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Mit Klagen gegen das Nichtstun im Klimaschutz

© Gordon Welters
© Gordon Welters

Interview mit der Anwältin Roda Verheyen

Rechtliche Klagen gegen Konzerne und Regierungen sind eine Möglichkeit, etwas für den Schutz des Klimas zu bewirken. Die Anwältin Dr. Roda Verheyen hat sich auf Umweltklagen spezialisiert. Sie spricht im Interview über ihre Arbeit, ihr Geduld und Engagement.

Roda Verheyen ist Anwältin und legt sich mit den ganz Großen an. Sie hat zusammen mit Greenpeace die deutsche Regierung verklagt, weil sie sich nicht an ihre Klimaschutzziele aus dem Koalitionsvertrag hält. 40 Prozent der CO2-Emmissionen sollten bis 2020 im Vergleich zu 1990 eingespart werden. Drei Familien, alles Landwirte, haben sich der Klage angeschlossen, weil sie von den Folgen des Klimawandels direkt betroffen sind.

In einem weiteren laufenden Verfahren vertritt Verheyen, die auf Klagen von Bürgerinitiativen spezialisiert ist, den peruanischen Bauern Saúl Luciano Lliuya gegen den Energiekonzern RWE. Sein Haus droht in einem Stausee zu versinken, weil der Wasserspiegel seit Jahren durch die Gletscherschmelze in den Anden ansteigt.

Er fordert, dass RWE 0,47 Prozent der Kosten für Schutzmaßnahmen gegen Schlammlawinen und Überflutungen in seinem Dorf übernimmt. RWE emittiert weltweit genau diesen Anteil an schädlichen Treibhausgasen und soll für die Folgen nun vor Ort in Peru gerade stehen. In diesem Fall soll erstmals festgestellt werden, ob ein Unternehmen die Verantwortung für die individuellen Folgen der Klimaveränderung übernehmen muss.

Das Sabin Center for Climate Change Law führt eine ständig aktualisierte Liste aller laufenden und abgeschlossenen Klimaklagen weltweit. Diese beeindruckende Datenbank (climatecasechart.com) führt beispielsweise auch den für den pakistanischen Bauern Asghar Legari erfolgreich abgeschlossenen Fall gegen die pakistanische Regierung auf.

Legari hatte 2015 gegen seine Regierung geklagt, weil die Grundrechte auf Leben und Würde mit der ausbleibenden Umsetzung der Klimapolitik von 2012 nicht gewährleistet sei. Das Gericht ordnete die Erstellung von Aktionspunkten und deren Überwachung durch eine unabhängige Kommission an, um die Klimaziele zukünftig zu erreichen.

Ein anderes Beispiel: Ende 2018 erging in den Niederlanden auch in zweiter Instanz ein Urteil, dass die Umweltschutzstiftung Urgenda erwirkte und der niederländischen Regierung eine Erhöhung ihrer Klimaschutzziele anordnete. In Deutschland sind solche Verfahren langwierig und bisher noch nicht abgeschlossen worden. Wir haben uns mit Roda Verheyen über ihre Arbeit unterhalten.

 

Von der Umweltaktivistin zur Anwältin

Das Interview führte Stefan Ringstorff

Frage: Frau Verheyen, Sie waren viele Jahre Umweltaktivistin. Wie sind Sie zur Anwältin geworden?

Verheyen: Das Engagement für den Umweltschutz begleitet mich schon seit Schulzeiten. In der Vergangenheit gab es immer wieder auch andere Möglichkeiten. Als ich vor der Frage stand, was ich studieren will, hätte es auch Politikwissenschaft oder Volkswirtschaftslehre werden können. Dann wäre ich wahrscheinlich Journalistin geworden.

Ich habe dann aber vor dieser Entscheidung ein Praktikum im Beratungsunternehmen Ökopol absolviert. Dort werden wissenschaftliche und politische Strategien zur ökologischen Zukunftsgestaltung erarbeitet. Der Bereich Umweltrecht hat mich so gepackt, dass ich nur deswegen Jura studiert habe.

Nach dem Examen hätte ich auch in eine große Wirtschaftskanzlei gehen oder die Richterlaufbahn einschlagen können. Aber das konnte ich mir nicht vorstellen. Ich wollte gern meine Freiheit, und die Möglichkeit für meine Überzeugen offen zu streiten. Jetzt mache ich beruflich genau das, was ich will.

Sie arbeiten seit 2006 für eine Hamburger Kanzlei. Hat sich dieser Wunsch nach größtmöglicher Freiheit denn beruflich verwirklicht? Können Sie sich Ihre Fälle aussuchen?

Verheyen: Ich muss selbstverständlich auch von irgendetwas leben. Nur pro bono kann ich nicht arbeiten. Die Klimaschutzklagen sind nur ein Teil meiner Arbeit. Als Anwältinnen arbeiten wir phasenweise intensiv an einer Sache und dann wieder weniger. Bei der laufenden Klimaklage in Deutschland etwa müssen wir jetzt warten, bis wir Akteneinsicht erhalten. Erst dann kann es weitergehen.

