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Müssen wir ärmer werden?

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Ethische Alltagsfragen

In der Rubrik “Ethische Alltagsfragen” greift der Philosoph Jay Garfield eine Aussage auf, die Papst Franziskus in dem 2018 erschienen Film von Wim Wenders gemacht hat: „Wir im Westen müssen ärmer werden“, denn es sei unmoralisch, so viel zu besitzen, während andere arm sind. Stimmt das?

Im Juni brachte der berühmte deutsche Regisseur Wim Wenders seinen Film über Papst Franziskus heraus. In einem Interview sagte der Papst zu Ungerechtigkeit und Armut: “Wir (im Westen) müssen ärmer werden”. Was denken Sie über diesen Vorschlag? Ist es unmoralisch, so viel zu besitzen, während andere in Armut leben oder sogar Hunger leiden?

Dies ist eine wichtige, aber auch schwierige Frage. Ich denke, wir müssen anerkennen, dass wir in einer Welt des relativen Überflusses eine so ungleicheVerteilung von Ressourcen, die dazu führt, dass einige reich sind, während andere hungern, aus moralischer Sicht nicht gutheißen können. Keiner von uns, der diese Situation unvoreingenommen betrachtet, könnte das akzeptieren. In dem Maße, in dem wir Nutznießer dieser ungleichen Verteilung sind, haben wir , wie Papst Franziskus betont, die moralische Verpflichtung, ärmer zu werden, um diese Ungerechtigkeit auszugleichen.

Moralische Anforderungen sind oftmals zwar klar, aber gleichzeitig auch schwierig zu erreichen. Die Klarheit bedeutet, dass wir die Anforderungen ernst nehmen und tun müssen, was wir können. Die Schwierigkeit besteht darin, dass wir auch die Grenzen unserer eigenen Fähigkeiten anerkennen müssen.

Lieber etwas weggeben, statt zu kaufen

Es mag für viele von uns – aufgrund einer Vielzahl persönlicher und sozialer Gründe – nicht möglich sein, so viel von unseren materiellen Gütern aufzugeben, dass unser Einkommen dem weltweiten Durchschnitt entspricht. Ein solcher Standard mag das Ideal sein, aber wir sollten uns trotzdem nicht schlecht fühlen, wenn wir ihm nicht entsprechen.

In seinem klassischen buddhistischen Text über Moral mit dem NamenBodhicāryāvatāra (Weg des Lebens zur Erleuchtung), sieht der indische Autor Şāntideva (7./8. Jh.) diese Schwierigkeit. Er stellt fest, dass ein moralisch sehr fortgeschrittenes Wesen in der Lage sein könnte, sogar Teile seines Körpers wegzugeben, wenn es jemand anderem nutzen würde.

Doch für die meisten von uns ist es unmöglich, dies mit der richtigen Einstellung zu tun. Er ermahnt daher diejenigen, die die Tugend der Großzügigkeit kultivieren möchten, zunächst Gemüse und andere einfache Dinge zu verschenken und nach und nach auf größere Gaben hinzuarbeiten.

Wenn es also Ihr Ziel ist, mit viel weniger auszukommen und anderen in großem Maße zu helfen, könnten Sie damit beginnen, großzügig an gute Wohltätigkeitsorganisationen zu spenden oder freiwillig für die Armen zu arbeiten. Den Umfang Ihrer Gaben können Sie dann in dem Maße erhöhen, wie Sie sich damit wohlfühlen. Geben Sie nur, was Sie mit Freude geben können, aber geben Sie niemals mit Bedauern.

Generell denke ich, dass wir in den westlichen Konsumgesellschaften zu sehr darauf bedacht sind, etwas zu bekommen, anzuschaffen, zu kaufen. Es wäre besser, wenn wir uns mehr darauf ausrichteten, etwas wegzugeben und unseren Reichtum in den Dienst von anderen zu stellen. Nebenbei werden wir dadurch viel zufriedener werden.

Aus dem Englischen übersetzt von Bettina Balbach

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