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Hungerstreik für´s Klima: Die Lage ist ernst

Mo Photography Berlin/ Shutterstock
Wolfgang Metzeler-Kick Ende Mai 2024 |
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Ein Standpunkt von Jörg Alt

Wolfgang Metzeler-Kick befindet sich seit dem 7. März 2024 im Hungerstreik für den Klimaschutz. Er ist Vater eines 14-jährigen Sohnes und sagt: Es geht um´s Überleben auf diesem Planeten. Sein Fasten ist radikal, er will die Gesellschaft aufwecken. Seine Aktion verdient Respekt, so die Meinung des Autors und Aktivisten Jörg Alt.

Aktuell: Wolfgang Metzeler-Kick gab am 6. Juni bekannt, einige Tage Saft zu sich nehmen zu wollen, um Kanzler Scholz Bedenkzeit zu geben. Von ihm verlangt er, in einer Regierungserklärung auf die Gefahren der Klimakrise hinzuweisen.

 

Was ist der Unterschied zwischen Wissen und Verstehen? Ein sehr großer, wie man an der Klimakrise sehen kann. Fast jede und jeder im Land, von härtesten AfD-Ideologen abgesehen, wissen, dass der Mensch mitverantwortlich für die eskalierende Klimakatastrophe ist.

Ebenso wissen fast alle, dass die Folgen unseres verantwortungslosen Handelns auch an Deutschland nicht vorübergehen werden. Das zeigt sich an zunehmenden Wetterextremen wie jetzt in Süddeutschland oder der Verlangsamung, gar dem Versiegen, des Golfstroms.

Aber die wenigsten verstehen, wie ernst die Lage ist und wie schnell wir in große Schwierigkeiten kommen können.

Aktionen für Klimagerechtigkeit erzeugen mitunter irritierende Situationen, so dass die Menschen die Probleme nicht mehr ignorieren können. Dazu gehören das Besetzen von Tagebau, die Störung fossiler Infrastruktur, das Bekleben von Fenstern und Wänden, das Kleben auf Straßen und Hungerstreiks wie 2021 von sechs jungen Menschen vor der Bundestagswahl.

Jetzt, vor der Wahl zum Europäischen Parlament, befindet sich Wolfgang Metzeler-Kick (Wolli), 49, mit einigen anderen im Hungerstreik “Hungern bis ihr ehrlich seid” – seit dem 7. März 2024 nimmt er keine feste Nahrung zu sich.

Es geht um die unser Überleben und die Zukunft des Planeten

Wolfgang Metzeler-Kick ist Umweltingenieur. Er kennt die Fakten, er engagiert sich seit Jahren in Bewegungen für Klimagerechtigkeit und machte in den letzten Jahren ähnliche Erfahrungen wie ich.

Aus unserem länger zurückgehenden Engagement kennen Metzeler-Kick und ich uns: Beispielsweise waren wir die beiden einzigen, die sich bei der spektakulären Blockade des Münchner Stachus durch Wissenschaftler am 28.10.2022 an der Fahrbahn festklebten und anschließend von der Polizei festgesetzt wurden.

Metzeler-Kick ist Vater eines minderjährigen Sohnes – das stellt ihm nochmals verschärft die Frage, welche Zukunft er für sein Kind will: Will er sein Kind auf dem Weg in eine Welt mit sich absehbar verschärfenden Lebensbedingungen begleiten? Oder will er das ihm Mögliche in die Waagschale werfen, um Politik, Wirtschaft und Gesellschaft auf die heraufziehenden Gefahren aufmerksam zu machen und sie zum Handeln zu bewegen? Denn nur so ließen sich die absehbaren Verschlechterungen verlangsamen, vielleicht sogar aufhalten, gar irgendwann umkehren.

Metzeler-Kick hat sich für den zweiten Weg entschieden.

Anerkennen, dass es ein Problem gibt

Man mag dieses radikale Mittel des Hungerstreiks zweifelhaft finden. Aber der Aktivist verdient Respekt. Denn er fällte seine Entscheidung nach intensivem Nachdenken, sehr vielen Gesprächen, der Anwendung von sehr vielen anderen Methoden, die das Ziel, einen Bewusstseinswandel hin zu angemessener Handlungsbereitschaft, nicht erreicht haben. Der Hungerstreik ist das letzte Ausrufezeichen, das er hinter seine jahrelang konsistente Botschaft setzen kann.

Natürlich mag man sagen: „Was kann Scholz daran schon ändern?“ Nun ja: Es macht in der öffentlichen Wahrnehmung einen Unterschied, ob nur nervige Wissenschaftler und Aktivistinnen warnen, während die Politik beschwichtigt und den Glauben wachhält, alles sei nicht so schlimm, wir lägen im Zeitplan, die Technik werde uns schon retten und überhaupt seien einschneidende Änderungen unnötig.

