Ein Buch zur Sterbehilfe
Der Arzt Uwe-Christian Arnold setzt sich für eine Legalisierung des ärztlich assistierten Suizids von Todkranken ein. Selbstbestimmt und in Würde sterben, lautet seine Forderung in diesem Buch. Lesen Sie die Besprechung des Allgemeinmediziners Wolfgang Trescher.
Es wirkt schon eigenartig, sich vorzustellen, dass der Arzt seinen Patienten ein letztes Mal aufsucht, ihm auf sein Verlangen das Gift überreicht und nachdem dieser sanft eingeschlummert ist, die Todesbescheinigung ausstellt. Dies ist jedenfalls die Vision eines Arztes, der sich wie kaum ein anderer seit den 90er Jahren aktiv und unter Inkaufnahme persönlicher Nachteile für die „Letzte Hilfe“ einsetzt.
Er versteht darunter einen „würdigen Tod“ für jene, für die das Leben wegen schwerwiegender körperlicher oder seelischer Erkrankung nur noch Leiden und keine Freude mehr bereithält. Nach dem Lesen des Buches des Berliner Urologen Uwe-Christian Arnold ist es für mich als Arzt immer noch ungewohnt sich das vorzustellen, aber die zahlreichen Argumentationen im Buch überzeugen dennoch.
Der ärztlich assistierte Suizid
„Letzte Hilfe“, das ist der ärztlich assistierte Suizid, d.h. die Verordnung einer für den schnellen und sanften Tod geeigneten Substanz, die der Betroffene selbst einnimmt. Es geht in diesem Buch nicht um die Tötung auf Verlangen durch den Arzt, wie sie nur in Benelux-Ländern und im US-Staat Oregon zugelassen sind. Beihilfe zum Suizid, d.h. die Bereitstellung von Hilfsmitteln durch Nichtärzte ist in Deutschland straffrei, den Ärzten jedoch in zehn Bundesländern durch die Berufsordnung der jeweiligen Landesärztekammern verboten und in sieben Bundesländern nicht.
Arnold schilderte zu Beginn des Buches seine ersten Begegnungen mit Sterbenden als Arzt im Krankenhaus – zu Zeiten, als es noch keine Palliativmedizin und keine Hospize gab und die Sterbenden noch in Abstellkammern abgeschoben wurden. 2006 trat Arnold mit seinen Ansichten an die Öffentlichkeit, 2007 folgte ein vier Jahre dauernder Rechtsstreit mit der Landesärztekammer Berlin unter Androhung eines 50.000 € Bußgeldes. Die Landesärztekammer unterlag schließlich mit einer klaren Entscheidung des Gerichts.
Der Autor wurde von hunderten Menschen um Sterbehilfe gebeten und hat diese auch geleistet. Anfangs nur vereinzelt und immer unter der ständigen Auseinandersetzung mit dem Zwiespalt: der Verpflichtung der Ärzte, Leben zu erhalten einerseits, und dem Gefühl unterlassener Hilfeleistung bei Menschen, die den Tod herbeisehnen. Der Autor beschreibt in seinem Buch zahlreiche Krankengeschichten.
Das Geschäft mit der Leidensverlängerung
Im 2. Teil des Buches setzt der Autor sich ausführlich mit den Gegenargumenten zum ärztlich assistierten Suizid auseinander. Er fragt, wer denn der Souverän über das eigene Leben sei, wenn nicht jeder einzelne Mensch für sich.
Arnold geht ausführlich den psychologischen, historischen, religiösen und weltanschaulichen Hintergründen nach, die die Gesellschaft und die Ärzte dazu bringen, sich gegen den ärztlich assistierten Suizid zu stellen. Stichworte dazu sind der „Hippokratische Eid“, das „Genfer Gelöbnis des Weltärztebundes“, Ausbau der Palliativmedizin oder die Einschätzung des Leidens in der christlichen Sicht als Teilhabe am Leiden Christi.
Das Argument, dass nach einer Freigabe des ärztlich assistierten Suizids das „Geschäft mit dem Tode“ drohen würde, kontert Arnold mit dem Hinweis, dass die pharmazeutische Industrie schon lange das „Geschäft mit der Leidensverlängerung“ macht, weil sie ein geschäftliches Interesse an einem längeren Überleben von Patienten hat.
Düsteren Prophezeihungen über ein Entgleisen der menschlichen Kultur durch eine Freigabe des ärztlich assistierten Suizids hält der Autor die gelebte Realität in den Beneluxländern und im US-Staat Oregon entgegen. Dass Menschen vor allem aus Rücksicht auf die pflegenden Verwandten den Freitod wählen, scheint dort nicht festgestellt worden zu sein.
Arnold fordert auch den Ausbau der Palliativmedizin, stellt aber den „Mythos des würdevollen natürlichen Todes“ in Frage, mit dem die Menschen über die bittere Realität des Sterbens hinweggetäuscht würden. Er verweist darauf, dass seine Patienten immer friedlich eingeschlafen seien.
Dies ist ein klares und ein wichtiges Buch. Es ist leicht und flüssig zu lesen. Der Autor spricht aus jahrzehntelanger eigener Erfahrung in der Betreuung verzweifelter Menschen. Er hat sich zum Anwalt dieser Not leidenden Menschen gemacht, bei denen alles versucht wurde und nichts mehr helfen konnte.
Mir ist es in meiner 25-jährigen Berufserfahrung als Allgemeinmediziner noch nicht vorgekommen, dass ein Patient ein derartiges Anliegen an mich herangetragen hätte. Daher ist ein Urteil über die Praxis des ärztlich attestierten Suizids für mich schwer zu fällen.
Die Vorstellung, jemandem Gift zu geben, damit er sich selbst tötet, fühlt sich für mich als Arzt eigenartig an. Doch den Argumenten, die Arnold in seinem Buch entwickelt, kann man sich nicht entziehen. So wird man wohl mit der Spannung zwischen dem Gefühl und der Argumentation leben müssen.
Das Buch ist keine gelehrte Abhandlung, sondern „ein Plädoyer für das selbstbestimmte Sterben“, wie es im Untertitel heißt. Deswegen ist das Buch im guten Sinne polemisch, und bezieht klar Stellung. Wie sonst sollte man alte und eingefahrene Denkgewohnheiten und Überzeugungen in Frage stellen und aufrütteln können?
Dr. Wolfgang Trescher, Arzt für Allgemeinmedizin, Heeslingen
Uwe-Christian Arnold unter Mitarbeit von Michael Schmidt-Salomon: Letzte Hilfe. Ein Plädoyer für das selbstbestimmte Sterben. Rowohlt, Reinbek 2014. 240 Seiten, 18,95 €