Online Magazin für Ethik und Achtsamkeit

Kollektive: Solidarisch arbeiten und leben

RossHelen/shutterstock.com
RossHelen/shutterstock.com

Was Kollektivsten antreibt

Kollektive arbeiten nicht profitorientiert. Sie wollen Arbeit, gutes Leben und gesellschaftliches Engagement verbinden. Sabine Breit sprach mit Kollektivisten, um zu erfahren, was sie antreibt und wie sie mit Schwierigkeiten umgehen.

Andere Formen des Arbeitens, gerne unter dem Begriff „New Work“ zusammengefasst, sind in aller Munde. Die einen wollen, die anderen sollen anders arbeiten. Verantwortung soll abgegeben und übernommen werden. Hierarchien abgeflacht oder abgebaut. Leben und Arbeiten sollen im Gleichgewicht sein.

Da schien es mir logisch, einmal dorthin zu schauen, wo all dies schon lange praktiziert wird – und zwar nicht als Methode, sondern als Lebensform: bei den Kollektivbetrieben. Kollektive sind eine Form des Wirtschaftens, bei der die Betriebe nicht profitorientiert arbeiten. Sie haben den Anspruch, gesellschaftlich nützliche Produkte und Dienstleistungen anzubieten. Hier gibt es keine Chefin, sondern Entscheidungen werden von allen gleichberechtigt und basisdemokratisch getroffen. Unter den Kollektivbetrieben sind Handwerker, Kaffeeröstereien, Kneipen, Druckereien, freie Schulen usw.

So traf ich mich mit Sonja Löser und Jochen Körtner, den Mitbegründern von „Kunst des Scheiterns“, einem Beratungsprojekt für Kollektivbetriebe. Sie unterstützen sowohl bei der Gründung als auch im Betrieb und bei schwierigen Situationen. Drei Fragen hatte ich dabei vor allem im Gepäck: Was hält Kollektive im Inneren zusammen? Was stellt sie als Inseln im wirtschaftlichen Mainstream vor Zerreißproben? Was können Wirtschaft und Gesellschaft von diesen Laboren des anderen Arbeitens lernen?

Kollektive haben ein gesellschaftliches Anliegen

Kollektive gründen sich nicht primär, weil sie einen Business Plan haben, sondern ein Herzensanliegen. Mal geht es um den nachhaltigen Import und Vertrieb von Kaffee, mal gründet man einen Pflegedienst, betreibt gemeinsam einen gastronomischen oder einen Handwerksbetrieb, oder man startet einen Getränkehandel, an dem alle gleichberechtigt beteiligt sind: Hersteller, Spediteure, Händler, Gastronomen, die Fahrer, die Kunden und die Konsumenten.

Dieser Zweck kann mehr oder weniger politisch sein, aber er hat immer mit der intrinsischen Motivation und den Wertvorstellungen der Gründerinnen und Gründer zu tun. Die Begriffe, die in unserem Gespräch immer wieder fielen, waren Freiheit, Vertrauen, Verantwortung, Konsens, Beziehung, Austausch, Solidarität und Demokratie. Und alles kommt zusammen im „guten Leben“.

Das gute Leben beschreibt Jochen Körtner so: „ Es ist mehr als Geld: zum Beispiel eine Infrastruktur zu haben, gute Kulturprojekte. Leute, die zufrieden sind und die sich auch noch Kinder leisten können.“ Kollektive und die darin arbeitenden Menschen stellen das in konventionellen Unternehmen immer wieder postulierte Ziel der Work-Life-Balance praktisch auf den Kopf. Sie begeben sich nicht in ein Arbeitsverhältnis und versuchen dann irgendwie Platz für ein Privatleben zu machen, sondern sie denken von Anfang an alles zusammen: Arbeit, Privatleben und gesellschaftliches Engagement.

So streben sie ein gutes Leben nicht nur für sich, sondern auch für andere an, etwa für Kaffeebauern, die von im Kaffeehandel tätigen Kollektiven einen höheren Preis erhalten als gewöhnlich. Für ihr Viertel oder ihre Stadt, wenn sie erwirtschaftete Überschüsse in lokale Projekte investieren. Für das Wohlergehen und das Überleben anderer Kollektive, denen bei Bedarf Finanzmittel zur Verfügung gestellt werden. Dafür nehmen sie in Kauf, dass sie in einem Kollektiv in der Regel nicht so viel verdienen, wie in einem konventionellen Betrieb.

