Neues Buch über einen Austausch von Wirtschaftsexperten und Neurowissenschaftlern
Entgegen den gängigen Vorstellungen in den Wirtschaftswissenschaftler ist nun klar: Kein Mensch handelt nur selbstsüchtig und rational. In dem neuen Buch, herausgegeben von Matthieu Ricard und Tania Singer, stellen führende Forscher Denkanstöße für eine Wirtschaft vor, die sich um den Menschen kümmert.
Seit Ende der 80er Jahre gibt es die Mind & Life-Konfrenezen, auf denen sich Forscher und Experten mit Vertretern kontemplativer Traditionen zum interdisziplinären Austausch treffen. Der Band “Mitgefühl in der Wirtschaft” protokolliert die Mind & Life-Gespräche, zu denen die deutsche Neurowissenschaftlerin Tania Singer und der französischstämmige buddhistische Mönch Matthieu Ricard 2010 nach Zürich eingeladen hatten. Forscher mit internationalem Ruf und prominente Wirtschaftsvertreter kamen zum Diskurs zusammen, an dem sich auch der Dalai Lama beteiligte.
Das Projekt stieß zunächst auf Skepsis bei den Wissenschaftlern: War es überhaupt möglich, Forscher, die sich mit den Bedingungen für Altruismus, Mitgefühl und prosozialem Verhalten befassten, mit Vertretern einer Wirtschaft ins Gespräch zu bringen, deren Denken von Zahlen, Wettbewerb und egoistischem Verhalten bestimmt zu sein scheint?
Die Initiatoren wiesen auf wichtige Gemeinsamkeiten hin: Beide Systeme sollen dazu beitragen, „dass Menschen glücklicher sind und Gesellschaften florieren“. Sie fragten also: Wie können wirtschaftliche Handlungsweisen und Wirtschaftssysteme so gestaltet werden, dass sowohl materieller Wohlstand als auch menschliches Wohlbefinden daraus resultieren?
Die Experten übersetzten die Frage in ihre jeweiligen Disziplinen: Im ersten Teil fragten sie nach den biologischen und psychologischen Rahmenbedingungen und Spielräumen. Sind prosoziales Verhalten und Altruismus in der menschlichen Natur angelegt und können sie gelernt und trainiert werden?
Die Antworten sind durchweg ermutigend: Die Neurowissenschaftler Tania Singer und Richard Davidson zeigen zum Beispiel, dass Meditation und Mitgefühlsübung spezifische Netzwerke im Gehirn und Hormonsysteme aktivieren, die mit prosozialem Verhalten korrelieren. Mitgefühl ist also lernbar und verändert die Gehirnstruktur, das Erleben und Verhalten.
Im zweiten Teil wird die Frage aus wirtschaftswissenschaftlicher Perspektive untersucht. Hier wird das klassische Modell des Homo oeconomicus kritisch hinterfragt, bzw. neu skizziert. So stellt der renommierte Mikroökonom Ernst Fehr die ökonomische Grundannahme in Frage, dass nur Eigennutz den Menschen motiviere. Im Vertrauensexperiment stellt er die herausragende Bedeutung von Verantwortlichkeit ind Fairness dar.
Der dritte Teil leitet von der Theorie in die Praxis über und zeigt, wie die gefundenen Erkenntnisse umgesetzt und in der Praxis angewendet werden können. Wie eine Vermögensmanagementgesellschaft zum Beispiel soziale und ökologische Unternehmen fördern kann, erklärt die ehemalige Vorsitzende der Schweizer Börse, Antoinette Hunziker-Ebneter.
In jedem Abschnitt des Buches finden sich Beiträge, die den Zündstoff haben, gängige Überzeugungen des wissenschaftlichen Mainstreams in Frage zu stellen. Der eingeleitete Diskurs könnte eine hohe Praxisrelevanz gewinnen, weil neue Handlungsmöglichkeiten skizziert werden, prosoziales Verhalten anzustoßen und zu begünstigen. Deshalb ist dem Band eine breite Leserschaft von Wissenschaftlern und Praktikern zu wünschen.
Schade, dass der Untertitel „ein bahnbrechender Forschungsbericht“ auf die seriösen Leser eher populärwissenschaftlich, fast sogar abschreckend wirken muss. Schade auch, dass die einzelnen Kapitel in Form eines Hofprotokolls mit vielen wortreichen Ehrbezeugungen gegenüber „Seiner Heiligkeit dem Dalai Lama“ aufgemacht sind. Auch das dürfte dem eigentlichen Ansinnen, eine weltliche universelle Ethik zu entwickeln, entgegenwirken.
Conni Eybisch-Klimpel
Matthieu Ricard, Tania Singer. Mitgfühl in der Wirtschaft. Ein bahnbrechender Forschungsbericht. Albrecht Knaus Verlag 2015