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Innere Freiheit durch Meditation

Cover_Master, Geburt der Freiheit

Ein Buch aus dem Gefängnis

Im kalifornischen Hochsicherheitsgefängnis San Quentin sitzt Jarvis Jay Masters seit über 30 Jahren im Todestrakt, obwohl er seine Unschuld beteuert. Dort kam er mit Meditation in Berührung und erlebte eine ungeahnte innere Transformation. In seinem Buch schildert er seinen Weg in die innere Freiheit.

Der bekannte Schauspieler Edgar Selge, der als Sohn eines Gefängnisdirektors mit Eltern und Geschwistern in unmittelbarer Nähe zur Haftanstalt wohnt, stellt als Jugendlicher fest: „Ich kann so weit laufen, wie ich will, mein Gefängnis trage ich immer mit mir herum. Es sitzt in mir drin.“

So erinnert er sich seinem autobiografischen Buch Hast du uns endlich gefunden. Dieses Lebensgefühl kennen viele, die, in großer äußerer Freiheit und Sicherheit leben und doch immer wieder Momente bedrängender innerer Unfreiheit und Unsicherheit erleben.

Wie aber ist das für Menschen, die in extremer äußerer Unfreiheit leben und sich nach Freiheit sehnen? Für jemanden wie Jarvis Jay Masters? Aufgewachsen in schwierigen Verhältnissen, die Eltern waren Junkies, wuchs er in einem Umfeld von Gewalt und Verwahrlosung auf.

Schon früh für seine Geschwister verantwortlich, bald bei wechselnden Pflegefamilien aufwachsend, erlebte er selten Liebe und Fürsorge. Als Jugendlicher geriet er auf die „schiefe Bahn“, Diebstahl und Raubüberfälle führten zu Verhaftungen. Schließlich kam er mit 19 Jahren zur Verbüßung einer Haftstrafe nach St. Quentin.

Ein wütender, aggressiver junger Schwarzer – nun in einem Staatsgefängnis, das für seine Brutalität und Willkür berüchtigt ist. Und dann wird er nach vier Jahren wegen angeblicher Mittäterschaft an der Ermordung eines Wärters, zum Tode verurteilt – eine Tat, die er bis heute abstreitet. Er kommt in den Trakt des Gefängnisses, in dem die Freiheit extrem weiter eingeschränkt ist, den Todestrakt.

Die unbekannte Weite des Geistes

Unter diesen harten Bedingungen von Zwang, Unfreiheit und institutioneller Entmenschlichung erlebt Masters seine „Geburt der Freiheit“. Es ist der Aufbruch in eine Freiheit, die Menschen unabhängig von äußeren Bedingungen möglich ist. Aber auch sie existiert nicht im luftleeren Raum, sondern ist bedingt und muss ergriffen werden.

Eine Mitarbeiterin der ihn vertretenen Anwaltskanzlei bringt Masters mit kreativem Schreiben und mit Meditation in Kontakt. Beide Samen erweisen sich als äußerst fruchtbar: Masters beginnt, über seinen Gefängnisalltag zu schreiben. Etliche der im Laufe der Jahre entstandenen Skizzen und Geschichten haben Eingang in dieses Buch gefunden.

Ihm gelingen berührende Porträts seiner dortigen Leidensgenossen, er zeigt sie in ihrer Würde und Menschlichkeit. Er macht den weichen Kern unter ihrer harten Schale sichtbar, die Verletzlichkeit, die in diesen verpanzerten Körpern lebendig ist, die Zärtlichkeit, die sich als Rohheit maskiert und in kleinen Gesten ihren Ausdruck findet.

Mittlerweile ist Masters Autor weiterer Bücher und seine Autobiographie “That Bird Has My Wings: The Autobiograohy of an an Innocent Man on Death Row” wird in Oprah Winfreys Buchclub zum Buch des Jahres 2022 gewählt.

Aber wohl wichtiger noch als das Schreiben werden für Masters die Meditation und der Buddhismus. Sie geben ihm die Werkzeuge an die Hand, um im Todestrakt, in einer winzigen Zelle eine bislang unbekannte Weite und Freiheit des Geistes zu erleben und zu kultivieren.

Er erhält Unterweisungen durch den tibetischen Lehrer Chagdud Tulku, der ihn auch im Gefängnis besucht und bei dem er die Bodhisattva-Gelübde ablegt, zum Wohle aller Wesen zu wirken und Mitgefühl und Weisheit zu entwickeln. Später wird Pema Chödron seine spirituelle Lehrerin. Es ist ergreifend zu lesen, wie es ihm an diesem schrecklichen Ort immer mehr gelingt, aus dieser Freiheit heraus, klar und mitfühlend zu handeln.

Ja zum Leben in Unfreiheit

Die äußere Unfreiheit versperrt alle Fluchtmöglichkeiten und wird zum Antriebsmotor zur inneren Freiheit. Die tägliche Meditation weicht mehr und mehr seine Verpanzerungen auf. Er öffnet sein Herz für den eigenen Schmerz, die eigenen Verletzungen, vermag sie zu halten und so zu transformieren.

Ihm gelingt es, sich mit seiner Vergangenheit sowie mit denen, die ihm Gewalt angetan und ihn Gewalt gelehrt haben, zu versöhnen. Schließlich vermag er, Ja zu sagen, zu dem Leben, das er zu führen gezwungen ist. Und dadurch findet er Freiheit.

Er beschreibt in diesem Buch in berührender Weise sein Ringen mit den eigenen destruktiven Impulsen und der gewonnenen Freiheit, sie nicht mehr auszuleben, sondern sich und anderen mit Liebe, Akzeptanz, Mitgefühl und Humor zu begegnen.

Im Buch reflektiert er auch die Bedeutung der buddhistischen Lehren für sein Leben und wie sie ihm geholfen haben, seine Würde und Menschlichkeit zu stärken. Pema Chödron schreibt in ihrem Vorwort: „Ich denke mir oft, wenn Jarvis den Durchbruch erleben kann und das Licht selbst an diesem dunkelsten aller Orte findet, gibt es Hoffnung für uns alle.“

Seit Jahren kümmert sich ein großer Unterstützerkreis von zum Teil recht prominenten Menschen um eine Wiederaufnahme des Verfahrens und seine Freilassung. Ihm gehörten oder gehören unter anderem der Dalai Lama, Pema Chödrön, Thich Nhat Hanh, Erzbischof Desmond Tutu, Alice Walker, Bell Hooks, Rebecca Solnit an. Dieser Kreis hat es geschafft, Jarvis Jay Masters Schicksal öffentlich zu machen.

www.freejarvis.org

Ursula Richard

Jarvis Jay Masters. Die Geburt der Freiheit. Wie die Meditation im Todestrakt mein Herz geöffnet hat. edition steinrich 2022

Shutterstock

Mit Referenten aus verschiedenen Disziplinen.

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