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Klimakrise und das gute Leben

Capture PB/ shutterstock.com
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Eine Anregung zur Klima-Debatte

Die Fridays for Future-Bewegung hat mit ihren Protesten Schwung in die Klima-Debatte gebracht. Jetzt ist die Zeit, für den Klimaschutz auf die Straße zu gehen. Doch Treibhausgase zu reduzieren, ist keine Rechenaufgabe, sondern wirft tiefere Fragen auf: Wie wollen wir leben, was ist uns wichtig? Es geht nicht um Verzicht, sondern um das gute Leben, schreibt Birgit Stratmann.

Am Freitag 20. September 2019 will die Bewegung Fridays for Future so viele Menschen wie noch nie auf die Straße bringen. Zur großen Klima-Demonstration weltweit sind nicht nur Schülerinnen und Schüler aufgerufen, sondern auch Erwachsene allen Alters. Denn Klimaschutz geht nur gemeinsam.

Über die Frage, wie das Klima zu schützen ist, gibt es Differenzen. Die einen setzen auf technische Maßnahmen, etwa energieeffiziente Geräte oder Elektromobilität, sowie finanzielle Anreize für die, die weniger CO2 verbrauchen, z.B. ihr Haus dämmen oder ein Sprit-sparendes Auto fahren. Sie glauben, dass eigentlich alles so weitergehen kann, wenn es nur gelingt, die CO2-Emissionen zu drosseln. Die anderen beschwören den Systemwechsel: Sie sehen im Wirtschaftssystem, das auf Wachstum und Profit ausgerichtet ist, die Hauptursache für die Erderwärmung. Daher fordern sie eine andere Art zu wirtschaften, zu arbeiten, zu leben und sehen hier vor allem die Politik in der Verantwortung. Doch Klimaschutz betrifft alle: das Individuum genauso wie Politik, Wirtschaft und Gesellschaft.

Wir sind Klimamacher

Das massive Verbrennen fossiler Energieträger wie Kohle und Öl erhitzt die Erde. Das Treibhausgas Kohlendioxid (CO2) wird immer dann emittiert, wenn wir Energie verbrauchen, die aus nicht aus erneuerbaren Quellen stammt. Ob wir am Computer aktiv sind, auf dem Smartphone surfen, Kaffee kochen oder Autofahren – wir alle sind Klimamacher.

Wer sich zum 1,5-Grad-Ziel bekennt, wie es die Weltgemeinschaft beim Weltklimagipfel 2015 in Paris getan hat, muss jetzt die Energiewende vorantreiben und vor allem weniger brauchen. Der Energieverbrauch hängt jedoch unweigerlich mit unserem Lebensstil, ja mit allen Lebensbereichen zusammen. Die Technik allein kann es nicht richten. Zwei Beispiele:

Die Deutschen haben in den letzten Jahrzehnten ihre Häuser und Wohnungen gedämmt und damit weniger Heizenergie verbraucht. Allerdings beanspruchen wir immer größere Flächen, so dass die Einsparung wieder aufgefressen wird. Rebound-Effekt nennt man das. Man nutzt Energiesparlampen, lässt diese aber ständig brennen, weil sie ja so sparsam sind.

In Deutschland werden knapp 40 Prozent der Stromversorgung und rund 15 Prozent des gesamten Energiebedarfs (für Strom, Heizen, Industrieproduktion und Verkehr) aus Erneuerbaren Quellen gedeckt. Mit der Digitalisierung, dem Ausbau des 5G-Mobilfunknetzes, aber allein schon mit den Elektroautos steigt der Strombedarf massiv. Würde ein Großteil der 47 Millionen PKW auf deutschen Straßen auf E-Antrieb umstellen, müssten also gigantisch viele Windräder und Solaranlagen her.

Was ist ein gutes Leben?

Je weniger Energie wir verbrauchen, umso besser ist es für das Klima. Klimaschutz ist keine Rechenaufgabe, sondern wirft tiefgehende Fragen auf, die auf breiter gesellschaftlicher Ebene diskutiert werden müssen: Wie wollen wir leben? Was ist uns wichtig? Und wie stellen wir uns die Welt von morgen vor?

Dabei geht es nicht, wie der amerikanische Erfolgsautor Jonathan Safran Foer im Spiegel-Interview vom 7. September darstellte, um einen „inneren Kampf“, um “Verzicht”, weil man es nicht lassen kann, durch die Gegend zu fliegen oder Fleisch zu essen. Sondern die Klimakrise kann uns dazu bringen, über das gutes Leben nachzudenken. Was ist eigentlich ein gutes Leben für uns?

