kommt diese Verrohung der Sprache? Wird mit zunehmender Internetnutzung und Multitasking die Fähigkeit zur Selbststeuerung schwächer?

Bauer: Mehrere Faktoren spielen hier eine Rolle. Warum haben so viele Menschen offenbar den ganzen Tag Zeit, in den modernen Medien, also in den sozialen Netzwerken permanent Hasspostings zu verbreiten, also ihre Hassparolen und feindseligen Kommentare abzugeben? Ich glaube, es gibt zu viele Menschen, die sozial am Rande stehen, die keine Arbeit und keine Perspektive für ihr Leben haben. Viele dieser Menschen verwandeln die Frustration und Enttäuschung, die sie über ihr eigenes Leben spüren, in Zorn.

Welche Rolle spielen die sozialen Netzwerke dabei? Wird Sprache durch digitale Räume, bei denen es kein körperliches Gegenüber gibt, enthemmt? Wohin führt Sprache, wenn es kaum Regeln für die Kommunikation gibt?

Bauer: Wenn uns ein lebender Mensch gegenüber sitzt, dann stimuliert uns dessen Präsenz – sein Blick, seine Gesichtszüge, die uns zeigen, dass er ein leidendes Wesen ist wie wir, das Schmerz empfinden kann oder Freude – eher zur Mitmenschlichkeit, so dass wir Empathie fühlen. Wenn dieser andere Mensch aber real gar nicht da ist, wenn wir mit ihm nur über E-Mail oder Whatsapp kommunizieren, dann fällt der Empathiefaktor weg. So kommt es sehr leicht zu Missverständnissen, zu Ärger, zu Kreisläufen des wechselseitigen Ärgers, der sich dann am Ende zu Hass aufschaukelt.

Anonyme Kommunikation begünstigt Hassattacken

Anonyme Kommunikation begünstigt, dass sich Menschen nicht mehr empathisch begegnen, sondern dass wir uns aburteilen, dass wir uns nur noch bewerten, dass wir uns entwerten und dann übergehen in Hass und Verachtung.

Hasskommentare und organisierter Hass im Netz vermehren sich im Moment erschreckend. Erhöhen diese Verbalattacken auch die Bereitschaft, selbst gewaltbereit zu handeln? Wie kann man dieser Entwicklung etwas entgegensetzen?

Bauer: Wir dürfen die Verbindungen zwischen Hasssprache und Hasshandlungen, zwischen Sprechen und gewaltsamen Handeln nicht unterschätzen. Die Sprache hat ihren Sitz im Gehirn in den Regionen, in denen auch gehandelt wird bzw. Handlungen geplant werden. Aus Sicht der Neurowissenschaft ist es vom Sprechen zum Handeln nur ein sehr kurzer Weg. Menschen, die viel Gewaltsprache hören und diese Sprache auch selber sprechen, vermindern die Schwelle zur gewaltsamen Handlung. Deswegen ist die Verbreitung gewaltsamer Sprache ein Begünstigungsfaktor dafür, dass wir vermehrt gewaltsame Handlungen erleben.

„Besonnenheit ist nicht sexy“

Eine radikalisierte Minderheit erhält im Moment eine breite und vielleicht überschätzte Aufmerksamkeit durch die Medien. Die interpretierende Rolle der kompetenten Journalisten wird oftmals ersetzt durch reine Behauptungen, die in den digitalen Raum gestellt werden. Ist das nicht ein perfekter Nährboden für Angst?

Bauer: Besonnenheit, die ja die große Tugend von gutem Journalismus ist, wird von den meisten Menschen nicht als sexy angesehen. Was die Aufmerksamkeit der Menschen anzieht, sind Dinge, die hoch emotionsgeladen sind oder mit Gewalt zu tun haben. Unsere Aufmerksamkeit – das hat evolutionäre Gründe – geht immer dahin, wo Gefahr ist. Damit verdienen viele Medien heute ihr Geld.