Würden Spitzenpolitiker wie der Bundeskanzler den vergleichsweise moderaten Forderungen der Hungerstreikenden entsprechen und die Wahrheit über den Ernst der Lage aussprechen, bekäme die öffentliche Bewusstseins- und Diskussionslage in unserem Land eine andere Qualität.

Wie Metzeler-Kick es formulierte: “Es ist wie bei einem Alkoholiker: Der erste Schritt, trocken zu werden, ist anzuerkennen, dass es überhaupt ein Problem gibt” (ZEIT Online, 4.6.2024, „Wie weit wird er gehen?“).

Davon ist der Kanzler weit entfernt: In seiner Regierungserklärung am 6. Juni 2024 sprach er zwar die Klimakatastrophe an, aber als „größte globale Herausforderung“. Damit kann man sich prächtig weiter um die eigene deutsche Verantwortung beziehungsweise die Verantwortung der Regierung zur Umsetzung des „Klimaurteils“ des Bundesverfassungsgerichts herummogeln. Daraus folgt nichts. Der Expertenrat der Bundesregierung geht davon aus, dass die Bundesregierung ihre selbstgesteckten Ziele 2030, 2045 und 2050 verfehlen wird.

Aber: Die Hungerstreikenden nahmen das vorsichtige Bekenntnis des Kanzlers im Rahmen der Regierungserklärung dankbar an und verschoben den Beginn eines „trockenen Hungerstreiks“, also des Verzichts auf Nahrung und Trinken, um eine Woche – in der Hoffnung, dass weitere positive Signale im Sinne einer ernst gemeinten Klimapolitik folgen. Gefährliche gesundheitliche Komplikationen sind freilich trotzdem möglich

Der Hungerstreik ist ein Mittel zivilen Ungehorsams

Abschließend möchte ich zwei von mir sehr respektierte Experten zum Thema Hungerstreik zitieren: Prof. Dr. Hans-Joachim Schellnhuber, Gründer des Potsdam-Instituts für Klimafolgenforschung und herausragender Klimawissenschaftler, schrieb anlässlich des Hungerstreiks der Letzten Generation 2021 in einem Offenen Brief:

„Es geht also um das Überleben bzw. künftige Leben von vielen Millionen Mitmenschen und von vielen Milliarden Mitgeschöpfen. Deshalb ist nachvollziehbar, vielleicht sogar verhältnismäßig, dass ihr mit dem Hunger- bzw. Durststreik die Gefährdung eures eigenen Lebens in die Waagschale werft, um den notwendigen Politikwechsel zu bewirken. Wer euch deshalb “Erpressung” oder dergleichen vorwirft, verkennt, dass dieses Streikmittel in der Geschichte oftmals erfolgreich eingesetzt wurde. Bezeichnenderweise verehrt unsere Gesellschaft die beteiligten Helden am liebsten dann, wenn sie schon lange tot sind (wie Mahatma Gandhi) oder sich in weiter Ferne befinden (wie Alexei Nawalny).“

Und dann wäre da noch Pater Joe Übelmesser, der sich mit seinen 91 Jahren bei der Stachusblockade am 28. Oktober 2022 mit einem Plakat hinter Metzeler-Kick und mich stellte auf dem stand: „Unser Lebensstil ist die Ursache für den Klimawandel…. Das Problem sind wir!“, und der anschließend einige Stunden mit Metzeler-Kick und mir in einer Polizeizelle verbrachte. Als ich ihn heute beim Frühstück fragte, was er von dessen Hungerstreik halte, meinte er: „Der ist ein Held! Er wirft sein Leben in die Waagschale, um vor einer so offenkundigen Gefahr zu werfen und auf Dinge zu weisen, die dringend geändert werden müssen.“

Ob Wollis Opfer gerechtfertigt ist oder nicht: Darüber werden vermutlich kommende Generationen anders urteilen als die heutige.

P. Dr. Jörg Alt SJ, geboren 1961, Jesuit seit 1981 und Priester seit 1993, hat Studienabschlüsse in Theologie, Philosophie und Sozialwissenschaft. Er arbeitet in Nürnberg als Hochschulseelsorger sowie als Mitarbeiter im Hilfswerk jesuitenweltweit und dem Ukamazentrum für sozial-ökologische Transformation. Eine sozialethische Begründung von Zivilem Widerstand aufgrund der aktuellen Lage veröffentlichte er 2023 in seinem Buch „Widerstand! Gegen eine Wirtschaft, die tötet.“, erschienen im Vier Türme Verlag Münsterschwarzach. Website www.joergalt.de

Foto: privat

 

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