Meditation verbessert Lebensqualität im Alter

Angeles Nassar
Angeles Nassar

Ein Beitrag von Matthieu Ricard

Meditation wirkt positiv auf Körper und Geist. Kann sie auch den kognitiven Abbau bei älteren Menschen aufhalten? Der buddhistische Mönch Matthieu Ricard verfügt über intensive Meditationserfahrungen. Er schreibt über die Möglichkeiten, mit Meditation die Lebensqualität auch im Alter zu verbessern und eine neuere, ermutigende Studie zu Meditation und Alzheimer-Prävention.


Menschen haben die Möglichkeit, ihren Körper gesund zu halten, auch im Alter. Kann man in ähnlicher Weise die Alterung des Gehirns und den kognitiven Verfall aufhalten? Wissenschaftliche Studien haben die Auswirkungen von Meditation auf das alternde Gehirn untersucht.

Zahlreiche Studien konnten in den letzten Jahrzehnten zeigen, dass die Meditationspraxis sich unmittelbar auf die Hirnaktivität auswirkt, langfristig sogar auf die Struktur des Gehirns selbst. (1) Dank der Neuroplastizität, also den Mechanismen des Gehirns selbst, haben Menschen die Fähigkeit, sich zu verändern.

Dies geschieht durch Prozesse der Neurogenese, die auf natürliche Weise schon im Mutterleib beginnen, aber auch durch Trainings gefördert werden können. Das Gehirn ist in der Lage, neuronale Netze und Verbindungen zu schaffen, rückgängig zu machen oder neu zu organisieren. Neuroplastizität geschieht ein Leben lang.

Aber welche Auswirkungen hat die Meditationspraxis auf das Gehirn älterer Menschen, die besonders anfällig für kognitiven Abbau sind?

Der kognitive Rückgang tritt häufig gegen Ende des Lebens auf; es ist ein natürlicher Prozess. Nach dem 40. Lebensjahr beginnt das menschliche Gehirn, langsam bestimmte Fähigkeiten zu verlieren und strukturell zu altern.

Diese Veränderungen können durch bestimmte Lebensumstände beschleunigt werden, etwa wenn geliebte Menschen sterben oder ein Mensch sich einsam fühlt. Auch Schlafstörungen nehmen exponentiell zu und betreffen rund die Hälfte der über 65-Jährigen, ebenso wie neurodegenerative Erkrankungen wie Alzheimer.

Geistestraining fördert die Selbststeuerung

Diese pathologischen Prozesse, die Stress und Angst auslösen, beeinträchtigen die Lebensqualität und die Gesundheit älterer Menschen erheblich. Die Älteren neigen zum Grübeln und sind häufig Opfer depressiver Syndrome. Der Neurowissenschaftler Wolf Singer schreibt darüber:

“Wenn wir den Prozess des Grübelns beobachten, können wir leicht erkennen, in welchem Maße er einen Störfaktor darstellt. Wir müssen uns also von diesen mentalen Kettenreaktionen befreien, die wir durch das Grübeln aufrechterhalten. Wir müssen lernen, die Gedanken entstehen und vergehen zu lassen, wenn sie auftauchen, anstatt sie unseren Geist beherrschen zu lassen. “(2)

Diese Fähigkeit, Gedanken entstehen und vergehen zu lassen, kann durch Training entwickelt werden. Wer Achtsamkeit übt, kann sich von bestimmten Faktoren befreien, die mit dem kognitiven Altern verbunden sind. Auch kann die Praxis dazu beitragen, altersbedingte degenerative Krankheiten zu verhindern oder zu verlangsamen.

Entgegen landläufiger Vorstellungen ist Meditation eine bewusste und aktive Praxis. Im Laufe der Zeit, durch Übungen und Ausdauer, formt die Meditation den Geist, und die Übenden entwickeln die Fähigkeit zu Selbststeuerung, Unterscheidungsvermögen und klarem Verstand.

Mehr Lebensqualität durch Schulung des Geistes

Normalerweise verbringen wir viel Zeit damit, die äußeren Bedingungen unseres Lebens zu verbessern. Letztendlich aber ist es der Geist, der unsere Erfahrung der Welt erschafft und sie in Wohlbefinden oder Leiden umsetzt.

