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Mitgefühl im Dreisatz

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Über das Buch „Gutes besser tun“

Der Philosoph MacAskill fragt sich in seinem Buch „Gutes besser tun“, wie man effektiv altruistisch sein kann und rechnet dies in zahllosen Beispiele vor. Anja Oeck stellt das Werk vor und kritisiert: In zwischenmenschlichen Beziehungen kommt es auf Empathie und Mitgefühl an und nicht aufs Kalkulieren und Rechnen.

 

Leistung, Effizienz, Schnelligkeit – der Effizienzgedanke ist so weit verbreitet und für viele so verlockend, dass es nicht erstaunt, wenn er nun auch Einzug in zwischenmenschliche Beziehungen hält. Mitgefühl im Dreisatz, so könnte man Mac Askills Buch „Gutes besser tun. Wie wir mit effektivem Altruismus die Welt verändern können“ zusammenfassen. Es geht um Helfen nach der Berechnung von Effektivität und Wahrscheinlichkeiten, nach dem Durchkalkulieren von Erfolg und dem Studium von Statistiken.

Wirtschaftswissenschaftler befragt William MacAskill mit Vorliebe. Der Philosoph scheint sich auch zuzutrauen, ultimativ sagen zu können, was das Beste ist. Er gründet sein Buch auf der Prämisse, dass es das höchste Gut auf dieser Welt sei, Menschenleben zu retten. Und dann geht die Rechnerei los. Es wird mit Quotienten und Lebenserwartung jongliert. Plausible Gedankengänge für strategische Entscheidungen werden immer weiter verfeinert. Unzählige Beispiele mit Erwägungen, die fast jeder von uns bereits einmal angestellt hat, der sich damit beschäftigt hat, ob und wem er spenden soll:

Ist es besser, nein, effektiver (d.h. besser angelegtes Geld), einem Mädchen in Indien einen Schulaufenthalt zu finanzieren, eine Organisation zu unterstützen, die Bücher zur Verfügung stellt, eine, die Schuluniformen kauft, oder eine, die Entwurmungskuren in betroffenen Gebieten finanziert? Nach vorgeschaltetem Kalkül aller relevanten Faktoren und dem Beweis nach praktischen Erfahrungen, d.h. Tests am Fallbeispiel, fällt die Antwort: Die Entwurmung führt dazu, dass am meisten Kinder hinterher am Unterricht teilnehmen können. Was natürlich wieder mit einem statistischen Wert belegt wird.

Wem danach die Lust zu helfen vergangen ist, dem geht es so wie mir. Was ist mit Qualitäten wie Empathie, Mitgefühl für eine leidende Seele? Was ist mit einfachem Dasein, der Präsenz, dem größten Geschenk, das wir uns untereinander machen können? Und woher wissen wir eigentlich, was das Beste ist?

Verdienen, um zu geben

Wer es noch nicht gemerkt haben sollte, in diesem Buch wimmelt es von Daten, Quotienten, Berechnungen, Wahrscheinlichkeitserwägungen für fast jede Lebenslage. Hinterher können Sie sich ausrechnen, wie wahrscheinlich es ist, dass es für Sie sinnvoll ist zur Wahl zu gehen, Sie können Ihre Berufswahl überdenken und doch noch mal Banker werden, um danach das erwirtschaftete Geld zum Wohle der Welt zu spenden.

Sie können ausrechnen, um wie viel eher Sie sterben, wenn Sie jetzt diese eine Zigarette rauchen. Hier eine Kostprobe aus dem Buch: „Dasselbe Konzept kann auf Aktivitäten angewandt werden, die das Risiko eines vorzeitigen Todes zu einem späteren Zeitpunkt im Leben erhöhen. Der Verzehr von 40 Teelöffeln Erdnussbutter entspricht einem Mikromort, weil man mit diesem Produkt Aflatoxin aufnimmt, ein Pilzgift, das das Risiko erhöht, im Lauf des Lebens an Leberkrebs zu erkranken. Eine Zigarette entspricht 0,7 Mikromort, weil das Rauchen die Wahrscheinlichkeit erhöht, nach vielen Jahren an Lungenkrebs zu sterben. Berücksichtigt man diese Tatsache, so verringert eine einzige Zigarette die Lebenserwartung um fünf Minuten, das heißt etwa um genauso viel Zeit, wie es dauert, die Zigarette zu rauchen.“

Wer dem folgt, stylt sein gesamtes Leben von der Geburt bis zum Tod so durch, dass es dem Effektivitätsplan gerecht wird. Das erinnert mich an das, was ich in bestimmten deutschen Haushalten erlebt habe: Jedes Kind spielt ein Instrument, geht dreimal die Woche zum Sport, verfolgt noch mindestens zwei sinnvolle Hobbies und erzielt in der Schule natürlich Höchstleistungen. Wo führt uns dieser Anspruch noch hin? In welcher Welt leben wir, wenn wir jede Situation genau so durchrationalisieren, durchkalkulieren und berechnen?

Und nun meine Kritik: Auch ich bin durchaus in der Lage, kluge Entscheidungen zu treffen und habe mein Leben in bestimmten Bereichen so durchgeplant, dass mir Routinedinge leicht fallen und ich nicht bei jedem Handgriff überlegen muss. Schauen wir aber einmal genauer: Fühlen wir auch noch, wenn wir den ganzen Tag so fabrizieren? Verschwenden wir einen Augenblick unserer wertvollen 24 Stunden darauf, in uns zu gehen und innezuhalten? Unseren Körper und unser Innerstes zu fragen, wie es uns mit all dem geht, was das mit uns und unserem Gegenüber macht, wenn wir alles bis aufs Haarkleinste berechnen und durchorganisieren?

