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Solidarische Landwirtschaft

Jill Chen/ Shutterstock
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Regionales Gemüse, statt Massenware aus dem Supermarkt

Immer mehr Menschen sind die Konsumwirtschaft leid. Sie wünschen sich Gemüse aus der Region – ohne Strichcode und Plastikhülle. Deshalb werden sie aktiv und schließen sich zu regionalen Verbrauchergemeinschaften zusammen.

Die „SoLaWi“-Gruppe der Transition-Initiative Region Ammersee freut sich auf viele weitere solidarische Gemüseesser. Gemeinsam mit ihrem Permakulturgärtner Marcel Nussberger vom Gärtnerhof Sonnenwurzel sind sie nun eine regionale Verbrauchergemeinschaft. In Eigeninitiative hat die Gemeinschaft Sonnenwurzel gerade ein Anlieferungsdepot für Biogemüse in Schondorf eröffnet. Zwei weitere Depots gibt es bereits in der Region.

Auf dem Infoabend wird lebhaft über die Umsetzung einer Solidarischen Landwirtschaft (SoLaWi) diskutiert. Man ist sich einig: „Wir müssen lernen, im Depot Nahrungsmittel solidarisch so zu teilen, so dass alle etwas bekommen.“ Der achtsame Umgang miteinander ist der neuen Gemeinschaft sehr wichtig. Wurden früher noch Gemüsekisten fertig pro Person abgepackt, so möchte die Gruppe jetzt selbst die Verteilung vor Ort organisieren und Gärtnermeister Nussberger entlasten. Das solidarische Handeln bringt eine Umstellung des gewohnten bequemen Einkaufens mit sich, die aber alle mittragen wollen.

Solidarische Landwirtschaft am Ammersee

Treffen der SoLaWi-Gruppe am Solidarhof

Die Verbrauchergemeinschaft Sonnenwurzel benötigt insgesamt hundert Menschen, damit das Experiment gelingt. Dieses Budget würde es Marcel Nussberger ermöglichen, den Hof als geschlossenes System zu führen und nur noch für die SoLaWi-Gruppe zu produzieren. Dann wären sie eine von der Konsumwirtschaft vollkommen unabhängige Gemeinschaft.

Aktive Transition-Town-Bewegung

Im Rahmen der Transition-Town-Bewegung arbeiten seit 2006 Umwelt- und Nachhaltigkeitsinitiativen in vielen Städten und Gemeinden der Welt am geplanten Übergang in eine relokalisierte Wirtschaft, in der regionale Erzeugung in den Mittelpunkt gestellt wird und lange umweltschädigende Transportwege vermieden werden. Initiiert wurde die Bewegung u. a. von dem irischen Permakulturalisten Rob Hopkins.

Viele Bürger der Region Ammersee engagieren sich schon seit mehreren Jahren in der Transition-Town-Bewegung. Sie gründen Gruppen, weil sie Verantwortung für ihre Umwelt übernehmen und selbstbestimmt leben wollen. Nach dem Prinzip der Solidarischen Landwirtschaft (SoLaWi) wollen sie sich jetzt in einer Gemeinschaft organisieren und die Menschen ihrer Umgebung besser kennen lernen. Sie wollen sich ihr Biogemüse von der Gärtnerei Sonnenwurzel anbauen und anliefern lassen. Wie das in der Praxis aussieht? Marcel liefert Kisten mit Gemüsesorten wie Kartoffeln, Zwiebeln, Lauch, Salat, Roten Beeten und Karotten je nach Saison wöchentlich an die Depots, wo sich jede regionale Gemeinschaft ihren Anteil abholen kann.

Das Risiko wird auf mehrere Schultern verteilt. Der persönliche Anteil kann variieren: Jeder zahlt in der Risikogemeinschaft das Gleiche ein, egal ob es ein verregnetes Erntejahr ist oder eine reiche Ernte. „Wir unterstützen den Produzenten. Wir treten nicht als Verbraucher mit Konsumentenhaltung auf “, erklärt Katrin. Rund 40 Anteile sind im Moment noch zu vergeben, aber immer mehr Menschen in der Versammlung zeigen sich bereit, den Jahresvertrag zu unterschreiben, der ihnen für ein Budget von rund 40 bis 50 Euro im Monat nach Selbsteinschätzung eine Gemüseeinheit pro Woche für 1-2 Personen von der Gärtnerei Sonnenwurzel garantieren würde.

Foto: Michaela Doepke

Gärtnereimeister Nussberger mit den Initiatorinnen Katrin Grassmann und Sabine Seifert

Bisher bezieht die SoLaWi-Gruppe nur das Gemüse der Gärtnerei Sonnenwurzel. Ihr langfristiges Ziel ist es jedoch, auch andere Lebensmittel in ihr Depot je nach Bedarf liefern zu lassen. Die Solidarität besteht darin, dass der Landwirt am Anfang der Saison mit einem klar definierten Budget rechnen und arbeiten kann. So ist er abgesichert und die Gemeinschaft trägt das Ernterisiko mit. „Dafür haben wir das beste regionale, unverpackte frischeste Gemüse, das noch am selben Tag geerntet wird“, sagt Katrin. Der Hof Sonnenwurzel arbeitet nach diesem Standard und steht für umweltschonende Landwirtschaft. Weil es für alle wichtig ist, biologisch angebautes Gemüse aus der Region zu essen, hat sich die Gruppe genau für diese Bioland Gärtnerei entschieden. Dank gegenseitiger individueller Absprache treffen sich hier die richtigen Partner: Der Gärtner will biologisch produzieren und die Verbrauchersolidargemeinschaft will genau diese Produkte. Man könnte es auch anders machen. Aber dies ist die gegenseitige Wahl.