Sind Kollektivisten die besseren Menschen? Mitnichten. Letztlich kommen auch in Kollektiven ganz normale Menschen zusammen. Und so kommt es auch hier zu den gleichen Problemen, die man auch in herkömmlich organisierten Firmen findet: Es können sich Fraktionen bilden, es gibt persönliche Befindlichkeiten, es wird nicht ausreichend kommuniziert.

Ab 25 Personen aufwärts werden die Abstimmungsprozesse schwierig. Konflikte können stark eskalieren, weil Mitglieder eines Kollektivs „nicht von oben runterreguliert werden“, wie Jochen es nennt. „Da wird ja keiner gefeuert, wenn er die Klappe aufreißt. Die machen dann eben Politik in ihrem Unternehmen“. Und je stärker politisch ein Kollektiv ist, umso intoleranter kann es zuweilen gegenüber politisch Andersdenkenden sein. Wie in konventionellen Unternehmen eben auch.

„Geld ist immer ein Problem“

Darüber hinaus werden an den Schnittstellen zur herkömmlichen Wirtschaft – d. h. im Verhältnis zu Banken, Behörden, Vermietern, Versicherungen oder nicht kollektiv organisierten Geschäftspartnern – Strukturen und Anforderungen in die Kollektivbetriebe hineingetragen, die auch deren Innenleben nicht unberührt lassen. Damit umzugehen, kann ein „schwieriger Spagat“ sein, so Sonja.

Da ein „Kollektiv“ keine gültige Rechtsform ist, steht man etwa vor der Herausforderung, sich für den Umgang mit der „Außenwelt“ eine irgendwie passende Rechtsform überziehen zu müssen. Wählt man die der GmbH, müssen einzelne Kollektivisten als Geschäftsführer eingetragen werden, mit allen sich daraus ergebenden Rechten und Haftungspflichten. Und schon können in einem eigentlich egalitären Kollektiv, das grundsätzlich auf Vertrauen basiert, Verträge nötig werden. Verträge, die etwa die Geschäftsführerin rückversichern, wenn sie die gemeinsamen Entscheidungen formal zu verantworten hat.

Außerdem muss zuweilen von außen Geld beschafft werden, um den Laden am Laufen zu halten oder zu investieren. Entscheidungen müssen schneller getroffen werden, als es die internen Entscheidungsprozesse vorsehen. „Geld ist immer ein Problem.“, so Jochen. „Wenn diese Betriebe Geld brauchen, dann haben sie größere Probleme. Und was die Geschäftsbeziehungen angeht, gibt es häufig Unverständnis, dass Entscheidungen länger dauern.“ Folglich müssen Kollektivbetriebe intern Strukturen und Vorgehensweisen finden, die es ihnen ermöglichen, nach innen stimmig zu bleiben und trotzdem mit ihrer Umwelt in einen funktionierenden Austausch zu treten.

Gerade diese Strukturen und Lösungen sind es, die für Wirtschaft und Gesellschaft besonders lehrreich sein können. Denn es geht dabei eben nicht um Methoden oder Patenrezepte. Vielmehr geht es um die grundlegende Frage, wie man mit dem Faktor Macht in einer Art und Weise umgeht, dass innerbetriebliche Demokratie und Freiheit gewahrt werden, der Betrieb konsens- und arbeitsfähig bleibt und alle gleichermaßen im Vertrauen und der Verantwortung bleiben. Damit Macht sich nicht bei Einzelnen konzentriert und so das Unternehmensgefüge im Laufe der Zeit erodiert, sondern immer wieder aufgelöst wird.

