Ein Buch über die Schatten der E-Mobilität
Die Elektro-Mobilität wird als ökologischer Fortschritt gepriesen. Für aufladbare Batterien braucht man Kobalt. Ein großer Teil des Rohstoffs wird im Kongo abgebaut – unter menschenunwürdigen Bedingungen. Das Buch beruht auf einer Recherche im Kongo und schildert, wie die Menschen für unseren Wohlstand leiden.
Ich kann mich nicht erinnern, wann mich ein Buch zuletzt so mitgenommen hat.
„Cobalt Red“ nimmt die Leser mit in die Hölle der Weltwirtschaft. Das Buch, bisher nicht auf Deutsch erhältlich ist, führt uns in die Kobalt-Minen der Demokratischen Republik Kongo, aus der laut Angaben des Autors 2021 72 Prozent der weltweiten Liefermengen an Kobalt kamen. Ohne Kobalt geht nichts im Bereich der hier so gepriesenen Elektromobilität.
Der Autor Siddharth Kara ist in drei Jahren mehrmals unter erheblichen Gefahren für sich, seine Dolmetscher und Guides durch die Bergbau-Provinzen des Landes gereist, entlang des sogenannten „Copper Belt“.
Hier holen Erwachsene, Jugendliche und Kinder mit bloßen Händen, rudimentärem Gerät und zumeist ohne jede Schutzausrüstung den begehrten Rohstoff aus der Erde. Die von Hand gegrabenen, ungesicherten Tunnel von bis zum 60 Metern Tiefe stürzen immer wieder ein und begraben die Arbeiter bei lebendigem Leib unter sich. Mütter und Väter wissen nie, ob ihre Kinder aus dem Tunnel nach Hause kommen. Die modernen Sklaven der Digitalisierung gehen nach 12 Stunden Schinderei mit einem Tageslohn von ein bis zwei Dollar nach Hause.
Es gibt keine saubere Lieferkette aus dem Kongo
Der Autor berichtet detailliert über die tatsächlichen Lieferketten, die das unbeschreibliche Elend im Kongo mit den schicken Showrooms der digitalen Welt und der E-Mobilität in den Industriestaaten verbinden. China spielt in diesen Lieferketten eine führende Rolle, in denen nach Angaben von Herstellern wie Apple, Microsoft, Google, Tesla, Samsung u. a. die Menschenrechte respektiert werden.
Tatsächlich aber fließt das Kobalt aus Kinderarbeit und moderner Sklaverei an vielen Punkten unweigerlich in die „offiziellen Lieferketten“ ein. So kommt Kara nach seinen Recherchen zur Schlussfolgerung: „Stand 2022 gibt es keine saubere Kobalt-Lieferkette aus dem Kongo“.
Der Wert des Lebens bemisst sich in Kobalt
Kara macht das unfassbare Elend an dem uns kaum bekannten Ende der Lieferkette fassbar, indem er Menschen sichtbar macht und sie selbst zu Wort kommen lässt. Wie etwa Kiyonge, neun Jahre alt. Ein Junge in durchgescheuerten kurzen Hosen und einem schlammverschmierten T-Shirt, der zu klein ist, um nach Kobalt zu graben. Deshalb wäscht er die Steine im Bach, um zum Lebensunterhalt der Familie beizutragen. Kiyonges Haut ist von Ausschlag übersäht und in einem Auge hat er ein schmerzendes Gerstenkorn. Eine Klinik ist für ihn unerreichbar.
Wir erfahren von Müttern und Väter wie Franck oder Rosine, deren Söhne im Teenageralter nach Grubenunglücken mit nur dürftig versorgten, zertrümmerten Gliedmaßen vor sich hin vegetieren und deren anderen Kinder trotzdem weiter mit graben müssen, denn, so Franck: „Wer nicht gräbt, der hat auch nichts zu essen.“
Kara erzählt uns von der fünfzehnjährigen Elodie. Ein Wesen aus Haut und Knochen, das sein Baby auf dem Rücken trägt. Bis vor ihrer Schwangerschaft hat sie sich prostituiert, um von etwa 50 Cent pro Tag zu überleben, dann gräbt sie nach Kobalt. Bis sie und ihr Baby tot unter einem Baum gefunden werden.