Wer in der Lage ist, bewusst auf die Art und Weise einzuwirken, wie er die Dinge wahrnimmt, kann seine Lebensqualität verbessern. Diese Art der Veränderung wird durch die Schulung des Geistes erreicht. Dazu gehört die Meditation, wobei diese Praxis sich nicht auf die Aufmerksamkeit oder das, was allgemein als Achtsamkeit bezeichnet wird, beschränkt. Noch einmal Singer:

“Die meisten unserer angeborenen Fähigkeiten schlummern, es sei denn, wir tun etwas, wie z. B. den Geist zu trainieren, damit sie optimal funktionieren. Durch einen empirischen Ansatz und einen gut geschulten Geist haben die Kontemplativen effiziente Methoden gefunden, um Emotionen, Stimmungen und Charaktereigenschaften allmählich zu verändern und tief verwurzelte atavistische Tendenzen, die einer optimalen Lebensweise im Wege stehen, zu schwächen. Dadurch wird die Qualität unseres Lebens in jedem Augenblick verändert, indem grundlegende menschliche Eigenschaften wie Freundlichkeit, Freiheit, Frieden und innere Kraft gestärkt werden ” (3)

Mehr graue Substanz im Gehirn von Meditierenden

Die Entwicklung des geistigen Potenzials durch Übung, vor allem über eine längere Zeit hinweg, verbessert sowohl die körperliche als auch die kognitive Gesundheit. Wissenschaftliche Studien zeigen, dass die Übung der Meditation die geistige Gesundheit und das Wohlbefinden älterer Menschen verbessern kann.

Eine Studie von Dr. Gaëlle Chételat am INSERM (Französisches Nationales Institut für Gesundheit und medizinische Forschung) bewertet – mit noch vorläufigen Ergebnissen – die Auswirkungen meditativer Praxis für die Prävention der Alzheimer-Krankheit. (4)

Mit Hilfe medizinischer Bildgebung untersuchte Gaëlle Chételat das Gehirn von 259 Seniorinnen und Senioren. 67 von ihnen hatten noch nie meditiert; sechs Teilnehmer hatten zwischen 15.000 und 30.000 Stunden Meditation über Achtsamkeit, Wohlwollen und andere Eigenschaften geübt.

Betrachtet man nun das Volumen der grauen Substanz im Gehirn der Patienten, so findet man die größte Menge bei den sechs Personen, die regelmäßig meditierten. Insbesondere die Hirnregionen, die für die Aufmerksamkeit und die Regulierung von Emotionen zuständig sind, weisen einen wesentlich höheren Stoffwechsel auf als die der anderen Probanden.

Auch wenn die Wissenschaftler jetzt noch keine allgemeinen Schlussfolgerungen daraus ziehen können, scheint es, dass das Gehirn von Langzeitmeditierenden im Durchschnitt strukturell und metabolisch 10 bis 15 Jahre jünger ist als das von gleichaltrigen Probanden.

Meditation könnte somit ein Weg sein, der Zellalterung entgegenzuwirken und den kognitiven Verfall aufzuhalten. So wie wir unsere körperlichen Fähigkeiten durch Bewegung aufrechterhalten, muss auch der Geist ständig trainiert werden. Dies geschieht zum Beispiel, indem wir eine aufmerksame und freundliche Präsenz gegenüber der Welt kultivieren.

Richtig ausgeführt, vereint die Meditationspraxis Körper und Geist, unterstützt die Gesundheit und fördert ein Gefühl der Fülle.

Dr. Matthieu Ricard, 1946 in Frankreich geboren, ist promovierter Molekularbiologe. 1979 wurde er als buddhistischer Mönch ordiniert und lebt heute im Kloster Shechen in Nepal. Er ist Übersetzer des Dalai Lama und Autor zahlreicher Bücher. Er engagiert sich für Meditationsforschung in den Neurowissenschaftenen sowie den Dialog von kontemplativen Traditionen und modernen Wissenschaften.

Anmerkungen

(1) Peter Sedlymayer. Die Kraft der Meditation und was die Wissenschaft darüber weiß. Rowohlt 2016

(2) Wolf Singer, Matthieu Ricard. Cerveau et Méditation, Allary, Neuauflage in französischer Sprache 2017, Kapitel 1

(dt Hirnforschung und Meditation: Ein Dialog, Suhrkamp 2008)

(3) Ebd.

(4) Chételat, G., Mézenge, F., Tomadesso, C., Landeau, B., Arenaza-Urquijo, E., Rauchs, G., André, C., Flores, R. de, Egret, S., Gonneaud, J., Poisnel, G., Chocat, A., Quillard, A., Desgranges, B., Bloch, J.-G., Ricard, M., & Lutz, A. (2017). Reduced age-associated brain changes in expert meditators: A multimodal neuroimaging pilot study. Scientific Reports, 7(1), 10160. https://doi.org/10.1038/s41598-017-07764-x

 

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