Standpunkt von Carsten Petersen
In der Reihe “Kontroverse” spricht sich der Philosoph Carsten Petersen gegen das Transplantieren von Organen aus, weil es den Körper zum Gegenstand der Verwertung mache. Das sei gegen die Menschwürde. Er kritisiert, dass die Medizin den Menschen als Rohstoff ansehe und die Grenzen, die der Körper setzt, nicht respektiert.
Immer wieder werde ich von meiner Krankenkasse oder von Broschüren, die im Wartezimmer bei meinem Arzt ausliegen, aufgefordert, einen Organspendeausweis zu beantragen. Das werde ich mit Sicherheit nicht tun und möchte das hier begründen.
Am 1. Dezember 2012 trat das Transplantationsgesetz in Kraft, für das alle Fraktionen gestimmt hatten, ein geradezu beispielloser Vorgang. Das neue Gesetz enthielt sogar einen bisher nicht beachteten Zusatz, der es erlaubt, Organe für Forschungszwecke zu verwenden, auch wenn dies nicht der Wille des Spenders war.
Ziel des Gesetzes ist, die Anzahl der Organspenden zu erhöhen, um damit Leben zu retten, denn es gibt viele, die auf ein Spenderorgan angewiesen sind. Das Gesetz kodifiziert die sogenannte Entscheidungslösung, das heißt, der Spender muss sich für die Spende entscheiden.
Die stärkere Variante wäre die sogenannte Widerspruchslösung gewesen, die z.B. in Spanien gilt. Jedem Spanier werden nach dem Hirntod die Organe entnommen, sofern er nicht einen entsprechenden Widerspruch bei sich trägt. Die schwächere Variante wäre die Zustimmungslösung gewesen. Danach würden nur demjenigen Organe entnommen, der diesem Verfahren ausdrücklich zustimmt.
Der Körper wird degradiert
Die Gründe, weshalb ich Organspenden ablehne: Organtransplantation richtet sich gegen die Menschenwürde. Sie eröffnet die Möglichkeit, das Leben eines Patienten zu verlängern, dessen Körper seinen Dienst teilweise nicht mehr tun kann.
Wer entscheidet, dass der Körper weiterleben soll? Nun, es ist wohl das Ich, samt seines Körpers und all der Möglichkeiten der modernen Medizin und Gesellschaft. Es ist aber aus meiner Sicht nicht der ganze Mensch, denn ohne den medizinischen Eingriff müsste der Mensch wohl sterben; der Körper hat seine „Entscheidung“ ja schon getroffen. Diese Entscheidung gilt aber nicht, sagt der andere Teil des Menschen, der offenbar die besseren Möglichkeiten zur Durchsetzung hat.
Bezog sich die Würde des Menschen nicht einmal auch auf die Würde des Körpers des Menschen? Wird dieser Körper nicht durch Transplantationen zu einem Mechanismus degradiert, dessen Einzelteile nach Bedarf ausgetauscht werden können? Ist meine kaputte Niere nicht dennoch meine Niere, Teil meines sicherlich in vielen Zügen verwerflichen Lebens ?
Auch die Würde des Spenders wird angetastet. Er hat zugestimmt, dass ihm die Organe entnommen werden dürfen, um damit anderes Leben möglicherweise zu retten. Das ist nobel, rational, denn in der Tat schadet es ihm nicht, solange die Regeln der ärztlichen Kunst beachtet werden und erst der Hirntod festgestellt wurde.
Aber kann der Gebende wirklich Leben retten? Ein Menschenleben ist dem Tode geweiht, nur der Zeitpunkt ist nicht klar. Es ist also nicht möglich, ein Menschenleben zu retten, allenfalls kann der Todeszeitpunkt durch eine Organspende verschoben werden, oder es könnten sich die Lebensumstände eines ans Krankenhausbett gefesselten Menschen verbessern. Das kann eine Organspende bewirken.
Können irgendwann Gehirne transplantiert werden?
Auf den Spender selbst hat die Gabe natürlich auch eine Wirkung. Denn in gewisser Weise lebt er ja durch die Transplantation in einem anderen Menschen weiter, zumindest seine Organe, und das können mehrere Organ sein. Was stirbt denn dann eigentlich, wenn er stirbt und Teile von ihm in einem anderen Menschen weiterleben?
Ist es wieder nur sein Ich? Ein Ding, ungreifbar, unklar, von dem die Buddhisten sagen, es existiere nicht so, wie wir gewöhnlich denken? Kann etwas sterben, wenn es nicht existiert?
Früher war man tot, wenn der Körper nicht mehr lebensfähig war. Jetzt ist es umgekehrt, man ist hirntot, der Körper aber lebt weiter in verschiedenen Menschen, desintegriert zwar, aber doch irgendwie noch lebendig. Ist es vorstellbar, dass irgendwann auch Gehirne transplantiert werden oder Teile von Gehirnen?
Was muss dann tot sein, wenn die Entnahme statthaft sein soll? Ein Mensch, der der Entnahme seiner Organe zustimmt, kann nicht sterben. Das ist das Ende seiner Würde.
