Gastbeitrag über das Leiden der Tiere
Das Leiden der Tiere ist unermesslich. Wenn wir kochen und dafür Fleisch, Fisch und Eiern einkaufen, sollten wir an das Leiden denken und uns bewusst von Mitgefühl leiten lassen. Ein ethischer Appell von Autor Öser Bünker.
Vielleicht denken Sie, dass Sie selbst als Eeinzelner nicht viel tun können und einfach passiv bleiben. Doch diese Einstellung ist grundverkehrt. Gandhi drückt es so aus: „Sei du selbst die Veränderung, die du in der Welt sehen willst.“ Fangen Sie also bei sich an und warten Sie nicht darauf, dass andere etwas tun, bevor Sie etwas ändern.
Vollkommen leidfreie Nahrung gibt es nicht. Unser Essen ist immer mit dem Verlust von Leben verbunden. Wenn wir Fleisch und Fisch essen, so ist dies offensichtlich. Wenn das Fleisch der Tiere in den Läden schön präsentiert wird oder gar als appetitlicher Braten oder leckere Wurst auf dem Tisch steht, dann sehen und fühlen wir gewöhnlich nichts von den grausamen Qualen der fühlenden Wesen.
Die tierquälerische Intensivtierhaltung, die furchtbaren Tiertransporte und die blutigen Gemetzel der Schlachtungen sind nicht in unserem Geist gegenwärtig. Doch wenn wir Geist und Herz ganz öffnen, wird uns klar, dass wir durch unseren Konsum all diese Grausamkeiten indirekt in Auftrag geben.
Mitgefühl bei jedem Einkauf üben
Was können wir tun? Wir können bei jedem Einkauf auf dem Markt oder im Supermarkt an die Tiere denken. Wenn wir durch die Reihen gehen, wo die Fleisch- und Fischstände viele tote Tiere anbieten, können wir innehalten und uns das dort spürbare Leiden der Tiere und auch der Menschen, die sie ausgenutzt und getötet haben, vergegenwärtigen und uns von der Größe und Schwere des Leides wirklich berühren lassen.
Tun wir dies, so wird unsere Gleichgültigkeit erschüttert, und wir werden ganz von selbst offener und mitfühlender. Wir erkennen, dass wir uns in einer ziemlich heiklen Lage befinden, da wir bei jedem Essen für das Leid und den Tod vieler Wesen mitverantwortlich sind. Vielleicht sehen wir auch deutlicher als jemals zuvor, dass uns das Leid all dieser Wesen bisher überhaupt nicht interessiert hat, sondern es uns nur darum gegangen ist, unseren Hunger und unsere Gelüste zu befriedigen.
Kommerzieller Fischfang: Das Leid der Fische
Wir können uns ins Bewusstsein rufen: Jährlich werden ca. 80 Millionen Tonnen Fisch und Meerestiere von der globalen Fischindustrie gefangen. Ungefähr 38 Millionen Tonnen Meerestiere oder etwa 40 Prozent des jährlichen Weltfischfangs werden als Rückwurf oder sogenannter Beifang entsorgt. Die Zahlen beruhen auf Informationen von Animal Rights Watch (1).
Beifang – das sind Fische und andere Meerestiere, die ugewollt ins Netz gelangen, aber nicht Ziel des Fangs waren. Sage und schreibe 80 Prozent Beifang erzeugt die Jagd auf am Boden lebende Tiere wie Schollen, Seezungen oder Krabben.
Ungefähr 20 Millionen Tonnen „Beifang“-Fische werden zum Teil lebend verkocht und zu Fischmehl verarbeitet, das als „tierisches Fett“ in der Lebensmittelindustrie verwendet oder an Hühner, Schweine und Fische in Fischfarmen verfüttert wird. Wale, Delphine, Haie, Schildkröten, Seevögel und andere Tiere verfangen sich in den riesigen Netzen, die bis in eine Tiefe von 2.000 Metern erreichen.
Der kommerzielle Fischfang ist eine grausame Angelegenheit. Wenn die Fische in den Netzen an die Oberfläche gezogen werden, haben sie durch den schnellen Wechsel im Wasserdruck große Schmerzen, und nicht selten reißt ihre Schwimmblase. Sie ersticken qualvoll, werden von den Fängern zertreten und erschlagen. Den meisten wird auf den großen Fangschiffen noch lebend der Bauch aufgeschnitten oder sie werden bei lebendigem Leibe tiefgekühlt.
Die Hochsee-Fangflotten rotten durch Überfischung ganze Arten aus, und ihre kilometerlangen Schleppnetze verwüsten den Meeresboden. Die großen Arten wie Thunfisch, Schwertfische und Kabeljau sind in den letzten 50 Jahren um 90 Prozent dezimiert worden. Die Welternährungsorganisation FAO schätzt, dass die Fischbestände der Meere und Ozeane bereits zu 85 Prozent überfischt wurden oder schon ganz erschöpft sind.