Wir beraten hier in Kanzlei viele Nicht-Regierungsorganisationen. Ich selbst berate oft Greenpeace und Germanwatch, aber auch Gemeinden. Daneben gibt es viele Bürgerinitiativen, die auf mich zu kommen. Thematisch betreue ich auch Straßenbauprojekte. Und ich berate Landwirte, egal ob Biolandbau oder konventioneller Anbau. Hier kenne ich mich aus und fühle mich sicher. Und hier schließt sich auch die Klammer zu den Klimaklagen, denn ich weiß beispielsweise, warum die Klägerfamilie Backsen auf Pellworm als Landwirte vom Klimawandel betroffen sind.

„Ich bin ein positiv denkender Mensch“

Verstehen Sie Ihre Arbeit als einen Beitrag zum Klimaschutz?

Verheyen: Alle, die in unsere Kanzlei tätig sind, verbindet eine gemeinsame weltanschauliche Sicht. Wir sind überzeugt von dem, was wir hier tun und wofür wir einstehen.

Bewegt Sie die Frage, wer die Verantwortung für die Folgen des Klimawandels trägt. Ist das eine Motivation für ihr berufliches Handeln?

Verheyen: Nur indirekt. Mich bewegt vielmehr die Frage, wie wir zu einem verantwortlichen Klimaschutz kommen. Die Frage nach der Verantwortung ist dabei nur ein Umweg. Mit einem wirksamen Klimaschutz ist allen Menschen gedient. Und hier besteht dringender Handlungsbedarf, denn wir haben im Kampf gegen die Erderwärmung schon 30 Jahre verloren. In vielen Bereichen müssen wir dringend umsteuern. Es müsste doch allen klar sein, dass wir auf einem kaputten Planeten kein Geld verdienen können.

Wachen Sie manchmal morgens auf und denken „alles viel zu spät“, wir haben den point of no return längst erreicht?

Verheyen: Ja natürlich bin ich manchmal verzagt. Aber ich bin ein positiv denkender Mensch. Ich glaube nicht, dass es schon zu spät ist. Zwar sind wir an einem Punkt, wo wir nicht allen Schäden ausweichen können. Aber wenn ich mir die Negativspirale ständig vor Augen führe, dann verliere ich die Kraft, um zu handeln.

Klagen haben bereits Umweltzerstörung verhindert

Erleben Sie denn bei Ihren Mandanten so etwas wie Wut und Verzweiflung?

Verheyen: Das ist unterschiedlich. Saúl Luciano Lliuya, den ich in der Klage gegen RWE vertrete, hat ein sehr spirituelles Umweltverständnis. Bei ihm spüre ich nie Wut. Er ist da sehr friedfertig.

Wenn ich dagegen die Landwirte betrachte, die sich der Klage gegen die Bundesregierung angeschlossen haben, dann ist da auch Wut. Sie sind vor allem wütend, weil sie mit ihren Warnungen nicht Ernst genommen werden – egal, um welches Thema es geht, ob die Folgen des Klimawandels oder den Nitratgehalt im Grundwasser. Die Landwirte sind direkt mit den Folgen von Langzeitveränderungen konfrontiert. Für mich, die am Schreibtisch sitze, sind diese Begegnungen ein wichtiger Abgleich mit der Praxis.

Fühlen sich Menschen durch ihre Arbeit bedroht? Gibt es Anfeindungen oder scharfe Reaktionen gegen Sie?

Verheyen: Nein, das habe ich glücklicherweise noch nie erlebt. Ich bin froh und dankbar für die Möglichkeiten in unserem Rechtsstaat und auch überzeugte Europäerin. Wir sind international im Klimaschutzrecht gut vernetzt im Netzwerk Climate Justice Programme, das ich 2002 mitgegründet habe. Hier beraten sich Juristen aus aller Welt gegenseitig, wenn sie Klimaklagen führen wollen.

Dadurch und auch durch das Netzwerk E-Law (Environmental Lawyers Worldwide) höre ich von vielen Fällen staatlicher Gängelung bis hin zu Repression durch Gegner, etwa in Südafrika, Kenia, Indien, Venezuela, Costa Rica oder anderen Ländern. Hier gehen der Staat oder große Unternehmen gegen anwaltliches Engagement und Klagen gegen Großprojekte wie Pipelines vor. Der demokratische Spielraum wird hier kleiner.

Andererseits laufen aktuell Verfahren in Pakistan und in Indien. In der Türkei sind große Projekte wie Kohleabbaugebiete, Kraftwerke und große Infrastrukturmaßnahmen durch Klagen von lokalen Initiativen verhindert worden. Die internationale Vernetzung ist sehr gutund es ist erstaunlich, wie viel erreicht wird – leider findet sich das nicht immer in den Medien wieder.

Welche Themen werden zukünftig Ihre Arbeit bestimmen?

Verheyen: Der Klimawandel bleibt eine riesengroße Verantwortung. Aus ökologischer Sicht müssen wir auch generell Ressourcen sparen, doch das ist ein sehr weiter Weg. Im Bereich Mobilität liegen die größten Herausforderungen vor uns. Der gesamte Umbau des Verkehrssektors steht an. Ich merke das schon an meiner Arbeit mit den Bürgerinitiativen. Ich erwarte eine Konzentration auf die Themen Verkehr, Landwirtschaft und Unternehmensverantwortung.

 

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Mit Referenten aus verschiedenen Disziplinen.

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