Ein Bericht von Johannes Zang
Seit 50 Jahren gibt es die Friedensbewegung in Israel. Ihr Anliegen war es, dass Israel mit einem palästinensischen Staat friedlich zusammenlebt. Doch die rechts-nationalen Regierungen Israels der letzten 20 Jahre haben die Friedensorganisationen massiv behindert. Es ist schwer geworden, sich für Frieden und Versöhnung einzusetzen.
„Steht dem Elternkreis bei! Friedenserziehung hat das Recht, an israelischen Schulen unterrichtet zu werden!“ So lautet eine Anfang August 2023 lancierte Petition einer in New York ansässigen Nichtregierungsorganisation. Diese unterstützt unter anderem den Parents Circle (Elternkreis) in Israel/Palästina, eine Gruppe friedensbewegter Palästinenser und Israelis.
Seit 20 Jahren gibt es diese Versöhnungsarbeit. Damit ist es vorerst vorbei. Die so genannten Klassendialoge für den Frieden stünden „im Widerspruch zu den Werten des Bildungsministeriums“, verlautbart dasselbe. Daher dürfen sie nicht mehr im Rahmen des Schulunterrichts stattfinden.
Die Friedensbewegung hat in Israel eine schweren Stand. Hat sie angesichts der ultranational-strengreligiösen Regierung Israels überhaupt eine Überlebenschance?
Allmep (Alliance for Middle East Peace) listet aktuell auf ihrer Internetseite 170 israelische, palästinensische oder bi-nationale Organisationen und Initiativen auf, die sich für Dialog, Gleichberechtigung, Koexistenz, Menschenrechte, Frieden oder Versöhnung engagieren; ständig entstehen neue. Sie heißen A Land for All, Hands of Peace, Combattants for Peace (Friedensstreiter), Samen des Friedens, Kids4Peace.
Manche sind sichtbar, manche weniger oder gar nicht; einige haben eine dreistellige Zahl an Aktivisten, andere nur zwei Dutzend. Gelegentlich tun sich ein halbes oder ganzes Dutzend solcher Gruppen zusammen, um etwa eine gemeinsame Petition oder Presseerklärung zu veröffentlichen. Jedes Jahr im Herbst schließen sich sich mehrere zur Olive Harvest Coalition zusammen, um palästinensische Bauern vor Übergriffen der jüdischen Siedler oder der Armee zu schützen.
Die Anfänge der Friedensbewegung reichen 50 Jahre zurück und gingen von so genannten linken Aktivisten wie dem Knessetabgeordneten Uri Avnery aus, dem Ex-General Matityahu „Matti“ Peled und Lyova Eliav, dem früheren Generalsekretär der Arbeitspartei Avoda.
Diese knüpften Kontakte zur palästinensischen Seite, etwa zur Birzeit-Universität, zu Dr. Issam Sartawi und Said Hamami (beide von der palästinensischen Abu-Nidal-Gruppe ermordet). Die Besatzung zu beenden und einen palästinensischen Staat neben Israel zu errichten – das waren die für viele unerhörten Forderungen der Friedensbewegten.
Avnery nennt sie „jene Pioniere des Friedens“, die bereits 1975 – und damit vor dem Sadat-Besuch – den „israelischen Rat für einen israelisch-palästinensischen Frieden gründeten.“
Die Friedensbewegung soll zerstört werden
Doch es ist ein harter Pflaster für Friedensbewegte geworden. Die überwiegend rechts-nationalen Regierungen Israels der letzten 20 Jahre haben das „Friedenslager“, wie es genannt wird, also Friedens- und Menschenrechtsaktivisten massiv behindert. Ksenia Svetlova hat 2021 für die Böll-Stiftung in Tel Aviv die Analyse The Lost Decade of the Israeli Peace Camp (Das verlorene Jahrzent des israelischen Friedenslagers) verfasst.
Darin erläutert sie, wie der „Verhandlungsstillstand“ israelische wie palästinensische Unterstützung für die Zwei-Staaten-Lösung verringert hat. Sie weist jedoch auf eine weitere, relativ neue Hürde für alle Friedensbewegten hin:
Organisationen, teils von der israelischen Regierung finanziert, attackieren, beleidigen und verleumden gezielt das Friedenslager, sprich: alle, die sich für Dialog, Annäherung, Koexistenz und letztlich Frieden und Versöhnung einsetzen. Dazu zählen die „extremistisch-rechte Organisation Im Tirzu“.
Dem Friedenslager sei es schwer gefallen, sich zu wehren, auch wegen interner Querelen. „Anstatt sich auf Netanyahus Strategie der Zerstörung des Friedenslagers zu konzentrieren, waren die unterschiedlichen Gruppen in endlosen internen Debatten gefangen.“
Svetlova, in Moskau geboren, Journalistin, Nahostexpertin und selbst Parlamentsmitglied der 20. Knesset, beendet ihre 9-seitige Analyse mit dieser Prognose für das Friedenslager: „Die Unterstützung der Öffentlichkeit zurückzugewinnen, nach einer zehnjährigen Schmierkampagne gegen die Linken und die Palästinenser, wird extrem schwer, wenn nicht gar unmöglich sein.“
Nicht wenige israelische Juden schauen auf Friedens- und Menschenrechtsaktivisten abfällig herab, verachten sie als blauäugige „Peaceniks“ und links, manche sehen in ihnen Verräter und feinden sie an – sogar in der eigenen Familie.
„Keiner kann uns stoppen“
Noch nie in der Geschichte des israelischen Friedenslagers erschien der Einsatz für Verständigung und Aussöhnung so sisyphosgleich aussichtslos wie aktuell. Dutzende von Auszeichnungen für Dialog und Frieden wurden Einzelpersonen und Gruppen in Israel und Palästina verliehen seit Rabin, Peres und Arafat 1994 den Friedensnobelpreis entgegennahmen.
Doch Frieden zwischen Mittelmeer und Jordan? Er scheint 2023 angesichts der nationalistischsten Regierung in der Geschichte Israels Lichtjahre entfernt zu sein.
Der eingangs erwähnte Elternkreis wurde kürzlich von seinem US-amerikanischen Freundeskreis zu einem „Not- und Ernstfall“-Webinar eingeladen. Die vier Diskutanten, darunter eine Israelin und ein Palästinenser vom Elternkreis, gaben sich gegenüber den weltweit 400 Zuhörern an den Bildschirmen kämpferisch.
Man werde alles mobilisieren, um wieder an die Schulen zurückkehren zu können. Ayelet Harel: „Mein Bruder und Bassams Tochter wurden getötet – um ihretwillen brauchen wir jetzt Frieden.“ Dann erklärte sie: „Uns hält man nicht auf. Keiner kann uns stoppen.“
Autor: J. Zang hat fast zehn Jahre in Israel und den besetzten palästinensischen Gebieten gelebt. Sein fünftes Buch Erlebnisse im Heiligen Land ist 2023 im Promedia-Verlag Wien erschienen. Er betreibt monatlich den Nahost-Podcast Jeru-Salam.