Medien haben eine inhärente Tendenz, den guten, besonnenen Journalismus immer mehr abzubauen zugunsten eines aufgebauschten, aufgeregten Journalismus, weil der sich besser verkaufen lässt. Aus diesem Grunde finden auch die neuen Populisten so große Beachtung. So entsteht eine Schieflage in der Wahrnehmung. Denn die tatsächliche Situation in unserer Gesellschaft ist ja eine weitgehend geordnete Situation, in der die meisten Menschen eigentlich gut versorgt sind.

Nüchterne Fakten sind kein Verkaufsschlager

Im Moment sprechen die Medien ja auch von einer post-faktischen Gesellschaft. Und das haben Sie ja auch gerade angesprochen, dass die Realität tatsächlich verzerrt wird.

Bauer: Nüchterne Fakten sind nicht attraktiv. Wenn wir die Situation in unserer Gesellschaft mit nüchternen Fakten umschreiben, dann gibt es gar nicht viel Aufregendes. Nüchterne Fakten sind kein Verkaufsschlager. Deshalb tendieren die politischen Akteure, aber auch Teile des Journalismus dazu, sich vor allem den Aufregern zuzuwenden.

Hasssprache ist eine Form der negativen Resonanz. Sollten wir dieser enthemmten Rhetorik gezielt mehr positive Resonanz entgegensetzen?

Bauer: Das Beste, was wir tun können gegen diese Entwicklung, ist, dass wir innehalten und nachdenken. Was wir als Einzelpersonen in der Achtsamkeitsmeditation tun, das kann auch eine Gesellschaft als Ganzes tun, also Innehalten und Nachdenken. Wenn eine Gesellschaft merkt, dass sie sich in einem zu schnellen Rad dreht, dann ist es wichtig, dass wir genügend Akteure haben, die sagen: Moment mal! Lasst uns mal nachdenken, was hier jetzt gerade mit uns allen passiert. So, wie wir jetzt dieses Gespräch führen, so muss es viele solche Momente des Innehaltens geben.

„ Was wir jetzt brauchen, ist Zivilcourage“

Also das heißt auch, mehr in öffentliche Räume zu gehen. Halten Sie ein solches Vorgehen für eine gute Möglichkeit, um Tendenzen von Hass und Intoleranz in Deutschland entgegenzuwirken?

Bauer: Was wir jetzt brauchen, ist Zivilcourage. Wir erleben, dass von allen politischen Lagern her versucht wird, Meinungsherrschaften aufzubauen, die andere Meinungen diskreditieren. Es ist sehr wichtig, dass wir uns von solchen Tendenzen nicht einfangen oder einschüchtern lassen. Wir wollen kein Klima der Einschüchterung, in dem niemand mehr bereit ist, eine abweichende Meinung zu äußern. Wir sollten unsere Kultur der Freiheit, abweichende Meinungen zu äußern, hochhalten, und ebenso die Courage, die es dazu braucht, respektieren.

Audio: Das ausführliche und spannende Audio-Interview mit Prof. Joachim Bauer können Sie in der Audiothek hören. Diese gehört zum Premium-Bereich dieser Website. Wenn Sie Mitglied im Freundeskreis Ethik heute werden (für 60 Euro im Jahr) erhalten Sie Zugang. Sie unterstützen damit auch diese Website, die jede Woche neu, kostenlos, ohne Werbung Beiträge zum Inspirieren und Nachdenken liefert.

Im Audio spricht Bauer aus Sicht der Neurowissenschaften auch über die neuen Erkenntnisse der interkulturellen Wissenschaften, die Notwendigkeit von Empathie und Toleranz sowie über seine Vision, in welchem Land er leben möchte.

Univ.-Prof. Dr. med. Jochim Bauer ist Arzt, Neurowissenschaftler, Psychotherapeut und Autor. Bauer lehrt an der Klinik für Psychosomatische Medizin Freiburg und als Gastprofessor an der International Psychoanalytik University in Berlin tätig. Mehr: www.psychotherapie-prof-bauer.de und www.future-konferenz.info/redner/prof-joachim-bauer

 

 

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