Ein Erfahrungsbericht von Steve Heitzer
Autor und Achtsamkeitslehrer Steve Heitzer überlebte im Februar 2023 einen Herzinfarkt. In seinem Artikel berichtet er, wie er zurück ins Leben fand. Dabei half ihm auch die Praxis der Achtsamkeit, um sich auf die Katastrophe einzulassen und das Kämpfen aufzugeben.
Die Herz-Ultraschall-Untersuchung am Ende des einwöchigen Klinik-Aufenthaltes fand in einem schummrigen Behandlungsraum statt: Die Behandlungsplätze waren nur durch große Vorhänge voneinander getrennt.
Seit dem Aufwachen auf der Intensivstation kam mir das Leben wie ein geheimnisvolles Spiel vor, das mich auf recht dramatische Weise zurück an den Start geschickt hatte. Ich tat mir manchmal schwer zu begreifen, dass ich selbst die Spielfigur war, der ich wie von außen zuschaute.
„Grüß Gott, Herr Heitzer! Ich habe gehört, Sie hatten Glück im Unglück!“ Die fröhliche Art der jungen Oberärztin tat gut und war ansteckend. Nach einem kleinen Small-Talk nahm sie ihre Arbeit auf: Eine Woche nach dem Herz-Kreislauf-Stillstand und Koma wollte sie mein Herz am Ultraschall auf die entstandenen Schäden untersuchen.
Mein ganzer Brustkorb schmerzte aufgrund der Rippenfrakturen in Folge der Reanimation dermaßen, dass ich nicht wusste, wie ich mich hinlegen sollte. Aber es gab eine gute Nachricht: „Oh, das freut mich jetzt, Herr Heitzer, das muss ich ihnen gleich zeigen, wie fröhlich und kräftig ihr Herz schlägt!“ Sie drehte den Bildschirm in meine Richtung und ich konnte einen flüchtigen Blick erhaschen.
Der Augenblick genügte, mir schossen Tränen in die Augen, es war das Bild, das ich brauchte: Mein verletztes kleines Herz sprudelte fröhlich wie eine Quelle in den Bergen. Noch nie hatte ich mein Herz so in echt gesehen! Und jetzt nach dem Crash des Infarktes gab es alles, um mich mit Leben zu versorgen.
In diesen Tagen hatte ich so viele herzliche Menschen um mich, nicht nur meine Familie, sondern auch Pflegekräfte auf Intensivstation und der Kardiologie. Die Menschen hier, das moderne Zwei-Bett-Zimmer mit gewaltigem Panorama-Blick auf die mächtigen Berge der Innsbrucker Nordkette – das Leben ist zu schön, um es selbst schlecht zu reden. Ich liebte es, auf dem schönen Bänklein am Fenster zu sitzen, mit Blick auf die gewaltigen Berge, die hier quasi aus der Stadt in den Himmel wachsen.
Aufhören zu Kämpfen
Die Ärztin hatte mir noch zwei gute Nachrichten mitgegeben: Die Entspannungsfähigkeit des Herzens war gut. Und mein Herz hatte keinen Schaden genommen. Ein amerikanischer Freund und Lehrer meinte, als ich ihm von meinem Herzinfarkt berichtete: „Vielleicht hat dein Körper darauf einfach nicht als Angriff geantwortet.”
Das ist ein schönes Bild für jemanden wie mich, der seit Jahrzehnten Achtsamkeit übt und als Pädagoge seit fast 20 Jahren mit Kindern auf einem Übungsweg ist, den ich „Vom Kampf zum Spiel“ nenne. Die moderne Kultur bringt Kindern oft Wettkampf und Kampf bei. Als Pädagoge versuche ich, die Weisheit des Spiels wiederzuentdecken, die nicht nur das Kämpfen überflüssig macht, sondern auch davor bewahrt, in die Opferrolle zu fallen.
Auch in in der Achtsamkeitspraxis sowie in Kontemplation und Meditation üben wir, den inneren Raum zu weiten und wachsen zu lassen und die alten Muster des Kämpfens langsam loszulassen.