Für die Menschen im Kongo hat sich seit den Zeiten der brutalen Kolonialherrschaft unter dem belgischen König Leopold nicht viel geändert. Wurde der Wert ihres Lebens früher in Kilo Kautschuk bemessen, bemisst er sich heute in Kilo Kobalt, so Kara, der auch die leidvolle Geschichte des Kongo detailliert nachzeichnet.
E-Mobilität treibt Nachfrage nach Kobalt an
Wenn die Dinge so bleiben, wird sich die Ausbeutung mit der Zunahme der E-Mobilität noch verschärfen. Benötigt die Batterie für ein E-Fahrzeug doch mehr als das Tausendfache der Menge an Kobalt, die für die Batterie eines Smartphones erforderlich ist.
Die Hersteller wollen eigenen Angaben zufolge den Anteil von Kobalt deutlich reduzieren. Mit der kommerziellen Verfügbarkeit solcher Batterien sei allerdings in frühestens zehn Jahren zu rechnen, so Kara. Gleichzeitig sei vor dem Hintergrund der COP26-Ziele für E-Mobilität zu erwarten, dass die Nachfrage nach Kobalt zwischen 2018 und 2050 um fast 500 Prozent steigen wird. Nach heutigem Kenntnisstand findet man diese Mengen an Kobalt nur in der Demokratischen Republik Kongo.
„Der Abbau von Kobalt ist Sklavenhaltung in Perfektion – die Lohnkosten werden durch die Entwürdigung der Afrikaner am unteren Ende der Lieferkette praktisch auf null reduziert, einer Lieferkette, die durch ein cleveres System der Vernebelung, ausgeschmückt mit heuchlerischen Bekundungen über die Einhaltung der Menschenrechte, scheinbar alle daran Beteiligten von ihrer Verantwortung freispricht.“
Ich halte dieses Buch für eines der wichtigsten unserer Zeit. Es ist außerordentlich gut geschrieben und doch schwer zu verdauen. Stellt es uns doch vor die elementare Frage, wie lange wir Menschen in anderen Teilen der Welt für unseren Profit, unsere Bequemlichkeit und seit Neuestem auch für unser gutes Gewissen noch ausbeuten wollen.
Wir können es unbeachtet lassen und weiter die Augen verschließen. Oder wir können es lesen und uns fragen, wie wir für die anstehenden Aufgaben endlich zu ganzheitlichen, durchdachten Lösungen kommen können, in denen der Würde des Menschen überall auf der Welt Priorität eingeräumt wird.
Sabine Breit
(Übersetzung der englischen Zitate durch die Autorin)
Siddharth Kara. Cobalt Red: How the Blood of the Congo Powers Our Lives. Macmillan USA 2022
Danke für diese Rezension.
Wir dürfen die Augen nicht länger davor verschließen, dass es sich bei vielen Ansätzen unserer kapitalistischen Gesellschaft, die Klimakrise zu beHERRschen, um reinsten Neokolonialismus handelt: Damit wir nicht auf das kleinste bisschen vermeintlichen Komforts verzichten müssen, werden Länder (meint: Menschen, Tiere und Landschaften) insbesondere des globalen Südens brutal ausgebeutet. Den Profit nehmen internationale Konzerne mit, die schwerwiegenden Folgen lasten insbesondere auf Regionen, die schon jetzt große Belastungen durch die Klimakrise zu bewältigen haben. Diese Ausbeutung erhält regelmäßig den “Segen” auch unserer Regierung, ermöglicht sie es doch, weiterhin so zu tun, als ob “wir” für eine klimagerechte Zukunft auf nichts verzichten müssten.
Ich wünsche mir von uns allen engagiertes Mitgefühl, um uns für eine wirklich gerechte Zukunft einzusetzen und dazu auch unsere Politiker*innen aufzufordern.