Acht Missverständnisse über die Meditation
Ist Meditation eine Flucht aus dem Alltag? Ist meditieren gleichbedeutend mit nicht-denken? Ich will meditieren, aber woher nehme ich die Zeit? Michael Feike, 34, der mit 16 zu meditieren begann, beantwortet acht Fragen, die Sie sich vielleicht auch schon gestellt haben.
1. Ich kann nicht meditieren.
Immer wieder höre ich diesen Satz : „Ich hab´s versucht, aber ich kann einfach nicht meditieren.“ Und tatsächlich sind wir die meiste Zeit in einen ununterbrochenen, inneren Dialog verstrickt. Ein Durcheinander aus Sinneseindrücken, Gedanken und Emotionen beschäftigt uns restlos. Es fällt schwer, sich einfach hinzusetzen, zu entspannen und aufmerksam wahrzunehmen, was sich von Moment zu Moment ereignet.
Wohl kaum einer kommt auf die Welt und kann meditieren, aber jeder kann es lernen. Niemand würde erwarten, dass es möglich wäre, sich ans Klavier zu setzen und aus dem Stehgreif Chopin zu spielen, ohne das Klavierspielen gelernt zu haben. Genauso wenig wird Meditation auf Anhieb gelingen, aber auch hier gilt: Übung macht den Meister.
2. Man muss ins Kloster gehen, um meditieren zu lernen.
Innerhalb der Klostermauern herrschen gewissermaßen Laborbedingungen für Meditation. Hinderliche äußere Einflüsse werden dort auf ein Minimum reduziert. Im Grunde ist Meditation jedoch ein Vertraut-Werden mit dem eigenen Geist, d.h. einerseits mit der wachen, bewussten Kapazität „Aufmerksamkeit“, andererseits mit allem, was sich im Raum dieser Aufmerksamkeit bewegt, also Sinneswahrnehmung, Emotionen und Gedanken.
Dieses Vertraut-Werden kann sich überall ereignen, auf dem Kissen, im Büro oder im Straßenverkehr. Mit der Zeit werden äußere Umstände und innere Ereignisse wie emotionaler Aufruhr nicht mehr als störend empfunden, sondern lediglich wahrgenommen, ohne uns notgedrungen in Unruhe zu versetzen.
In der Meditation geht es also um unseren ureigenen Geist und um nichts anderes. Von diesem Geist sind wir niemals getrennt und müssen daher keinen bestimmten Ort aufsuchen, um mit ihm vertrauter zu werden.
Es wird uns jedoch helfen, zunächst einen Raum mit annähernden Laborbedingungen zu schaffen: etwa ein ungenütztes Zimmer im Haus oder eine Ecke im Schlafzimmer, die für die innere Arbeit reserviert ist. Anfangs wird es uns leichter fallen, aufmerksam zu sein, wenn die Kinder schlafen oder in der Schule sind und der Partner nicht nebenan staubsaugt oder fernsieht. Mit der Zeit wird uns die Übung der Meditation immer unabhängiger machen von äußeren Umständen und innerem Aufruhr.
3. Meditation ist nur was für Esoteriker.
Ich kenne den ein oder anderen „Esoteriker“ und kaum einer von denen meditiert regelmäßig. Meditation ist zunächst einmal unabhängig von Weltanschauung. Ich muss kein Buddhist oder New-Age-Anhänger sein, um zu meditieren. Meditation ist die Beschäftigung mit dem eigenen Bewusstsein und damit eine zutiefst menschliche Angelegenheit.
Meditation ist kein Dogma, kein metaphysisches Konzept, sondern schlicht eine Methode der Selbsterkenntnis, die uns erlaubt, Schritt für Schritt besser mit den Gegebenheiten klar zu kommen.
4. Ich habe keine Zeit für Meditation.
Wie viel Zeit verbringen wir täglich in sozialen Netzwerken oder vor dem Fernseher? Auch für den Körper nehmen wir uns Zeit. Wir waschen, ernähren , kleiden und schmücken ihn, sorgen für Bewegung und verwöhnen ihn auf sonstige Art. Einen kleinen Teil dieser Zeit könnten wir nun verwenden, um uns um unser Bewusstsein zu kümmern.
Ein Großteil unserer Schwierigkeiten resultiert aus Schläfrigkeit, Dumpfheit, daraus, dass wir bewusstlos und mechanisch emotionale Abläufe und alte Geschichten (gedankliche Abläufe) wiederholen und wieder und wieder auf die altbekannte Art wahrnehmen.
Meditation ist wie eine Neuformatierung. Wenn der Computer nicht mehr funktioniert, investieren wir viel Zeit, um ihn wieder zum Laufen zu bringen. Vielleicht wäre es angemessen, ein wenig Zeit auf das reibungslose Laufen unseres inneren Betriebssystems zu verwenden.
Wer mit dem Meditieren beginnen will, der sollte sich anfangs mit fünf Minuten täglich begnügen. Jeden Tag nur fünf Minuten – aber jeden Tag! Jeder hat täglich fünf Minuten Zeit dafür! Meditation sollte werden wie Zähneputzen. Wir stehen auf, putzen uns die Zähne und setzen uns danach fünf Minuten aufs Kissen. Das heißt, nur fünf Minuten früher aufstehen, um das zu tun, das ist für niemanden unmöglich und es wird mit der Zeit das Leben verändern.
Machen Sie nicht den Fehler, sich statt dieser täglichen fünf Minuten einmal die Woche für eine Stunde hinzusetzen; das bringt nichts und Sie werden wahrscheinlich nach einem Monat wieder aufhören damit.