In der Achtsamkeit wird oft Bezug genommen zum Begründer der Logotherapie Viktor Frankl, der sich inmitten von Krieg und Holocaust ein Leben jenseits von Kampf und Aggression bewahrte. Er sagte: „Zwischen Reiz und Reaktion liegt ein Raum. In diesem Raum liegt unsere Macht zur Wahl unserer Reaktion. In unserer Reaktion liegen unsere Entwicklung und unsere Freiheit.“
Über die Freude stolpern
Dabei geht es auch darum, sich nicht den alten automatischen Mustern von Kampf, Flucht oder Erstarren zu überlassen, sondern eine lebensdienlichere Antwort auf das Grauen, das Leid, ein Unglück, Trauma oder Schicksal zu finden.
Es ist für mich ein tröstliches Bild, meinem Körper zuzutrauen, nicht im Kampfmodus reagiert zu haben. Gleichzeitig ist mir bewusst, dass es vor allem die schnelle Reanimation und das entschlossene Handeln meiner Ersthelferinnen war, die mein Herz noch einmal anspringen ließen.
Vom ersten Moment des Notfalls an bis zur langsamen Regeneration haben mich medizinische Hilfe und die Kraft von Mitgefühl, Achtsamkeit und Liebe unterstützt, mich gegen Kampf, Angst und Verzweiflung und für das Vertrauen zu entscheiden. Aber auch dafür, jenseits des Kampfes dem Spiel des Lebens weiter zu folgen, dem der berühmte persische Dichter und Mystiker Hafis (1315-1319) in Gedicht “Über die Freude stolpern” nachspürt:
Was ist der Unterschied zwischen
deiner Erfahrung der Existenz
und der eines Heiligen?
Der Heilige weiß
dass der spirituelle Weg
ein erhabenes Schachspiel mit Gott ist
Und dass der Geliebte [Gott] gerade
einen fantastischen Zug gemacht hat
Dass der Heilige jetzt ständig
über die Freude stolpert
und in Gelächter ausbricht
und sagt „Ich geb auf.“
Während, du, mein Lieber,
ich fürchte, du denkst immer noch
Du hättest tausend ernsthafte Züge.
Keinen Anlass zur Freude versäumen
War es Glück im Unglück? So beschrieben viele das Drama um meinen Herzinfarkt. Oder wer spielt hier welches Spiel?
Ja, ich bin glücklich am Leben zu sein, aber wie viele „ernsthafte Züge“ mir noch bleiben, weiß ich nicht. Wir Menschen wandeln immer zwischen den Welten, und unsere Existenz hier bleibt ein geheimnisvolles Spiel. Kein genialer menschlicher Schachzug wird uns retten, um auf diese irdische Weise dauerhaft am Leben zu bleiben.
Aber es gibt immer Anlass, über die Freude zu stolpern. Ähnlich schlicht war das Lebensmotto Rilkes: Leben, arbeiten, Geduld haben und keinen Anlass zur Freude versäumen. Selbst in Krankenhäusern gibt es vielleicht Fenster zu majestätischen Bergen und manchmal eines zur fröhlich sprudelnden Lebensquelle in der Brust.
Das Gedicht von Hafis ist herausfordernd, aber eine gute Orientierung: Besser „stolpern über die Freude“; besser wir lernen zu lachen, als in Ernst und Ehrgeiz zu versinken und festzuhalten an Dingen und Geschichten, über das Leben, über unser Leben.
Besser wir schütteln uns vor Lachen und brechen auch mal in Tränen aus angesichts der Unverfügbarkeit unserer Existenz, anstatt uns verbissen in den Kampf um ein Spiel zu werfen, das wir nicht gewinnen können… nur mit-spielen.
Steve Heitzer ist Achtsamkeitslehrer, Seminar- und Retreatleiter und lebt in Österreich. Neben Achtsamkeit und Pädagogik ist einer seiner Schwerpunkte die interspirituelle Begegnung von moderner Achtsamkeitspraxis, zeitgenössischer Weisheitslehre und der Botschaft Jesu. Zu seiner Website