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Klima-Angst und Klima-Wut

Florida Stock/ Shutterstock
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Wie die Erderhitzung auch der Psyche schadet

Viele Menschen erleben starke Gefühle angesichts der Klimakrise. Wut und Trauer sind unangenehm, aber angemessen. Sie zeigen, dass weniger verdrängt und verleugnet wird. Psychologen betonen, wie wichtig es beim Klimaschutz sei, mehr die Gefühle anzusprechen und ins Handeln zu kommen, etwa auf lokaler Ebene.

Im Jahr 2022 hat eine europaweite Studie der TUI-Stiftung festgestellt, dass junge Menschen mehr Angst vor dem Klima-Wandel als vor dem Ukraine-Krieg haben. Europaweit sollen danach 76 Prozent der jungen Menschen zwischen 16 und 26 unter einem Phänomen leiden, dass es bisher so als Begriff gar nicht gab: Klima-Angst.

„Das ist keine Angst im klinischen Sinn, sondern eine existenzielle Angst“, sagt Bernd Rieken, Psychologe und Direktor der Wiener Sigmund Freud-Uni: „Und existentielle Ängste kann man nicht in Diagnosen packen. Psychopathologisch wird es, wenn die Menschen sich deshalb vollständig zurückziehen, resignieren, depressiv, melancholisch würden, wenn sie deswegen keine Kinder mehr in die Welt setzten.“

In Potsdam finanziert die Bundesregierung daher mit Millionenbeträgen das Institut für transformative Nachhaltigkeitsforschung, das an einem neuen Weltbild für das Anthropozän forscht.

„Im Anthropozän geht es eigentlich um die Suchbewegung der Menschheit, eine neue Erzählung der eigenen Rolle im Kontext des Erdsystems zu verstehen und möglichst bewusst zu gestalten“ sagt der dort arbeitende Physiker und Psychotherapeut Thomas Bruhn.

Die Hoffnung ist, dass durch die aktuelle Umweltangst der moderne Mensch seine wirkliche Rolle erkennt. Und so zum Teil der Lösung wird anstatt weiter das Problem zu sein. Dass er im Alltag so handelt, dass das System Erde nicht weiter belastet wird. Dass er die Umwelt als Mitwelt begreift und wie ein Teil seiner selbst schützt und bewahrt.

Wir müssen an zukünftige Generationen denken

Umwelt- und Klimaangst galt bislang nicht als direkte Krankheit. Eher als dunkle Wolke, die wie ein Schatten über der kollektiven Psyche liegt. Bislang standen allenfalls die physischen Auswirkungen der globalen Erwärmung im Mittelpunkt: Herz-Kreislauf-Belastungen, mehr Allergien, Asthma, Lungenkrankheiten oder die stärkere Verbreitung tropischer Krankheiten wie Malaria.

„Es gibt die akuten Effekte, da haben wir zum Beispiel Traumatisierung nach Extremwetterereignissen wie der Ahr-Flut“ sagt die Psychotherapeutin Katharina van Bronswijk, Sprecherin der Psychologists for Future: „Und wir haben schleichende Prozesse, die wir unter dem Begriff Klima-Gefühle zusammenfassen. Das sind angesichts der unsichen Zukunft die Klima-Angst oder – wegen eigener Schuldthemen – die Klima-Wut!“

Manche Forschende nehmen an, dass die Spezies homo sapiens durch die Evolution nicht vorbereitet auf das sei, was gerade mit der Welt passiert: „Wir besitzen immer noch nicht die Fähigkeit, weit in die Zukunft schauen zu können“ beklagt die Ökologin Gesa Lüdecke, Direktorin für Umweltstudien am Münchner Rachel-Carson-Institut für Umwelt und Gesellschaft: „Und das macht es für uns auch so schwierig, vorausschauend für zukünftige Generationen, mitzudenken. Auch wenn wir eigentlich wissen: Das wäre das Richtige!“

Tatsächlich stehen immer mehr Menschen fassungslos und kopfschüttelnd vor immer mehr bedrohlichen Entwicklungen – dem Klimawandel, dem Artensterben, der Wasserkrise, der Erosion der Böden.

Sie fragen sich: Wie kann es sein, dass wir immer mehr wissen und doch nichts tun? Verleugnen oder verschieben? Handlung von anderen fordern, aber selbst immer größere Autos fahren, mehr fliegen, Ressourcen schneller verbrauchen, wie süchtig konsumieren?

Sich berühren lassen von dem, was geschieht

Ist der Mensch nicht in der Lage, verantwortlich in die Zukunft zu schauen? Oder braucht es schlicht andere Strategien und Methoden, um ihn lernfähig zu machen? Oder sind es die Prägung unserer Kultur und unseres Weltbildes, die den Menschen abstumpft und sein Handeln lähmt?

Experten unterschiedlichster Disziplinen erforschen, woran es mangelt. In der Steinzeit hatte die Unfähigkeit, in die Tiefen der Zukunft vorauszudenken, noch wenig Konsequenzen. In der hoch-gradig komplexen Gegenwart aber besteht die Gefahr, dass sich bei weiterem Wegschauen eigentlich lösbare Einzelkrisen in eine nicht mehr beherrschbare Megakrise verdichten.

„Wir müssen berührt werden von dem, was passiert“, sagt die Umwelt-Verhaltensforscherin Gesa Lüdecke: „Es muss uns nahe sein. Meine soziale Gruppe muss mein Verhalten bestätigen. Und ich muss das Gefühl haben, mein Verhalten verändert was!“ Fehlt diese Erfahrung, verliert gezielte Aktion für viele ihren Sinn.