Etwa die Hälfte der zum Verzehr angebotenen Süß- und Salzwasserfische kommen heute aus Aquakulturen. In den Fischfarmen werden die Fische auf allerengstem Raum gehalten. Diese Massenfischhaltung verursacht Unmengen an Exkrementen in den Gewässern und braucht große Mengen an Antibiotika. Sonst würden die Fische in dieser Enge nicht überleben.
In Südostasien und Lateinamerika wurden durch die Fisch- und Garnelenzucht bereits mehrere Millionen Hektar Mangrovenwälder vernichtet. Ungefähr 50 Prozent der Mangrovenwälder, die zu den wertvollsten Ökosystemen der Erde zählen und die Küstengebiete vor Erosion und gefährlichen Flutwellen schützen sollen, sind schon unwiederbringlich zerstört.
Das Leid der Landtiere
Auch das Leiden der Landtiere sollten wir uns vor Augen führen und Mitgefühl üben. Weltweit werden jährlich über zwei Milliarden Stall- und Weidetiere sowie über 20 Milliarden Hühner, Gänse, Enten, Puten geschlachtet. In Deutschland werden jedes Jahr etwa 36 Millionen Schweine und Rinder getötet, das sind 100. 000 Schweine und Rinder tagtäglich.
Diese Zahlen sind erschreckend, noch entsetzlicher sind die unermesslichen körperlichen und seelischen Leiden, die diese Tiere durchleben: in der heute verbreiteten Massentierhaltung, auf dem Transport zum Schlachthof und in den Schlachthäusern.
Früher aßen die Menschen gelegentlich mal ein Ei. Doch heute konsumiert der Mensch so viele Eier, dass allein in Deutschland jährlich ca. 45 Millionen Zuchthennen gehalten werden. Sie sind nur dafür bestimmt, Eier zu legen, und zwar 250 bis 300 pro Jahr. Ihnen wird nicht zugestanden, nach ihren angeborenen natürlichen Verhaltensweisen zu leben.
Für den Aufbau der Eierschalen wird Calcium gebraucht, und zwar eine so große Menge, die vom Futter kaum abgedeckt werden kann. Das hat für die Hennen verheerende gesundheitliche Folgen, weil ihr Körper dann den Knochen Calcium entzieht; das führt zu Knochenbrüchen, Osteoporose und Knochenverformungen.
Die Küken kommen in Brutkästen zur Welt. Sie werden nicht von ihrer Mutter ausgebrütet noch anschließend behütet und genährt. Spätestens einen Tag nach dem Schlüpfen in den Brutanlagen werden die Küken auf ein Fließband gesetzt und nach Geschlecht sortiert.
Da sich die männlichen Küken nicht als Legehennen eignen und auch nicht für die Mast vorgesehen sind, werden sie aussortiert und bei lebendigem Leibe von Schaumstoffnoppen zerquetscht, von schnell rotierenden Messern zerschreddert oder vergast. Etwa 45 Millionen männliche Küken enden so Jahr für Jahr und werden zu Hunde- und Katzenfutter, Tiermehl und Dünger verarbeitet oder einfach in die Mülltonne geworfen.
Die weiblichen Küken wandern in die Aufzuchtanlagen. Dort werden sie ungefähr 20 Wochen lang bei Dämmerlicht in Käfigen oder zu tausenden in riesigen Hallen gehalten. Viele überleben diese große Strapaze nicht.
In allen Haltungsformen endet das Leben der Hühner gleich: Nimmt die Legeleistung nach ca. 15 bis 18 Monaten ab, werden die ausgemergelten Hühner, die unter normalen Umständen 20 Jahre und älter werden, zum Schlachthof transportiert.
Der Naturforscher Alexander von Humboldt rief schon vor rund 200 Jahren ins Bewusstsein, wie viel mehr Menschen durch Ackerbau statt durch Viehwirtschaft ernährt werden könnten:
„Wo ein Jäger lebt, können zehn Hirten leben, hundert Ackerbauer und tausend Gärtner … Dieselbe Strecke des Landes, welche als Wiese, das heißt als Viehfutter, zehn Menschen durch das Fleisch der darauf gemästeten Tiere aus zweiter Hand ernährt, vermag – mit Hirse, Erbsen, Linsen und Gerste bebaut – hundert Menschen zu erhalten und zu ernähren.“
(1) Quellen: Material des Vereins ‚Animal Rights Watch e.V. (ARIWA)‘, das Buch ‚Vegetarisch leben‘ aus dem Govinda-Verlag, sowie ‚Green Dharma‘ von Georg und Brenda Feuerstein.
Auszüge aus: Öser Bünker, Der Yoga des Großen Mitgefühls, 2017 bei tao.de erschienen. Zusammengestellt von Michaela Doepke,
www.mahakarunayoga.de
Lama Öser Bünker, Autor, Meditations- und Yogalehrer. Er war Schüler von Zen-Meister Taisen Deshimaru Roshi, ab 1986 von Gendün Rinpoche.
Webseite: www.bodhisattva-training.de