„Wer viel macht, hat Macht“

Dabei gilt es, zwischen formellen und informellen Machstrukturen zu unterscheiden. Formelle Machtverhältnisse lassen sich gut mit Vereinbarungen und Strukturen regeln. Ein paar Beispiele: Es entscheiden etwa immer diejenigen, die von einer Entscheidung betroffen sind. Bestimmte Mitarbeiter, die zuweilen schnelle Entscheidungen treffen müssen, werden vorsorglich mit einem entsprechenden Mandat versehen, für den Fall, dass es keine Zeit für Konsensbildung gibt. Man einigt sich darauf, dass alle dasselbe Gehalt bekommen, weil alle für das Gelingen des Betriebs gleich wichtig sind. Es gibt feste Kommunikationsstrukturen wie die Einrichtung regelmäßiger Plenumssitzungen. Verantwortung wird nur temporär delegiert, aber nicht für alle Zeiten abgegeben.

Informelle Machtstrukturen sind wesentlich schwieriger in Schach zu halten, weil sie sich im Tagesgeschäft einschleichen. Wenn man nicht aufpasst, so Jochen, „können sich diese informellen Machtstrukturen formalisieren“ und das Kollektiv und seine formellen Strukturen von innen aushöhlen. Etwa weil peu à peu Ansprüche daraus abgeleitet werden, Abhängigkeiten entstehen. oder man Verantwortung immer mehr abgibt und damit auch die Fähigkeit verliert, sie wieder zu übernehmen.

Braucht das Kollektiv z. B. Geld und stellt ein Mitglied das Geld aus privaten Quellen bereit, kann sich daraus eine Machtposition ergeben. Ähnliches gilt, wenn einzelne Mitglieder über Fähigkeiten verfügen, die das Kollektiv unbedingt braucht und die sonst niemand hat. Auch sich unentbehrlich zu machen, ist eine Form der Machtkonzentration. „Wer viel macht, hat Macht“, so Sonja.

Kommunikation als Teil der Arbeit begreifen

All dem entgegenzuwirken erfordert Aufmerksamkeit, aber vor allem eine funktionierende, offene und ehrliche Kommunikation. „Wichtig ist die Fähigkeit, die Dinge rechtzeitig anzusprechen“, so Sonja, um informelle Machtstrukturen frühzeitig aufzulösen. Dafür wird z. B. nach Möglichkeiten gesucht, Privatdarlehen Stück für Stück zurückzuführen. Kompetenzkonzentration kann durch Qualifikation anderer entgegengewirkt werden. Die „Unentbehrlichen“ werden in einer Art und Weise entlastet, dass sie einerseits keine Sorge haben müssen überflüssig zu werden und man andere aber auch mit in diese Kompetenzen einbindet. Kommunikation, das miteinander Reden, als Teil der Arbeit zu begreifen, sei in diesem Zusammenhang essenziell.

So sind Kollektivisten nicht die besseren Menschen, aber sie setzen andere Schwerpunkte, achten auf andere Dinge und stellen völlig andere Fragen. Sie denken die Wirtschaft vom Menschen her. Weil es nicht darum geht, Profite zu machen, sondern ein gutes Auskommen zu haben. Sie setzen auf Vertrauen und Freiheit, statt auf Misstrauen und Kontrolle. Neben dem Tagesgeschäft geht es auch immer darum, eben diese Werte zu bewahren und zu leben.

Dafür werden sie übrigens von ihren Kunden mit großer Treue belohnt. Weil auch die Kunden bei einem Kollektiv mit klaren, gelebten Prinzipien wissen, woran sie sind, und guten Gewissens dort einkaufen können. Selbst wenn man seinen eigenen Betrieb nicht zu einem Kollektiv umbauen möchte, lohnt es sich für Unternehmen vielleicht schon aus diesem Grund, sich einmal näher mit den Prinzipien und dem Funktionieren von Kollektiven zu beschäftigen.

Für politische Entscheidungsträger lohnt sich vielleicht die Frage, ob es nicht für eine Gesellschaft, in der Demokratie, Solidarität, Verantwortung und Vertrauen gedeihen sollen, von Vorteil wäre, Unternehmen, die konsequent nach diesen Prinzipien wirtschaften, stärker zu unterstützen.

Eine Liste von Kollektivbetrieben findet sich z. B. unter https://kollektivliste.org/

Shutterstock

Mit Referenten aus verschiedenen Disziplinen.

Abonnieren
Benachrichtige mich bei
0 Kommentare
Inline Feedbacks
Alle Kommentare

Kategorien