Die Entscheidung, anderen Menschen zu helfen, ist nobel, sie verändert aber den Blick der anderen auf ihn, solange er lebt. Denn zum ersten mal seit Menschengedenken wird ein Mensch wertvoll, sobald er stirbt. Verbrecher, Agenten, Terroristen und Soldaten kannten bislang nur das Gegenteil: Nur solange ein Entführter, Gefolterter, eine Geisel oder ein Gefangener lebt, kann man Lösegeld, Informationen oder andere Gefangene mit ihm erpressen. Wenn er stirbt, ist er wertlos. Deshalb lässt man ihn leben oft auch unter widrigsten Umständen, jahrelang.
Geschäfte mit Organen
Das wird jetzt anders. Auch damit hat die noble Organspende etwas zu tun. Denn nur durch sie wird eine Medizin aufrecht erhalten, die den lebenden und den toten menschlichen Körper grundsätzlich neu beurteilt, nämlich als Rohstoff. Und das Transplantationsgesetz hat das Ziel, diese Neuausrichtung der Medizin zu fördern.
Natürlich geschieht alles freiwillig und auf Spendenbasis, aber waren Spenden im Kapitalismus nicht schon so oft die Vorhut und der Vorwand, um Geld zu machen? Hörten wir nicht schon von der Frau aus Georgien, die ihre Niere verkaufte, um sich mit dem Geld ein Einreisevisum zu kaufen?
Gab es nicht den indischen Bauern, der aus purer Not seine Milz verkaufte? Das System beutet nicht nur seine Arbeitskraft aus, sondern verbraucht den Menschen gleich ganz. Der Bauer bekommt einen Kredit, dafür haftet er mit seinen Organen.
Wir können das noch weiter denken. Nehmen wir staatenlose Menschen, Migranten zum Beispiel, auch ihre Körper könnten ausgeschlachtet werden. Das passiert bereits: Auf der Sinaihalbinsel wurden laut eritreische Männer und Frauen, die nach Israel einwandern wollten, von Banden entführt, getötet und ausgeweidet.
Das hätten sich die Geschäftemacher dieser Welt in ihren kühnsten Träumen nicht ausmalen können: Stünde damit die gesamte ärmere Bevölkerungsteht als Rohstoff, als Organireservoir zur Verfügung? Das ist natürlich alles illegal und abgeschmackt und findet nicht unsere Zustimmung. Und doch hat es etwas mit Organspende zu tun.
Ja, aber wollen Sie denn jede Transplantation verbieten, nur weil einige damit Schindluder treiben? Sofern der Mensch frei entscheidet, etwa die Georgierin oder der Inder, kann man nicht von Schindluder sprechen . Es ist nur fraglich, ob die Menschen wirklich frei sind, zum Beispiel wenn sie wirtschaftlichen Zwängen unterliegen.
Nun gut, der Bauer könnte sich auch dafür entscheiden zu sterben. Ist es nicht schon Frevel, solche Entscheidungen überhaupt zu ermöglichen?
Dem Lebensverlängerungswahn etwas entgegen setzen
Ist Leben verlängern ein gutes Ziel ? Ich glaube nicht, dass es ein gutes Ziel ist, immer länger zu leben. Ein gutes Ziel wäre es, immer tiefer zu leben. Was habe ich denn von einem langen, flachen Leben? Das ist ein Vegetieren ohne Sinn und und Verstand, ohne Wahrheit und Lust. Denn meine Handlungen, Überzeugungen, meine Gedanken und Gefühle gewinnen an Beudetung, wenn ich weiß, dass ich sterben werde.
Stellen Sie sich vor, man könnte mit ärztlicher Kunst bald 200 Jahre leben. Wäre das nicht grässlich? Grässlich langweilig, eintön
ig, verantwortungslos? Wir Menschen sind nun einmal für eine bestimmte Lebensspanne gebaut, von unseren Kräften her, von unserer Phantasie und geistigen Spannkraft her.
Es ist wie im Theater: Im fünften Akt muss der Held sterben, weil die ganze Handlung nur so aufgelöst werden kann. Sein Tod hat eine immense Bedeutung für das Drama. Würden Sie 23 Akte anschauen wollen?
Der Lebensverlängerungswahn hat aus meiner Sicht nichts mit Wünschen zu tun, sondern mit Ängsten: mit der Angst vor dem Tod, die unsere Gesellschaft schon nicht mehr angehen will. Denn es kann im Kapitalismus keine Grenzen geben, das würde dem Systemgedanken widersprechen. Ist es ein gutes Ziel, seinen Ängsten so stattzugeben?
Indem wir uns dem Lebensverlängerungswahn anschließen, indem wir Spender oder Empfänger von Organen werden, schließen wir uns mit unseren Körpern an das System an. Wir machen unsere Körper zu Gegenständen der Verwertung.
Die Spenden und die Spendenempfänger werden verwertet, das sieht man an den manipulierten Wartelisten. Und natürlich hat ein Organ einen Preis, auch wenn er nicht für das Organ selbst bezahlt wird, dann aber doch für seine Verwaltung, seinen Transport, seine Transplantation usw. Es gibt einen Markt, anders kann man es in unser Welt nicht organisieren.
Wenn du stirbst, hattest du bisher die erstmalige und einmalige Chance, dem Markt zu entkommen. Dein Körper war wertlos. Das ist jetzt vorbei. Ich würde es niemals erlauben, nach meinem Tod meinen Körper zu öffnen.
Carsten Petersen
Carsten Petersen geb. 1954, studierte Philosophie, Literatur und Kunstgeschichte. Er ist Lehrer, Erzieher, Vater und Imker. Lebt mit seiner Familie in Uelzen.