Es wird helfen, jeden Tag zur gleichen Zeit zu sitzen. Der Geist ist ein Gewohnheitstier. Und wie ein bestimmter Ort uns helfen kann, so hilft auch ein bestimmter Zeitpunkt. Je mehr Übung wir haben, umso flexibler werden wir sein in Bezug auf Zeit und Ort. Natürlich können wir mit der Zeit die Meditationssitzung ausdehnen.
Und noch etwas: Wir sollten geduldig mit uns sein. Wir haben unseren Geist lange Zeit darin trainiert, sich in Gedanken, Emotionen und Sinneseindrücken zu verlieren. Diese zähen Gewohnheiten lassen sich nicht mit einem einfachen Drücken des Reset- Knopfes löschen, sondern wir müssen mit Beharrlichkeit neue, angemessenere Gewohnheiten etablieren. Meditation ist keine schnelle Methode, dafür aber garantiert wirksam (Menschen arbeiten seit Tausenden von Jahren damit).
5. Ich kann nicht in der richtigen Meditationshaltung sitzen.
Um erfolgreich zu meditieren, müssen wir die Beine nicht zu einem Lotussitz verknoten wie der Buddha. Egal, ob wir uns auf einem Kissen, einem Schemel oder Stuhl niederlassen, wichtig ist, dass wir aufrecht mit möglichst gerader Wirbelsäule und entspannt sitzen. Wir sollten eine Haltung finden, in der wir möglichst lange bequem verweilen können, ohne ständig herum zu zappeln.
Nach einer gewissen Zeit wird jede Haltung unbequem, aber auch hier gilt: Je länger wir üben, umso leichter wird es uns fallen, aufrecht und entspannt zu sitzen. Wir könnten auch mit gerader Wirbelsäule liegen oder stehen (es gibt z.B. verschiedene Arten der Geh- Meditation), aber im Liegen werden wir leicht schläfrig und ihm Stehen ist es zu anstrengend und wir können nicht entspannt verweilen. Es ist gut, ein wenig herumzuprobieren, bis man seine persönliche Meditationshaltung gefunden hat: aufrecht und entspannt.
6. Heißt Meditation Nicht-Denken?
Das ist der am weitesten verbreitete Irrtum über Meditation. Das Gehirn fabriziert Emotionen und Gedanken, so wie die Sonne Licht und Wärme ausstrahlt. Es geht nicht darum, dieses natürliche Geschehen zu unterdrücken. Das Problem beginnt da, wo wir derart fasziniert sind von unseren Sinneseindrücken, Emotionen und Geschichten, dass wir uns ganz und gar darin verlieren und ihnen eine Stabilität und Bedeutung zuschreiben, die sie in Wirklichkeit nicht besitzen.
Die Natur allen mentalen und emotionalen Geschehens ist flüchtig. Wahrnehmung, Gedanken, Gefühle entstehen und vergehen wie die Bläschen in einem Glas Mineralwasser. Sie haben keinen festen Kern und keine Bedeutung in sich. Es gibt also keinen Grund, sich über sie zu beunruhigen und sich von ihnen aus dem Gleichgewicht bringen zu lassen.
Lediglich aus einer fest etablierten Gewohnheit heraus schreiben wir ihnen Stabilität und Wichtigkeit zu. In Wirklichkeit sind sie wie Wolken, die durch den weiten Raum des Himmels ziehen, ohne diesen irgendwie zu beeinträchtigen. Bewusstsein ist offen und weit wie der Himmel und in diesem offenen Raum ereignet sich das freie Spiel der Wolken, erscheinen Gedanken und Gefühle und lösen sich wieder auf.
Es ist nicht das Ziel der Meditation, dieses Spiel zu unterbinden, sondern lediglich die Fixierung darauf zu lösen und uns in der offenen Weite wacher Aufmerksamkeit zu entspannen.
7. Meditation ist Flucht vor Alltagsproblemen.
Die alltäglichen Probleme sind ein Resultat von Schläfrigkeit, rigider Fixierung auf mechanische, gewohnheitsmäßige Abläufe. In der Meditation üben wir wach zu sein, gewohnheitsmäßige Tendenzen zu entlarven und die Fixierung aufzulösen.
Meditation ist also mitnichten eine Alltagsflucht, keine Insel fern des Lebens, sonder eine Art Schwimmkurs, in dem wir lernen, uns im andauernd fließenden, wilden Auf und Ab des Lebens elegant und geschmeidig zu bewegen, ohne unter zu gehen.
8. Meditation macht glücklich.
Es geht in der Meditation nicht darum, irgendwelche Zustände zu erreichen und zu fixieren. Im Gegenteil! Solche vermeintlich stabilen Zustände sind wie Brackgewässer, sie sind Ausdruck von Stagnation. Egal, ob Glück, Ekstase, Trauer, Angst – das Leben ist ständige Veränderung. In der Meditation üben wir, uns dem Leben entsprechend zu bewegen, d.h. wir gehen mit den Gegebenheiten und versuchen nicht einen bestimmten Zustand zu stabilisieren.
Meditation macht uns freier und freier, Schritt für Schritt. Nicht frei von Schmerz, sondern vom Leiden am Schmerz. Meditation macht also nicht glücklich, sondern sie macht uns unabhängiger vom Auf und Ab des Lebens, von Glück und Leid.
Michael Feike, geboren 1980, freier Autor und Vater von zwei Kindern, stieß bereits als Zwölfjähriger auf den Buddhismus. Mit 16 begann er regelmäßig zu meditieren. Intensive Auseinandersetzung mit Zen und Tibetischem Buddhismus sowie mit diversen anderen spirituellen Systemen.