Eine Deutsch-Rumänin zum Erfolg der AfD
Cristina Grovu, 37, ist rumämischer Abstammung und seit 1990 in Deutschland. Sie hat Freundlichkeit ebenso erfahren wie alltäglichen Rassismus. In ihrem Artikel erklärt sie, warum sie keine Angst hat, dass die AfD in den Bundestag einzieht. Sie setzt auf die Demokratie und eine wache Zivilgesellschaft.
Die Alternative für Deutschland (AfD) holt bei den Wahlen am 24. September 2017 fast 13 Prozent der Stimmen. Politiker, Medien verbreiten Weltuntergangsstimmung. Mich schockt das nicht. Ich bin weder entsetzt noch entrüstet. Noch überlege ich, auf mein Facebook-Profil FCK AFD zu posten. Oder Parallelen zu 1933 zu ziehen.
Ich habe keine Angst, dass diese Partei in den Bundestag einzieht, obwohl ich ihre Aussagen dumm und menschenverachtend finde. Meine Furchtlosigkeit geht unter anderem auf meine Beobachtungen und Erfahrungen in der deutschen Gesellschaft seit 1990 zurück.
Im Jahr 1990 bin ich mit elf Jahren gemeinsam mit meiner Familie aus Rumänien nach Deutschland eingewandert. Seit der Ankunft in Nürnberg habe ich in Deutschland viel Hilfe und Unterstützung erfahren, aber auch Rassismus erlebt. Dass es irgendwie nicht gut ist, eine Ausländerin zu sein, dass wir leise oder gar nicht rumänisch sprechen sollten. Lange Zeit habe ich mich meiner Herkunft geschämt.
Und das, obwohl ich wirklich Glück hatte: Ich bin auf eine katholischen Schule gegangen, wo viele Migranten- und Ausländerkinder unterrichtet wurden. Ich habe schnell die deutsche Sprache akzentfrei beherrscht, mich wie die deutschen Kinder gekleidet und war höflich und zuvorkommend. Also unauffällig. Das war das Wichtigste, um in der Gesellschaft durchzukommen. Zeigt dies schon, dass ich den latenten Rassismus verinnerlicht habe?
Wer anders ist, muss sich anpassen
Meine Eltern konnten sich nicht so leicht assimilieren. Sie waren lange Zeit „auffällige“ Ausländer. Sie sprachen nicht gut deutsch, waren nicht wie die Deutschen gekleidet, mein Vater hatte schwarze Haare und einen schwarzen Schnauzbart.
Nicht immer, aber häufiger wurden sie in der Kleinstadt, in der wir lebten, nicht an der Wursttheke bedient. Wenn meine Mutter in der Firma, in der sie als Buchhalterin arbeitet, ans Telefon ging, verlangten die Kunden oft eine andere Ansprechpartnerin. So erfuhren meine Eltern alltägliche Diskriminierung, mal mehr und bösartig, mal weniger und eher verhalten. Das ging so bis Ende der 90er Jahre. Besser wurde es nur, als sie sich mehr anpassten, nicht durch mehr Toleranz in ihrem Umfeld.
Als ich 2010 mit meinem Freund in die gemeinsame Wohnung in Hamburg einzog, verkündeten die freundlichen und netten Nachbarn, die ich nach wie vor sehr schätze stolz: „In diesem Haus gibt es keine Ausländer!“ Ich darauf hin: „Das hat sich ja nun geändert.“ Aber ich bin ja eine andere Ausländerin. Ihr Misstrauen gilt nicht mir, es richtet sind immer auf die anderen, die man nicht kennt. Die sich nicht benehmen, die klauen, die laut sprechen, die einfach anders sind.
Bei einer Wohnungsbesichtigung sagte ein Mann zu mir, dass er nicht gerne mit ausländischen Familien zusammenwohnt, weil sie so laut lachen.
Wenn ich also von der Tatsache ausgehe, dass es den Rassismus in Deutschland immer schon gab, bin ich irgendwie auch erleichtert, dass er sich nun öffentlich zeigt. Dass er sichtbar wird in diesen 13 Prozent. Dass Menschen mit rechter Gesinnung in der Politik vorkommen und wir uns mit ihnen auseinandersetzen müssen. Dass nicht nur die andersaussehenden und anderssprechenden Menschen Opfer ihrer Angriffe werden. Dass nun deutlich wird: Wir haben es hier nicht mit einem individuellen Problem zu tun.
Unterschütterliches Vertrauen in die Demokratie
Wahlabend 24. September 2017: Entsetzte Posts bei Facebook auf meiner Timeline. Ich würde gerne zurückfragen: Wusstet ihr das nicht? Haben nicht schon immer Umfragen gezeigt, dass rund 25 Prozent aller Deutschen rechtspopulistische Ansichten vertreten? Wo kommt diese Überraschung her?
Wieso ich trotzdem keine Angst habe? Ich habe ein unerschütterliches Grundvertrauen in die Menschen und in die Welt – und damit auch in die Demokratie. Ich bin mir sicher: Unser demokratisches System wird es schaffen, mit undemokratischen und menschenverachtenden Haltungen klarzukommen.
Ich setze auf die anderen 87 Prozent im Bundestag, die nicht AfD gewählt haben, und auf uns, die wache Zivilgesellschaft. Menschen, die meine Eltern und mich immer wertschätzend behandelt haben, Menschen, die Lust haben sich auf das Fremde einzulassen. Menschen, die mit mir gemeinsam mein Heimatland bereisen und sich mit meiner Geschichte auseinandersetzen. Menschen, die an eine gemeinsame Zukunft – trotz aller Unterschiede – glauben, auf der Basis von Respekt und Toleranz. Ist das nicht hoffnungsvoll?
Was ich kontraproduktiv finde: Hasstiraden auf die AfD-Wähler, Anti-AfD-Demos, Facebook-Einladungen für eine Veranstaltung am 21.09.2021 “Wir feiern den Auszug der AfD aus dem Bundestag”. Wenn ich versuche, mich in einen AfD-Wähler oder eine AfD-Wählerin hineinzuversetzen, würde mich dieses Dagegen-Getöne nur noch stärker an die Partei binden und meine Überzeugungen festigen.
Wie wäre es stattdessen im Kleinen mit dieser Haltung: Wir sehen euch, wir hören euch, wir nehmen euch wahr. Auch wenn wir nicht einer Meinung sind, lasst uns versuchen, uns als Menschen aufeinander zuzubewegen, auch wenn wir in der Sache streiten. Lasst uns versuchen, eine gute Zukunft zu gestalten.
Lasst uns diskutieren und streiten. Wir haben dafür klare Regeln in unserer Gesellschaft. Wer Gesetze übertritt, muss mit Konsequenzen rechnen. Vertrauen wir darauf, dass wir – die anderen 87 Prozent – stark sind. Dass wir uns dieser grauen, einfältigen Masse, die schon immer in den Dörfern, Klein- und Großstädten – direkt in unserer Nachbarschaft – lauerte, stellen können. Denn Angst lähmt und destabilisiert, Vertrauen und Mut bringen uns zusammen.
Cristina Grovu
Cristina Grovu, 1979 in Bukarest geboren, studierte BWL und arbeitete danach in einer Hamburger Kommunikationsagentur. Sie unterstützt das Netzwerk Ethik heute ehrenamtlich und lebt mit ihrem Partner und der gemeinsamen Tochter in Hamburg-Wilhelmsburg.