„Bebauen und bewahren“

Gärtnereimeister Marcel Nussberger sieht die Einnahmen der Bürger aus der Region als Spende an unsere Erde an, mit der er planen und kostendeckend arbeiten kann. Der Hühne mit den Rastalocken hatte anfangs einen steinigen Weg und auch heute noch ist aufgrund seines idealistischen Einsatzes für die Solidarische Landwirtschaft an Urlaub für seine Frau, seinen fünfjährigen Sohn und ihn selbst nicht zu denken. Vor etwa drei Jahren, als der Druck des Marktes immer stärker wurde, stieß er auf das Konzept der solidarischen Landwirtschaft. Ihn faszinierte die Idee, dass sich Verbraucher und Produzenten zu gegenseitigem Nutzen zu einer Solidargemeinschaft zusammenschließen. Dies entsprach ganz seinen Idealen von einer naturnahen Permakultur, einer nachhaltigen, die natürlichen Ressourcen schonenden Kreislaufwirtschaft. Seiner ethischen Grundhaltung entsprechend sieht er seinen Auftrag im „Bebauen und Bewahren“.

„Bei den Menschen in unserer Umgebung ist die Einsicht gewachsen, dass man sich zum Wohl der Natur heute zusammenschließen muss.“

Für ihn ist die Welt im Wandel. „Bei den Menschen in unserer Umgebung ist die Einsicht gewachsen, dass man sich zum Wohl der Natur heute zusammenschließen muss.“ Wichtig ist ihm vor allem die Wertschätzung der Erde. Er möchte durch die Produzenten- und Verbrauchergemeinschaft die Verbindung zur Erde wieder herstellen. Gern lädt er die Anwesenden zum Tag der offenen Tür auf seinen Biohof mit 300 qm nach Reichling ein. Jeden letzten Samstag im Monat bietet er dort einen Gärtnerhofspaziergang an, dieses Jahr unter dem Motto: “Refuse, Reduce, Repair, Recycle, Reuse.” (Verweigern, Reduzieren, Reparieren, Recyclen, Wiederverwenden)

Marcel lädt auch alle 14 T
age zu Aktionen auf dem Sonnenwurzelhof ein. „Zu uns kann jeder kommen und freiwillig mithelfen, wenn er Zeit hat“, so Nussberger. Die Menschen der genossenschaftlich organisierten regionalen Gemeinschaften kommen häufig, um auf seinem Hof bunte Feste zu feiern und auf dem Zwiebelacker mitzuhelfen. Darüber freuen sich besonders Menschen, die keinen Garten, aber Freude an landwirtschaftlicher Arbeit haben.

Entstehung des SoLaWi-Netzwerkes

Zwischen 1988 und 2003 gab es in Deutschland nur drei Höfe, die begannen, nach dem Wirtschaftskonzept der Solidarischen Landwirtschaft zu arbeiten. Populär wurde das Konzept hier erst vor wenigen Jahren unter der in den USA geprägten Bezeichnung „Community Supported Agriculture“ (CSA). Der zunehmende Druck auf landwirtschaftliche Existenzen durch den Strukturwandel und die Hofnachfolgeproblematik einerseits sowie die steigende Nachfrage der Verbraucher nach Qualität, Transparenz, ethischem Konsum, Umweltschutz sowie nach Rationalität und kurzen Transportwegen andererseits führten in den letzten Jahren auch in Deutschland zu einem stark wachsenden Interesse an diesem Konzept.

Bald einigte man sich auf den Begriff „Solidarische Landwirtschaft“ und gründete 2011 schließlich das bundesweite Netzwerk. Hier organisieren sich seither die in Deutschland wirtschaftenden Solidar-Gärtnereien sowie interessierte Einzelpersonen, um den Aufbau von weiteren Solidarhöfen aktiv zu unterstützen. Heute gibt es in Deutschland rund 60 Höfe und Gärtnereien, bei denen man sich beteiligen kann. Und täglich werden es mehr – auch in Ihrer Region!

Michaela Doepke

Weitere Infos unter:
www.solidarische-landwirtschaft.org

www.sonnenwurzel.de
www.transition-initiativen.de

 

 

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Mit Referenten aus verschiedenen Disziplinen.

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Alle Kommentare

Hallo Michaela,
vielen Dank für den Artikel ich habs gleich an unser TRA-Netzwerk weitergeleitet. Übrigens gibt es CSA auch schon sehr lange in Japan. Ich habe glaube ich im BR eine sehr lange Reportage über einen Bauern in Japan gesehen, der das schon sehr lange macht. So bin ich auf das Thema CSA gekommen und jetzt gibt es das auch bei uns!!!
Christian

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