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Mehr Distanz am Arbeitsplatz?

Sprenger ohne

Neues Buch des Managementberaters Reinhard K. Sprenger

Mitarbeiterbefragungen, Empathie und Gesundheitsförderung – für Reinhard K. Sprenger sind dies Übergriffe von Arbeitgebern. Die Frauenquote ist ihm ein Dorn im Auge. In seinem neuen Buch „Anstand“ plädiert der Provokateur für „mehr Distanz“ am Arbeitsplatz.

Reinhard Sprenger, Jahrgang 1953, ist ein bekannter Managementberater. Er widmet sich in seinem neuesten Buch dem Thema Anstand. Ausgangspunkt der Analyse ist seine Beobachtung, dass sich Unternehmen durch ihre Mitarbeiterführung zudringlich und übergriffig verhielten. Gefordert werde heutzutage, dass sich Mitarbeiter mit Haut und Haaren dem Unternehmen verschrieben. Daher benötigten alle „Anstand durch mehr Abstand.“ Dies wird im Verlauf des Buches erklärt.
Doch zu Beginn erörtert der Autor auf einigen Seiten, was er unter Ethik versteht und was für das Verständnis des Buches wichtig ist: Für ihn zählt nur das Ergebnis, die Intentionen ist irrelevant. Folglich wundert es nicht, dass Sprenger sich – in Anlehnung an Max Weber – zur „Verantwortungsethik “ bekennt und die „Gesinnungsethik“ ablehnt; er unterstellt dieser, dass einem Gesinnungsethiker „gleichgültig ist, was faktisch passiert – Hauptsache, er muss sich nicht die Hände schmutzig machen.“

Was zu tun und was zu lassen ist

In Hauptteil des Buches entwickelt Sprenger fünf Prinzipien, die anständige Unternehmen seiner Meinung nach befolgen sollen: Mitarbeiter nicht als bloße Mittel betrachten, sie nicht wie Kinder behandeln, Menschen nicht zu verbessern versuchen, nicht die Autonomie der Mitarbeiter verletzen und nichts als alternativlos bezeichnen.
Er zählt dann 24 gängige Managementpraktiken auf, die er als verfehlt bezeichnet. Ein anständiges Unternehmen sollte z.B. keine Boni zahlen oder andere finanzielle Anreize geben. Pädagogisierende, psychologisierende und feminisierende (Männern führen mit weiblichem Führungsstil) Maßnahmen seien zu unterlassen, weil den Mitarbeitern damit ein Defizit unterstellt werde.
Transparenz sei nur zu gewähren, wo es gesetzlich gefordert ist, weil das Geheimnis ein wichtiges Merkmal menschlichen Fortschritts sei. Auf Gesundheitsförderung solle verzichtet werden, weil sie „Verlust unserer Datensouveränität, Erosion unserer Privatsphäre, Konformität, Schwächung der Selbstverantwortung für unsere Gesundheit“ mit sich bringe. Und dann noch: „Das anständige Unternehmen verzichtet auf unbefristete Arbeitsverträge.“
Sein extremes Denken zeigt sich besonders deutlich am Thema Frauenquote. Obwohl er gerne mehr Frauen in Führungsposten sehen möchte, lehnt er die Frauenquote ab, denn diese sei nur gewünscht von – O-Ton Sprenger: „feministischen Aktivisten, kinderlosen Frauen ab 45 und ambitionierten Frauen im mittleren Management, die ihr Geschlecht für einen etwaigen Karriereknick verantwortlich machen. Das Zurückbleiben hinter den eigenen Ambitionen schiebt man ja gerne anderen in die Schuhe.“
Seine teilweise hemdsärmelige Sprache verrät schon, dass Sprenger für eine „negative Ethik“ plädiert, die er im 3. Teil erörtert. Seine Empfehlung: das definieren, was wir nicht wollen wie bei den Zehn Geboten, die weitgehend als Verbote formuliert sind.
Einen Mittelweg findet Sprenger nur selten. Was wäre dagegen einzuwenden, wenn ein Unternehmen, in dem viel am Schreibtisch gearbeitet wird, Rückengymnastik anbietet? Erst wenn die Mitarbeiter zur Teilnahme verpflichten würden, wäre es als übergriffig einzustufen.

Ein Mann, der weiß, wo es langgeht

Aus den Zitaten und eigenen Bekenntnissen („Ich hielt es immer für töricht, das eigene Selbst aufklären zu wollen. Ich wollte ihm nicht einmal begegnen – ich hätte, offen gesagt, Angst davor.“) lässt sich sein negatives Menschenbild erkennen, das eben auch die Betrachtungen zum Thema Unternehmenskultur färbt.
Sprenger zählt eine Vielzahl von Praktiken in Betrieben auf, die ihn verärgern, u.a. die Frauenquote. Es ist sein gutes Recht, seine Meinung dazu zu äußern. Die von Sprenger kritisierten Firmen wie z.B. BASF sind jedoch erfolgreich, sogar in Krisenzeiten. Von der Erfolgsseite kann man keinen Missstand ableiten, da bietet sich der Rückgriff auf den Anstand als moralische Keule an. Dieser Schwenk ist jedoch nicht akzeptabel, weil er nur notdürftig mit Begründungen versehen ist.
Man wird den Eindruck nicht los, dass Sprenger in seiner eigenen Welt lebt – mit festen Überzeugungen, Meinungen und Sichtweisen. Der Mann weiß, wo es lang geht und möchte dies den Lesern zeigen.
Das Buch hat auch weise Momente, etwa wenn der Autor durchblicken lässt, dass es eigentlich auf die Balance ankommt. Im Kapitel zur „Alternativlosigkeit“ gibt es differenzierte Betrachtungen, etwa die Kritik an dem Gebrauch von Wertschätzung im Arbeitskontext .
Vielleicht sind Sprengers eindimensionales Denken und die überspitzte Sprache nötig, um den Leser aus seinen lieb gewonnenen Harmonie- und Konsensvorstellungen zu wecken. Und natürlich provoziert Sprenger auch, damit wir uns Fragen stellen: Was brauchen wir in einem „anständigen“ Unternehmen? Und wie können wir die große Macht, die die Arbeitswelt auf uns ausübt, besser ausbalancieren?
Insgesamt ist das Buch von einer selektiven Wahrnehmung der Probleme in unserer Gesellschaft geprägt, die neuere Forschungsergebnisse von Psychologie und Neurowissenschaften weitgehend ignoriert und vor allem auf den persönlichen Erfahrungen des Autors basiert. Die Frage ist, ob diese verallgemeinerbar sind, denn das wäre ja der Anspruch, den ein Buch mit dem Titel „Anstand“ haben müsste.
Michael Freiberg

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