Neue Forschungsergebnisse
Der Klimawandel verschärft das Risiko, seine Heimat zu verlieren. Jedes Jahr flüchten doppelt so viele Menschen vor Umweltkatastropen als vor Krieg und Gewalt. Zu diesem Ergebnis kommt eine Studie, die Greenpeace 2017 in Auftrag gegeben hat. Die Klimakonferenz in Bonn unter der Präsidentschaft der Fidschi-Inseln könnte nun gegensteuern.
Eine Klimaerwärmung um nur zwei Grad, das halten manche Zeitgenossen in den gut situierten Ländern für eine Lapalie. Doch für Insel- und Küstenbewohner im Pazifik ist die Lage heute schon bedrohlich. So machte etwa der Ex-Präsident des Inselstaates Kiribati, Anote Tong, Schlagzeilen, weil er Land auf Fidschi kaufte, um im Notfall seine Bevölkerung umsiedeln zu können.
“Der Weltklimarat rechnet damit, dass Kiribati bis Ende des Jahrhunderts wohl überflutet ist”, sagte Anote Tong dem Weltspiegel (Sendung vom 5.11.2017). Also müsse man sich überlegen, wohin die Menschen umgesiedelt werden könnten. „Migration in Würde“, nennt er das.
Sage und schreibe 21,5 Millionen Menschen müssen jedes Jahr aufgrund von wetterbedingten Katastrophen ihre Heimat verlassen, und diese Wetterextreme sind auch Folge der rapide voranschreitenden Erderwärmung.
Mehr Dürren, Stürme oder Überflutungen führen dazu, dass die Ärmsten der Armen ihre Lebensgrundlagen verlieren. „Nur“ etwa zehn Millionen Menschen werden aufgrund von Krieg und Gewalt vertrieben. Zu diesem Ergebnis kommt die Studie „Klimawandel, Migration und Vertreibung“, die Greenpeace 2017 beim Fachbereich Politikwissenschaften der Universität Hamburg in Auftrag gegeben hat.
Wenigen ist bekannt, dass der Klimawandel eine wesentliche Ursache für Flucht ist. Zwar gibt es eine intensive wissenschaftliche Debatte, so die Autoren der Studie, die Hamburger Politikwissenschaftler Professor Cord Jakobeit und Dr. Hildegard Bedarff. Aber „die Tragweite des Problems wird unterschätzt“, heißt es im Vorwort.
Nur die wenigsten Flüchtlinge kommen nach Europa
Für die Wissenschaftler war es keine einfache Sache, den Zusammenhang zu erklären. Denn zum einen ist es schwierig, die Motive für Migration exakt zu bestimmen und Umweltfaktoren von anderen Beweggründung zu isolieren. „Klimawandel und Umweltdegration sind Multiplikatoren weiterer Probleme und Krisen, die zu Vertreibung und Migration führen.“
Zum anderen sind die Zusammenhänge zwischen Klimawandel und Umweltzerstörung komplex. Daher unterscheidet man zwei Arten von Migration: plötzlich einsetzende, z.B. aufgrund von aktuen Katastrophen wie Fluten, Starkstürmen und Hitzewellen, und schleichende Umweltveränderungen wie der Anstieg des Meeresspiegels, Trockenheit und Dürre, im Zuge derer landwirtschaftliche Flächen verloren gehen.
Die Zahl und Intensität von klimabedingten Naturkatastrophen steigt nach Angaben des Weltklimarats seit Jahren. Parallel dazu hat sich die Zahl der durch sie Vertriebenen laut Internal Displacement Monitoring Center (IDMC) seit 1970 verdoppelt.
Greenpeace listet auf: Zwischen 2008 und 2015 wurden 110 Millionen Menschen durch Fluten und 60 Millionen durch Stürme vertrieben. Wegen extremen Temperaturen haben 960.000 Menschen ihre Heimt verlassen, wegen Erdrutschen 704.000, aufgrund von Waldbränden weitere 362.000. Acht der zehn Länder mit den meisten Vertreibungen durch Naturkatastrophen liegen in Asien.
Mit einem weiteren Irrglauben räumt die Studie auf: Nur ein Bruchteil der Menschen, die weltweit auf der Flucht sind, verlassen das eigene Land oder machen sich auf nach Europa. Anders als die Schlagzeilen in den Medien suggerieren, ist Europa im Vergleich zu anderen Weltregionen wenig von Migration betroffen. Die meisten Flüchtlinge landen in den Slums der Megastädte des Südens. Oder sie bleiben in einer unwirtlichen Gegend in dürftig versorgten Lagern stecken.
In Zukunft, warnen die Wissenschaftler, könne es häufiger vorkommen, dass Menschen jahrelang in Lagern eingeschlossen sind. Die humanitäre Katastrophe am Horn von Afrika und der Jemen sind dafür schlimme Beispiele.
Deutschland Klimavorbild?
Und was tut die Politik? CDU und SPD sprechen zwar darüber, wie wichtig es ihnen ist, die Ziele des Pariser Klimagipfels zu erreichen, doch sind den Worten kaum Taten gefolgt. Die Kohlendioxid-Emissionen haben sich in der Zeit der Großen Koalition nicht verringert.
Alexander Graf Lambsdorff, FDP, macht eine Rolle rückwärts in der Klimapolitik. Im „Interview der Woche“ des Deutschlandfunks am 5. November bekannte er sich zwar zum Zwei-Grad-Ziel, betonte aber die Unvereinbarkeit von wirtschaftlicher Prosperität und Klimaschutz:
„Die (Klima-)Ziele von 2020 kann niemand erreichen, ohne dass wir derartig massiv Betriebe in Deutschland stilllegen, und zwar nicht nur energieerzeugende Betriebe, sondern auch Industriebetriebe, dass das einem industriellen Selbstmord gleichkäme.“
Bringt uns der Klimaschutz in die Steinzeit zurück? Aus dem Zitat des FDP-Politikers spricht ein Denken, das im vorigen Jahrhundert verbreitet war und längst überholt ist. Denn das Gegenteil ist der Fall: Es kann dauerhaft keinen Wohlstand ohne Klimaschutz und Gerechtigkeit geben. Das gilt nicht nur für die Inseln im Pazifik, sondern auch für die reichen Länder. Nur die Länder, die auf nachhaltige, klimafreundliche Innovationen setzen, werden sich auf Dauer gut entwickeln.
Birgit Stratmann