Hinzu kommt, dass Klimafolgen uns zwar intellektuell beschäftigen, die sinnliche Wahrnehmung aber nicht unser Wissen bestätigt. „Wir sehen kein CO2. Wir fühlen es nicht, wir sehen es nicht, wir schmecken es nicht,“, sagt die Gesellschaftswissenschaftlerin Sarah Kessler vom Klimaforschungsnetzwerk der Universität München: „Und deswegen ist es für uns so abstrakt, so schwer vorstellbar.“

Die Dissonanz zwischen Wissen und Fühlen zwingt die Psyche, sich die Realität so zurechtzubiegen, damit wir weiter funktionieren können. Also wird verdrängt, verleugnet, vergessen, verschoben.

Massenhaft seelische Not und kollektive Depression

Doch die Artikulation von Gefühlen, die Anerkennung der Angst, das Zeigen von Verzweiflung und Panik scheint in unserer Gesellschaft alles andere als opportun zu sein. Der moderne Mensch soll nicht emotional sein, sondern nüchtern, rational, analytisch, lösungsorientiert – während unter der Oberfläche die Sorgen brodeln.

Der ärztliche Psychotherapeut Jochen v. Wahlert ist davon überzeugt, dass die Folge dieser massenhaften seelischen Not eine kollektive Depression ist, die das Problem verstärkt, anstatt zur Lösung beizutragen. „Die Menschen müssen eine immense Energie aufbringen, um in ihrer kleinen Welt ihr Weltbild aufrechterhalten zu können. Und diese seelische Diskrepanz führt dazu, dass die Diagnose ‘Depression’ so eine Hochkonjunktur hat!“

Die Konsequenzen dieser Diagnose sind immens. Bedeutet sie doch, dass nicht nur die Lösungen für den Klimawandel auf der Strecke bleiben, sondern die Verleugnung des Themas zudem auch noch die Gesellschaft als ganzes krank macht.

Es scheint, als stünde mehr zur Disposition als nur ein paar bessere Argumente. Als müsste vielmehr anerkannt werden, dass die ganze Art des Umgangs mit der Welt in Frage gestellt werden müsste.

Beim Klimaschutz Verstand und Gefühl ansprechen

Doch was ist die positive Alternative? Zwar fordert die zivilgesellschaftliche Klimabewegung einen grundlegenden Systemwandel. Tatsächlich aber weiß eigentlich niemand, wie die moderne Gesellschaft aus der Sackgasse herauskommen soll.

Deshalb empfehlen Umweltpsychologen, bei den Appellen zu klimafreundlichem Verhalten viel mehr das Herz und die Gefühle anzusprechen als nur den überforderten Verstand. Statt komplexe globale Lösungen zu diskutieren, brauche es vermehrt lokale Ansätze vor der eigenen Haustür, wo Veränderung erlebt werden kann.

Statt mit kommenden Katastrophen zu drohen, sollten Geschichten von Lösungen erzählt werde, die Hoffnung machen und zur Nachahmung einladen. Statt auf bestrafende Regeln zu setzen, sollten Lob und Belohnung eingesetzt werden. Statt Ängste verdrängend zu verschweigen, sollte eingeladen werden, sie offen zu teilen.

„Wenn wir dieses Potenzial nutzen, müssten wir eigentlich eine unglaubliche Kraft haben, die Welt zu bewahren und uns weiterzuentwickeln“, glaubt der psychosomatische Facharzt und Klinikdirektor Jochen von Wahlert: „Ich glaube aber, so notwendig es ist, dass wir schnell politische Entscheidungen treffen und handeln, wird das nicht gehen, ohne dass wir uns selber verändern.“

Keine Frage: Die Klimakrise ist mittlerweile auch eine Bedrohung für die Seele geworden. Doch im kreativen Umgang mit den Klimagefühlen liegt zugleich eine Chance, die Sicht auf die Welt zu überprüfen und mit einem neuen Verständnis Lösungen zu finden.

Dr. Geseko von Lüpke ist freier Journalist und Autor von Publikationen über Naturwissenschaft, nachhaltige Zukunftsgestaltung und ökologische Ethik.

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Mit Referenten aus verschiedenen Disziplinen.

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2 Kommentare
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In meiner ländlichen Gegend spüre ich den Klimawandel total. Trockener Felder, schwierigkeiten bei der Vegetationsbrandbekämpfung … Ich habe ein ganzes Feld bei einem Brand im letzten Sommer verloren. Physisch ist mir Gott sei dank nichts passiert, aber psychisch sehr wohl …

Keine Frage?
Vielleicht doch eine Frage!
Denn könnte es möglicherweise auch so sein, dass “die Seele” bzw. unsere Vorstellungen und Konzepte von Seele ursächlich für Klimaveränderung zumindest mitverantwortlich sind?
Was ist genau Seele, was soll damit gemeint sein? Wie hat sich die Auffassung von Seele in unserer und anderen Kulturen entwickelt?
Wenn Seele soetwas ist, das uns Menschen persönlich eigen und unveränderlich ist und uns überdauert (eine durchaus gängige Vorstellung), dann kann solch eine Vorstellung der Grund einer Hybris sein, die gerade in umfassende globale Probleme führt, die sich uns jetzt unübersehbar zeigen.

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