Erste wissenschaftliche Studie in Deutschland
Wissenschaftler haben erstmals untersucht, ob Menschen, die Achtsamkeit üben, anders konsumieren. Die Ergebnisse der Studie: Bei den meisten, die ein achtwöchiges Training absolviert haben, schwindet das Interesse an materiellen Dingen. Das Verhalten ändert sich jedoch kaum.
„Es gibt keine Zauberformel für nachhaltiges Verhalten.“ Mit diesen Worten eröffnete Professor Ulf Schrader von der Technischen Universität Berlin die Konferenz über „Bildung für nachhaltigen Konsum durch Achtsamkeitstraining“ (BINKA) am 16. Februar 2018 in Berlin. Aber Achtsamkeit könnte ein Baustein dafür sein.
Über diese Verbindung von Achtsamkeit und Konsum haben Schrader und sein Team drei Jahre geforscht. Es ist die erste Studie in Deutschland überhaupt zu diesem Thema. 2013 haben die jungen Wissenschaftler unter der Leitung von Schrader und der Koordinatorin Laura Stanszus ein achtwöchiges Achtsamkeitstraining konzipiert, das einige Elemente nachhaltigen Konsums enthält, und an verschiedenen Gruppen mit insgesamt 200 Personen getestet: Schülern, Studierenden und erwachsenen Arbeitnehmern.
Die Ausgangsfrage war: Wie lässt sich die Lücke zwischen Wissen und Verhalten überwinden? Denn es mangelt in der Regel nicht an Erkenntnissen, wie zum Beispiel Klimawandel und die Vermüllung der Meere mit unserem Lebensstil zusammenhängen. Doch wir setzen dieses Wissen oft nicht ins Handeln um.
Konsumimpulsen widerstehen
Die Annahme, dass Achtsamkeit unserer Trägheit in Umweltbelangen entgegenwirken könne, hat sich nur bedingt bestätigt. Die Studie konnte keine unmittelbaren Effekte des achtwöchtigen Achtsamkeitstrainings auf das Konsumverhalten feststellen, wohl aber auf die „Konsumvorstufen“:
So stieg die Fähigkeit, Konsumimpulsen zu widerstehen, etwa in Bezug auf Fleisch oder Zucker. Probanden konnten sich besser selbst regulieren und steuern. Auch berichteten viele, dass die Bedeutung materieller Werte sinke und man weniger Wert auf äußere Dinge und Besitz legt.
Dies könnte der Beginn einer Neuorientierung im Leben sein. Hier wäre es interessant, weiter zu forschen und herauszufinden, wie es aussieht, wenn die Praxis über einen längeren Zeitraum fortgesetzt wird.
Im anschließenden Podiumsgespräch regte Dr. Martina Aßmann vom Netzwerk Ethik heute an zu untersuchen, welches Konsumverhalten langjährige Meditierende an den Tag legen. Unsere Gewohnheitsmuster seien tief im Gehirn verankert. Das Belohungssystem zu durchbrechen, also auf Glücksmomente zu verzichten, die sich durch die Befriedigung kurzfristiger Bedürfnisse einstellen, das brauche Zeit und Übung.
„Ohne Bewusstseinsveränderung geht es nicht“
Markante Wirkungen zeigte die Studie in Bezug auf das persönliche Wohlbefinden. Besonders Schüler und Studenten berichteten in Interviews, dass sie zufriedener sind, innerlich ruhiger und ihr Bewusstsein durch die Achtsamkeit erweitert hätten. Auch wird die eigene Unachtsamkeit schneller wahrgenommen.
Achtsamkeit sei eine von mehreren Ressourcen, um Verhalten zu ändern, erklärte der Umweltpsychologe Professor Marcel Hunneke. Dazu kämen: Selbstakzeptanz, Selbstwirksamkeit, Genussfähigkeit, Solidarität und Sinnkonstruktion. Alle zusammen genommen ermöglichten, dass Menschen ihren Werten entsprechend handeln und ihr Wissen in die Praxis umsetzen.
Es ist das Verdienst der Studie, das Thema Achtsamkeit in eine gesellschaftliche Diskussion über den Konsum gebracht zu haben. Aus diesem Grund wurde es auch mit 835.000 Euro vom Bundesministerium für Wissenschaft und Forschung im Rahmen des Projekts „Bildung für nachhaltige Entwicklung“ gefördert.
Doch das Thema ist komplex. Konsum geht vom Individuum aus. Achtsamkeit im Sinne des nicht bewertenden Gewahrseins hat vermutlich allein nicht die Kraft zur Transformation. Dazu ist ein tieferes Nachdenken, vielleicht auch Weisheit notwendig: Was ist für mich ein gelingendes Leben? An welchen Werten orientiere ich mich im Alltag? Und in welcher Gesellschaft möchte ich leben und kann ich mich als Teil eines größeren Ganzen sehen?
Konsum ist auch kollektiv: ein Ausdruck gesellschaftlicher Gewohnheiten und Strukturen. Beispiel Verpackungen und Plastik. Für den Einzelnen ist es fast unmöglich, anders einzukaufen. Daher brauchen wir auch politische Steuerung, z.B. die Verteuerung umweltschädlicher Produkte. Und nicht zu vergessen: die Gemeinschaften von Menschen, die sich gegenseitig unterstützen, wie zum Beispiel in der Solidarischen Landwirtschaft oder autofreien Wohnprojekten.
„Die Studie ist ein Anfang“ resümmierte Achtsamkeitslehrer- und Forscher Paul Grossman. Zwar könne man nach einem achtwöchigen Training keine Wunder erwarten, aber: „Ohne Bewusstseinsveränderung geht es nicht.“
Birgit Stratmann
Interview über die Ergebnisse der Studie mit Jon Kabat-Zinn