Sind wir zufriedener, wenn wir eine große Wohnung haben – vor allem, wenn man bedenkt, wie begrenzt der Wohnraum in den Ballungsgebieten ist und wie hart wir für die Miete arbeiten müssen? Ist es attraktiver, für den Urlaub irgendwohin zu jetten, statt die näheren Umgebungen zu erkunden, Kanu zu fahren oder etwas Neues zu lernen?

Könnte es Spaß machen, für die täglichen Wege Fahrrad zu fahren, statt im Stau zu stehen? Brauchen wir ein eigenes Auto, das viel kostet? Reicht es nicht, ein Auto zu teilen und die Verantwortung für Reparaturen, TÜV usw. los zu sein?

Wenn es um die Verkehrsberuhigung von Innenstädten geht, gibt es in den Kommunen heftigen Widerstand. Doch man kann auch argumentieren, dass autofreie Gebiete ein besseres Leben für viele bedeuten, zum Beispiel für Kinder. Sie könnten die Straßen erobern und zum Spielen und Toben nutzen, ohne von Autos bedroht zu werden. Wer kein Geld hat, in Urlaub zu fahren, würde es erholsam finden, in verkehrsberuhigten Städten zu schlendern und es sich gut gehen zu lassen.

Die meisten denken, dass ihnen der Klimaschutz etwas wegnimmt, sie sollen verzichten. Als die Grünen 2011 den Veggie Day forderten, also einmal die Woche ohne Fleisch auskommen, gingen viele auf die Barrikaden; das Wort „Öko-Diktatur“ machte die Runde. Doch das zeigt nur, wie festgefahren wir sind, dass wir uns nicht einmal eine minimale Veränderung unseres Ernährungsverhaltens vorstellen können. Und das, wenn man bedenkt, wie Tiere und Natur für die Fleischproduktion ausgebeutet werden.

Könnte es uns nicht mehr Zufriedenheit schenken, wenn wir kein Fleisch aus der Massentierhaltung essen und stattdessen zum Beispiel einen Besuch im neu eröffneten veganen Restaurant machen oder mal etwas anderes kochen würden?

Chancen durch Klimaschutz

Das größte Hindernis für den Klimaschutz ist unsere hartnäckige Abneigung gegen Veränderungen. Am liebsten machen wir alles wie immer. Da gibt es zum einen die Angst davor, sich dem Unbekannten, Neuen zu öffnen. Zum anderen fehlen die Fantasie und der innere Freiraum, uns das Leben anders vorzustellen. Die Fridays for Future können uns helfen, intensiv darüber nachzudenken, welche Chancen für jeden Einzelnen und für uns als Gesellschaft stecken, wenn wir mit dem Klimaschutz Ernst machen.

Denn eigentlich geht es darum, unsere tieferen menschlichen Bedürfnisse zu entdecken, die unter Arbeitsdruck, Stress, medialen Ablenkungen verschüttet liegen. Diese Bedürfnisse hängen mit uns selbst zusammen, aber auch mit anderen. Denn die meisten wünschen sich zutiefst, dass auch ihre Kinder und Enkel ein gutes Leben haben werden. Klimaschutz könnte auch heißen, dem Neuen eine Chance zu geben, auch – oder vielleicht gerade – auf politischer Ebene. Die Impulse für politische Veränderungen müssen von Bürgerinnen und Bürgern kommen, wie die jungen Menschen mit ihren Schulstreiks zeigen.

Birgit Stratmann

 

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Mit Referenten aus verschiedenen Disziplinen.

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Sollte das beklagte Verhalten unserer Durchschnittsbürger nicht grundsätzlich im Rahmen unserer Gesellschaftsordnung behandelt werden? Wir können ihr nicht entfliehen, weil sie uns wie gottgegeben unterstellt wird – die wir aber als kollektive Konstrukteure durch unser Schulsystem genau so kreieren, wie sie uns dann auf den Senkel geht? Mir ist es nur möglich, einen Appell zu ethischem Verhalten als diesen anzuerkennen, wenn der Blick auf die Kausalität der Verursachungen all dessen gelenkt wird. gegen das wir uns scheinbar empören! Wo bleibt das Engagement für die so dringend benötigte Vision zugunsten einer ethischen Gesellschaftsordnung, statt die ewige Empörung gegen Exkremente von Verantwortungslosigkeit. Peter Stenzinger

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