Vom Wahn, die Welt effektiv besser zu machen

Wer jetzt weiter wissen will, was in dem Buch steht, dem sei noch folgendes Zitat als Paradebeispiel für unzählige andere mit auf den Weg gegeben. Hier geht es um die Frage, ob Sie Vegetarier werden sollten oder nicht und mit welchem Erfolg:

„Das ist nicht bloß eine theoretische Argumentation. Wirtschaftswissenschaftler haben diese Frage untersucht und herausgefunden, wie sich die Entscheidung eines Konsumenten, ein Tierprodukt nicht mehr zu kaufen, im Durchschnitt auf die Zahl der bereitgestellten Produkte auswirkt. Die Forscher schätzen, dass die Gesamtproduktion von Hühnereiern letzten Endes um 0,91 Stück fallen wird, wenn Sie auf ein Ei verzichten. Wenn Sie auf einen Liter Milch verzichten, sinkt die Gesamtproduktion um 0,56 Liter. Andere Produkte liegen irgendwo dazwischen:

Die Ökonomen schätzen, dass die Rindfleischproduktion um 0,68 Kilo sinken wird, wenn Sie sich entscheiden, ein Kilo Rindfleisch weniger zu kaufen. Wenn Sie auf ein Kilo Schweinefleisch verzichten, wird die Produktion letzten Endes um 0,74 Kilo sinken, und wenn Sie ein Kilo Hühnerfleisch weniger kaufen, werden 0,76 Kilo weniger erzeugt.“

Und? Wie fühlen Sie sich jetzt? Was macht diese kluge Passage mit Ihnen? So ähnlich geht das über 238 Seiten. Abhandlungen und Studien von Ökonomen sind die Lieblingsquellen, auf die sich MacAskill bezieht.

Ich sage nicht, dass diese Strategien nicht alle klug sind. Ich behaupte keineswegs, dass es nutzlos ist, diese im ein oder anderen Fall anzuwenden und so eine effektivere Vorgehensweise zu bewirken. Überhaupt, in dem Buch sind einige intelligente Denkanstöße versammelt. Kein Wunder also, dass William MacAskill mit seinen bald 30 Jahren als Shootingstar unter den Philosophen gehandelt wird.

Aber im täglichen Leben in unserem Umgang mit anderen fühlenden Wesen – und ich würde das nicht nur auf Menschen reduzieren -, da sind andere Qualitäten gefragt als denken, denken, denken. Da sollten Empathie, Mitgefühl und Demut mindestens genauso eine Rolle spielen wie Effektivität und strategisches Kalkül. In Beziehungen haben diese immerwährenden Berechnungen meiner Meinung nach nichts verloren, zumindest nicht in dem Maße, wie sie uns in „Gutes besser tun“ angepriesen werden.

Zu guter Letzt: Bitte überlegen Sie auch, ob Sie dem höchsten Ziel, möglichst viele Menschenleben zu retten, egal mit welcher Qualität und unter welchen Umständen, wirklich zustimmen. Und nein, ich plädiere nicht für Euthanasie. Natürlich: Spenden Sie, spenden Sie alles, was Sie nicht brauchen! Und nun könnte Ihnen William MacAskill sicher genau berechnen, was Sie wirklich nicht brauchen… Aber da beißt sich die Katze in den Schwanz und ich fange an, mich zu wiederholen.

Anja Oeck

Foto: Michael Dickel
Foto: Michael Dickel

Anja Oeck Hat ihr Philosophie-Studium, u.a. bei Jürgen Habermas und Karl-Otto Apel, mit einer Arbeit zur Ethik abgeschlossen und
ist heute Autorin, Redakteurin und Dramaturgin. Sie leitet die Textredaktion von Greenpeace Deutschland und arbeitet frei am Theater und in der Musikbranche.

 

 

 

 

William MacAskill: Gutes Besser Tun, Wie wir mit effektivem Altruismus die Welt verändern können. Übersetzung aus dem Englischen Ullstein, Berlin 2016, 238 Seiten

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“In zwischenmenschlichen Beziehungen kommt es auf Empathie und Mitgefühl an und nicht aufs Kalkulieren und Rechnen.”
Empathie und Rechnen schließt sich nicht aus, sondern soll sich ergänzen. Die Problematik ist, dass Empathie nicht automatisch ans andere Ende der Welt reicht und sie v.a. den Nächsten gilt. Dieses Empfinden durch rationale Überlegungen und Rechnungen so zu ergänzen und zu erweitern, damit mehr Menschen, in unsere empathischen Überlegungen miteinbezogen werden können ist ein Anliegen des Buchs und eine wichtige ethische Herausforderung. Zudem gibt es Menschen, die Tabellen nicht nur als Zahlenwust sehen, sondern genau dadurch ein Empfinden z.B. für die Menge an Leid bekommen. Menschen sind eben verschieden und ich finde McAskill`s Ideen so wertvoll und herausfordernd, dass sie sich eine neutrale Auseinandersetzung verdient hätten.

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