Mühsamer Umzug ins Niemandsland
Die Bewohner von Sam Dzong in Mustang müssen ihr Dorf aufgeben. Im Zuge der Erderwärmung ist Wasser knapp geworden, die Felder können nicht mehr bewirtschaftet werden. Obwohl sie aufgrund ihres bescheidenen Lebensstils kaum Treibhausgase verursachen, sind sie Opfer des Klimawandels.
Die Bewohner des Dorfes Sam Dzong, die seit Jahrhunderten als Bauern in einem abgelegenen Tal in Mustang nahe der Grenze zu Tibet leben, kennen das Wort Klimawandel nicht. Aber sie haben in den letzten Jahren einschlägige Erfahrungen damit gemacht:
Mit der Erderwärmung kommt die Wasserknappheit. An vielen Orten im Himalaya schmelzen die Gletscher, so dass im Frühjahr und Sommer das Schmelzwasser fehlt, das für den Anbau von Lebensmitteln benötigt wird. In Mustang ist das Probem etwas anders gelagert: In Sam Dzong hat sich in den letzten Jahren die Schneefallgrenze verschoben, im Winter gibt es selbst auf 5000 Metern Höhe zu wenig Niederschlag. Zum Sommer hin wechseln sich extreme Trockenheit mit Gewittern und Hagel ab.
Die Bauern haben zu wenig Wasser, um ihre Felder zu bewirtschaften. Die Erträge sind spärlich geworden, immer öfter bleibt aufgrund fehlender Niederschläge die Ernte ganz aus. Ein vorübergehendes Phänomen, denken die Bauern, und setzen auf mehr Viehzucht. Doch selbst die genügsamen Ziegen finden in 4000 Metern Höhe nicht mehr ausreichend Nahrung.
In ihrer Not wenden sie sich an den König von Mustang. Gleichzeitig suchen im Jahr 2008 Vertreter der Dorfgemeinschaft den Schweizer Fotografen Manuel Bauer auf, der auf einer Fototour in Mustang unterwegs ist. Er hatte lange Zeit für den Dalai Lama gearbeitet und erscheint ihnen vertrauenswürdig. Aber wie soll er sie unterstützen?
Bauer konsultiert zunächst Geologen und Klimaexperten. Doch deren Urteil ist ernüchternd: Sie prognostizieren bis zum Ende des Jahrhunderts in Mustang einen Anstieg der Temperaturen um vier Grad. Der Wasserknappheit, so ihre Einschätzung, wäre nicht beizukommen.
2011 reist Bauer zusammen mit Wissenschaftlern nach Sam Dzong – nicht gerade ein Spaziergang. Vom nächsten Flughafen dauert die Reise mit dem Pferd und je nach Zustand der Route zwei bis fünf Tage; Autos gibt es in dieser Menschen verlassenen Gegend nicht. Die Reise zwischen Dhaulagiri und Annapurana führt durch die tiefste Schlucht der Welt.
Was die Wissenschaftler vorfinden, deprimiert sie: eine ausgedörrte, felsige Landschaft so weit das Auge reicht. Da die Schneefallgrenze gestiegen ist, müsse man mit immer weniger Schmelzwasser rechnen. Da der Permafrost schmilzt, versickert das Wasser, bevor es das Dorf erreichen kann. Das Ende vom Lied: Die Bauern müssen umziehen, wenn sie überleben wollen.
Konsum ist ein Fremdwort
Der König stellt ein Gebiet im Nachbartal zur Verfügung, drei Stunden zu Fuß von ihrer Heimat Sam Dzong entfernt: Namashung, eine zehn Hektar große Ebene am Ufer eines kleinen Flusses, eine gute Pferdestunde von Lo Manthang, der Hauptstadt Mustangs, entfernt. Doch was hoffnungsvoll klingt: Das Land, umgeben von Himalaya-Riesen, ist eine unwirtliche Steinwüste. Wie soll in dieser Einöde jemals Gerste wachsen?
Bis zur Umsiedlung gibt es viel zu tun. Es dauert Monate, bis ein Bulldozer den Boden von Geröll befreien und einebnen kann. Findlinge müssen per Hand zerkleinert werden, denn sie werden später für den Hausbau gebraucht.
Manuel Bauer unterstützt den Umzug des Dorfes, seit 2011 die Entscheidung gefallen ist. Er sammelt Geld, z.B. mit Vorträgen, für den Bau der neuen Häuser, für die Begradigung des Bodens und der Errichtung eines Dammes, der vor Hochwasser schützt. Alle Reisen in die Region finanziert er aus eigener Tasche.
Die Bewohner holen Tausende Steine aus der Umgebung, formen von Hand Zehntausende Lehmziegel und errichten damit Mauern. Die Rohbauten werden von Hand verputzt und danach mit natürlichen Mineralfarben geweißt.
Die neuen Häuser sind so karg wie die alten: Kein Strom, kein fließendes Wasser, keine Toiletten. Die Bewohner leben genügsam von dem, was die Erde ihnen bietet. Sie nutzen keine Autos, geschweige denn Flugzeuge; Konsum ist hier ein Fremdwort. Zur Erderwärmung haben sie rein gar nichts beigetragen, aber sie gehören zu den ersten Opfern.
Aufbruch in eine unsichere Zukunft
2016, nach fünf Jahren, ist es so weit: Die 85 Menschen können in ihrer „moderne“ Siedlung, wie sie Namashung nennen, ein neues Leben beginnen und eine erste Ernte einbringen.
Doch auch hier ist der Klimawandel nicht aus der Welt: Namashung liegt in der Nähe eines Flusses. Wenn die Gletscher schmelzen, kann es hier zu Überschwemmungen kommen. Daher sind die Häuser in maximaler Distanz zum Ufer gebaut worden; ein Damm bietet weiteren Schutz. Nun sind die Bauern erst einmal sicher. Doch die Uhr tickt, auch für andere Regionen im Himalaya.
Sollte es nicht gelingen, die Erderwärmung auf durchschnittlich zwei Grad zu begrenzen, werden noch viel mehr Menschen betroffen sein. Insbesondere die Gletscherschmelze ist eine Katastrophe. Die Eiszungen bedecken 17 Prozent der Fläche des Himalaya und speisen die größten Flüsse Asiens – mit einem Einzugsgebiet von 1,4 Milliarden Menschen, die daraus ihr Trinkwasser beziehen. Nicht auszudenken, wenn diese Quellen versiegen.
Die ehemaligen Bewohner von Sam Dzong sind Klimaflüchtlinge, die ein neues Zuhause gefunden haben. Doch die Zukunft liegt nicht in ihrer Hand. Sie hängt wesentlich davon ab, ob die Weltgemeinschaft wirksame Maßnahmen zum Schutz des Klimas durchsetzen kann und ob wir in den reichen Ländern es schaffen, uns an einen klimaschonenden Lebensstil zu gewöhnen.
Birgit Stratmann
Für das neue Dorf werden noch Spenden gebraucht, insbesondere für die Errichtung des Damms, der vor Hochwasser schützen soll. Bitte überweisen Sie an die Stiftung Himalaya´s Children, Stichwort Sam Dzong, Credit Suisse, IBAN: CH19 0483 5132 9400 7100 1, BIC: CRESCHZZ80A